Schizophrenie: Unterschied zwischen den Versionen

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|Zusammenfassung=Geschlechterunterschiede bei schizophrenen Erkrankungen konnten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von Emil Kraepelin beobachtet werden, blieben jedoch lange Zeit unberücksichtigt. Inzwischen kann bestätigt werden, dass Frauen im Vergleich zu Männern nicht nur ein durchschnittlich höheres Erstaufnahmealter haben, sondern im Mittel auch drei bis vier Jahre später erkranken. Männer zeigen sowohl erste unspezifische Krankheitszeichen als auch spezifische schizophrene Symptome früher als Frauen. Jedoch scheint das kumultative Lebenszeitrisiko (bis zum Alter von 60 Jahren) bei beiden Geschlechtern gleich zu sein. Symptomatische Geschlechterunterschiede scheinen nicht zu bestehen, das Krankheitsverhalten zeigt signifikante, jedoch keine großen Geschlechterunterschiede. Im Krankheitsverlauf ergeben sich keine deutlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern.  
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== Epidemiologie ==
 
=== Inzidenz/Prävalenz ===
 
Bereits 1986 konnte anhand der Daten einer kooperativen Studie der Weltgesundheitsbehörde (WHO) festgestellt werden, dass Schizophrenie in verschiedenen Ländern syndromatisch hohe Ähnlichkeit besitzt und nur eine geringe Variation der Inzidenzraten zu beobachten ist (Vergleich von zehn verschiedenen Ländern, eng gefasste Diagnose nach schizophrenem Kernsyndrom).<ref>Sartorius N, Jablensky A, Korten A, Ernberg G, Anker M, Cooper JE et al. Early manifestations and first-contact incidence of schizophrenia in different cultures: A preliminary report on the initial evaluation phase of the WHO Collaborative Study on Determinants of Outcome of Severe Mental Disorders. Psychol. Med. 1986; 16(04):909.</ref> Damit scheint eine räumliche und kulturelle Gleichverteilung der Schizophrenie zu bestehen, die einen hohen Einfluss kultureller und sozialer Faktoren nicht sehr wahrscheinlich macht.<ref>Häfner H., Riecher A., Maurer K., Fätkenheuer B., Löffler W., an der Heiden W., Munk-Jorgensen P., Strömgren E. Geschlechtsunterschiede bei schizophrenen Erkrankungen. Fortschr. Neurol. Psychiat. 1991; 59:343–60.</ref>
 
Im Gegensatz dazu scheinen sich einige Merkmale schizophrener Erkrankungen zwischen den Geschlechtern durchaus zu unterscheiden. Bezüglich der Inzidenzrate ergibt sich, dass Männer im Durchschnitt drei bis vier Jahre früher erkranken als Frauen und damit zusammenhängend ein früheres Erstaufnahmealter aufweisen. In der ABC (Age-Beginning-Course)-Schizophrenie-Studie (1995) wurden 232 ProbanInnen untersucht, die sich in der ersten Krankheitsepisode einer Schizophrenie oder Schizophreniespektrumsstörung befanden (Alter zwischen zwölf und 59 Jahren).<ref>Häfner H, Maurer K, Löffler W, der Heiden W an, Munk-Jørgensen P, Hambrecht M et al. The ABC schizophrenia study: A preliminary overview of the results. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 1998; 33(8):380–6.</ref> Dabei wurde der Erkrankungsbeginn auf zwei Ebenen definiert: 1.) Das Auftreten unspezifischer Erstsymptome in der Prodromalphase (präpsychotisch). 2.) Erste psychotische Symptome (Beginn der Psychose). Es ergab sich, dass Männer  sowohl erste unspezifische Krankheitszeichen als auch spezifischen schizophrenen Symptome früher als Frauen entwickeln. Dieser signifikante Unterschied bleibt über den gesamten frühen Krankheitsverlauf (vom Erkrankungsbeginn über das erste negative und das erste positive Symptom bis zum Maximum der Symptome) bestehen.  Das frühere Erkrankungsalter von Männern im Vergleich zu Frauen konnte auch in aktuelleren Studien bestätigt werden.<ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref>
 
 
 
 
 
Dagegen scheint das kumultative Lebenszeitrisiko keinen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern aufzuweisen: Bei beiden Geschlechtern ist eine Erkrankung vor dem 15. Lebensjahr extrem selten. Ab 15 Jahren steigt bei Männern die Erkrankungshäufigkeit steil an und erreicht ihr Maximum zwischen 15 und 25 Jahren (danach sinkt die Häufigkeit der Ersterkrankungen wieder monoton ab). Bei Frauen steigt die Erkrankungshäufigkeit langsamer an und erreicht einen flacheren Gipfel zwischen 15 und 30 Jahren. Interessanterweise ist der deutlichste Altersunterschied der Inzidenzrate nicht in jungen Jahren, sondern im mittleren und hohen Alter zu beobachten. Bei Frauen ergibt sich beispielsweise zwischen 45 und 50 Jahren (Beginn der Menopause) ein weiterer (kleinerer) Erkrankungsgipfel mit signifikantem Unterschied im Vergleich zu Männern derselben Altersgruppe (vergleiche Grafik 1). Es kann beobachtet werden, dass Frauen im höheren (40 bis 60 Jahre) und hohen Erwachsenenalter (über 60 Jahre) deutlich häufiger erkranken<ref>van Os J, Howard R, Takei N, Murray R. Increasing age is a risk factor for psychosis in the elderly. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 1995; 30(4):161–4.</ref> und Symptome und Verlauf im Alter bei Frauen schwerer sind als bei Männern.<ref>Häfner H, Löffler W, Riecher-Rössler A, Häfner-Ranabauer W. Schizophrenie und Wahn im höheren und hohen Lebensalter. Der Nervenarzt 2001; 72(5):347–57.</ref>
 
 
 
[[Datei:Krankheitsausbruch Schizophrenie.png|mini|650px|links| <small>'''Grafik 1. Geschlechterspezifische Verteilung des Krankheitsausbruches (erste Anzeichen) über die Lebensspanne (prozentueller Anteil pro Altersgruppe an der Gesamtheit der Ersterkrankungen'''<br />
 
[Quelle: GenderMed-Wiki, nach: Häfner et al. (1991)]</small>]]
 
 
 
 
 
Es ergibt sich damit nur ein leichter Geschlechterunterschied in der Lebenszeitprävalenz schizophrener Erkrankungen. Tandon et al. (2008) berichten beispielsweise von einem Geschlechterverhältnis von 1.4 zu 1 bei Männern im Vergleich zu Frauen.<ref>Tandon R, Keshavan MS, Nasrallah HA. Schizophrenia, "just the facts" what we know in 2008. 2. Epidemiology and etiology. Schizophrenia research 2008; 102(1-3):1–18.</ref> Viel deutlicher ist ein epidemiologisches Verteilungsmuster der Inzidenz zu beobachten. Dabei lassen sich zwei Hauptgründe dafür erkennen, dass das geschlechterspezifische Morbiditätsrisiko über die Lebensspanne in der Vergangenheit häufig nicht erkannt wurde: Zum einen umfasst die traditionelle Definition nach Kraepelin Schizophrenie als Erkrankung der Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters (im DSM-III noch so enthalten). Zum anderen ergeben sich diagnostische Unsicherheiten bezüglich der Wahnerkrankungen hohen und höheren Lebensalters. Währen in jungen Jahren die Schizophrenie häufig mit mentaler Desorganisation sowie affektiven und kognitiven Störungen einhergeht, sind Wahnerkrankungen im Alter oft nicht an mentale Desorganisation und sozialen Abstieg gekoppelt. Vielmehr steht paranoider Wahn als positives Leitsymptom im Vordergrund. Lange Zeit wurden diese Wahnerkrankungen als "Altersparanoia" betrachtet und nicht der schizophrenen Spektrumsstörung zugeordnet.<ref>Häfner H. Die Rolle von Geschlecht und Gehirn bei Schizophrenie. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editor. Geschlecht und Gehirn: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Mann und Frau. Heidelberg: Springer Medizin; 2007. p. 297–330.</ref>
 
 
 
=== Risikofaktoren und protektive Faktoren ===
 
Östrogen ist die bisher einzige als Schutzfaktor identifizierte Substanz, die auf einen Aufschub des Erkrankungsrisikos und eine Milderung der Symptomatik einer Schizophrenie hindeutet. Frauen vor der Menopause zeigen eine mildere Symptomatik und einen günstigeren Krankheitsverlauf.  Dagegen weisen Frauen nach der Menopause eine schwerere Symptomatik sowie einen  ungünstigeren Verlauf auf.  Zudem steht die Verminderung der Östrogensekretion mit einem Anstieg der Ersterkrankungsrate in Zusammenhang.<ref> Häfner H. Die Rolle von Geschlecht und Gehirn bei Schizophrenie. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editor. Geschlecht und Gehirn: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Mann und Frau. Heidelberg: Springer Medizin; 2007. p. 297–330.</ref> Die Kausalität dieses Zusammenhangs konnte bereits in Interventionsstudien belegt werden.<ref>Kulkarni J, Riedel A, de Castella, A R, Fitzgerald PB, Rolfe TJ, Taffe J et al. A clinical trial of adjunctive oestrogen treatment in women with schizophrenia. Archives of women's mental health 2002; 5(3):99–104.</ref> Als (bisher nicht hinreichend bestätigte) Hypothese für diesen Effekt wird angenommen, dass ein prämorbides Defizit an Östrogensekretion nicht genügend Schutz bezüglich dopaminerger Dysbalance oder Überfunktion biete und damit das Risiko einer Schizophrenie erhöhe.<ref>Gaebel W, Wölwer W. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Robert-Koch-Institut; 2010 Jul 27.</ref> Hinweise dafür gibt beispielsweise eine RCT-Studie von Bergemann et al. (2005): So konnte hier an  75 erkrankten Frauen im prämenopausalen Alter ein eindeutiger Hypoöstrogenismus belegt werden.<ref>Bergemann N, Mundt C, Parzer P, Jannakos I, Nagl I, Salbach B et al. Plasma concentrations of estradiol in women suffering from schizophrenia treated with conventional versus atypical antipsychotics. Schizophrenia research 2005; 73(2-3):357–66.</ref> Das weibliche Geschlecht (vor der Menopause) kann damit als Faktor für eine günstige Langzeitprognose identifiziert werden.<ref>Gaebel W, Wölwer W. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Robert-Koch-Institut; 2010 Jul 27.</ref> Keine Geschlechterunterschiede scheinen bezüglich des familiären Risikos und Komplikationen während der Geburt zu bestehen.<ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref>
 
 
 
== Pathophysiologie ==
 
== Klinik ==
 
 
 
=== Symptome ===
 
Tabelle 1 stellt Studienergebnisse zu symptombezogenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern dar.  Eindeutige Erkenntnisse liegen diesbezüglich noch nicht vor.<ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref> <br />
 
 
 
<small>'''Tabelle 1. Symptom- und verhaltensbezogene Geschlechterunterschiede.'''</small>
 
{| class="wikitable"
 
 
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! style="width:50%;"| Frauen > Männer !! Männer > Frauen
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|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[/Einführungsartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Einführungsartikel</u></span></big></big>]]
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|}
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{| class="wikitable" style="float:left; margin-right:1em"
 
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| '''''Symptombeginn:''''' <br />
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|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[/Fachartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Fachartikel</u></span></big></big>]]
Beim weiblichen Geschlecht ist zwischen 45 und 50 Jahren (Beginn der Menopause) ein weiterer Erkrankungsgipfel mit signifikantem Unterschied im Vergleich zu Männern derselben Altersgruppe zu beobachten.<ref>Häfner H., Riecher A., Maurer K., Fätkenheuer B., Löffler W., an der Heiden W., Munk-Jorgensen P., Strömgren E. Geschlechtsunterschiede bei schizophrenen Erkrankungen. Fortschr. Neurol. Psychiat. 1991; 59:343–60.</ref>
 
| '''''Symptombeginn:''''' <br />
 
Männer entwickeln sowohl erste unspezifische Krankheitszeichen als auch spezifischen schizophrenen Symptome (ca. drei bis vier Jahre früher als Frauen).<ref>Häfner H, Maurer K, Löffler W, der Heiden W an, Munk-Jørgensen P, Hambrecht M et al. The ABC schizophrenia study: A preliminary overview of the results. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 1998; 33(8):380–6.</ref>
 
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|'''''Verhaltensmerkmale bei Erstaufnahme:''''' <br />
 
Frauen zeigen (bis es zur Erstaufnahme kommt) kumulativ steigende Unruhe. Im Querschnitt ergeben sich bei Erstaufnahme  für Frauen im Vergleich zu Männern Verhaltensmuster wie Überanpassung und Konformität.<ref>Häfner H, Maurer K, Löffler W, der Heiden W an, Munk-Jørgensen P, Hambrecht M et al. The ABC schizophrenia study: A preliminary overview of the results. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 1998; 33(8):380–6.</ref>
 
| '''''Verhaltensmerkmale bei Erstaufnahme:''''' <br />
 
Im Querschnitt ergibt sich häufiger bei Männern als bei Frauen folgendes: Selbstvernachlässigung,  mangelndes Interesse an einer Arbeit, soziale Unaufmerksamkeit und andere soziale Defizite, verminderte Freizeitaktivität, Kommunikationsdefizite, Interessenlosigkeit, mangelnde Hygiene<ref>Häfner H, Maurer K, Löffler W, der Heiden W an, Munk-Jørgensen P, Hambrecht M et al. The ABC schizophrenia study: A preliminary overview of the results. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 1998; 33(8):380–6.</ref>
 
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|'''''Funktionalität:''''' <br />
 
Prämorbide und soziale Funktionalität scheint bei Frauen höher zu sein als bei Männern.<ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref> 
 
| '''''Komorbide Sucht:''''' <br />
 
Ähnlich wie in der Allgemeinbevölkerung sind auch erkrankte Männer (Schizophrenie oder erste Episode einer Psychose) deutlich häufiger substanzabhängig als erkrankte Frauen.<ref>Gaebel W, Wölwer W. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Robert-Koch-Institut; 2010 Jul 27.</ref> <ref>Häfner H, Maurer K, an der Heiden, W. ABC Schizophrenia study: an overview of results since 1996. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 2013; 48(7):1021–31.</ref>
 
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|'''''Positivsymptome:''''' <br />
 
Einige Studien bestätigen, dass Frauen mehr affektive Symptome aufweisen als Männer.<ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref>  
 
| '''''Negativsymptome:''''' <br />
 
Einige AutorInnen berichten mehr Negativsymptome bei Männern als bei Frauen. <ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref>
 
 
|}
 
|}
 
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{| class="wikitable" style="float:left; margin-right:1em"
=== Diagnostik ===
 
 
 
== Management von Patienten und Patientinnen ==
 
=== Therapie ===
 
Günstige Outcomes zeigen Interventionsstrategien mit Östrogenstubstitution als Co-Medikation zur antipsychotischen Behandlung bei akutem Krankheitsschub: Zum Beispiel ergibt eine Studie von Häfner et al. (2006), dass eine Östrogentherapie einschließlich antipsychotischer Behandlung die Symptomremission bei akuter Schizophrenie deutlich beschleunigt (im Vergleich zur antipsychotischen Behandlung alleine). Dieser Effekt konnte bei Männern und Frauen nachgewiesen werden und bestätigt die antipsychotische Wirkung von Östrogen (ähnlich eines Neuroleptikums). Da dauerhafte Östrogengabe jedoch das Risiko einer Thrombose sowie kardiovaskulärer und kanzerogener Erkrankungen deutlich erhöht, sollte Kosten und Nutzen einer solchen Behandlung für Patientinnen und Patienten sehr genau abgewogen werden. Eine langfristige Östrogentherapie wird momentan nicht als geeignete Option eingeordnet. Dringend erforderlich sind Forschungen bezüglich östrogenähnlicher Wirkstoffe, die das Brust- und Gebärmuttergewebe weniger beeinträchtigen und die hormonellen Nebenwirkungen vor allem bei Männern begrenzen.<ref>Häfner H, Ehrenreich H, Gattaz WF, Louza MR, Riecher-Rossler A, Kulkarni J. Oestrogen-A Protective Factor in Schizophrenia? Current Psychiatry Reviews 2006; 2(3):339–52.</ref> <ref>Gaebel W, Wölwer W. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Themenheft 50 "Schizophrenie": Robert-Koch-Institut; 2010 Jul 27.</ref> Hoffnung besteht hinsichtlich der Erforschung von Östrogenpräparaten, die sich auf Neuronen und das zentrale Transmittersystem auswirken und dabei das Brust- und Gebärmuttergewebe beeinträchtigen (sogenannte  ''selective estrogen receptor modulators'', SERM). Die Erforschung von adäquaten SERM-Molekülen (vor allem auch zur Prävention schizophrener Erkrankungen) steht momentan noch ganz am Anfang.<ref>Häfner H. Die Rolle von Geschlecht und Gehirn bei Schizophrenie. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editor. Geschlecht und Gehirn: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Mann und Frau. Heidelberg: Springer Medizin; 2007. p. 297–330.</ref>
 
 
 
=== Interaktion zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin ===
 
=== Behandlungserfolg/Outcome ===
 
=== Psychosoziale Faktoren ===
 
Im Allgemeinen  lässt sich bei erkrankten Frauen im Vergleich zu erkrankten Männern eine höhere prämorbide sowie soziale Funktionalität beobachten.<ref>Ochoa S, Usall J, Cobo J, Labad X, Kulkarni J. Gender differences in schizophrenia and first-episode psychosis: a comprehensive literature review. Schizophrenia research and treatment 2012; 2012:916198.</ref>
 
Studien zeigen vor allem bei prämenopausalen Frauen einen sozial günstigeren Verlauf schizophrener Erkrankungen.<ref>Häfner H. Die Rolle von Geschlecht und Gehirn bei Schizophrenie. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editor. Geschlecht und Gehirn: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Mann und Frau. Heidelberg: Springer Medizin; 2007. p. 297–330.</ref> Der durchschnittlich spätere Ausbruch bei Frauen im Vergleich zu Männern im Hauptrisikoalter  (zwischen Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter) wird mit einer deutlichen Differenz der sozialen Entwicklung zugunsten des weiblichen Geschlechts assoziiert. Vergleicht man beide Geschlechter  hinsichtlich ihrer Erfüllung der sozialen Rolle bei Krankheitsausbruch, so sind Frauen in bestimmten sozialen Bereichen deutlich überlegen (vergleiche Tabelle 1). Beispielsweise führen sie deutlich häufiger als Männer eine stabile Partnerschaft <ref>Häfner H, Maurer K, an der Heiden, W. ABC Schizophrenia study: an overview of results since 1996. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 2013; 48(7):1021–31.</ref> und sind seltener wohnsitzlos.<ref>Ran M, Mao W, Chan CL, Chen EY, Conwell Y. Gender differences in outcomes in people with schizophrenia in rural China: 14-year follow-up study. The British journal of psychiatry : the journal of mental science 2015; 206(4):283–8.</ref> Es kann sich also aufgrund des früheren Krankheitsausbruches bei Männern ein soziales Defizit und damit ein sozialer Nachteil gegenüber Frauen bei Beginn einer Schizophrenie ergeben. Dieses soziale Defizit kann sich dann im Krankheitsverlauf weiter manifestieren. Tatsächlich sagt die Anzahl nicht erfüllter sozialer Rollen (z. B. feste Partnerschaft oder Berufsausbildung) bei Krankheitsausbruch die finanzielle Unabhängigkeit nach fünf Jahren vorher. Determiniert wird dieser soziale Prädiktor durch die Variablen Geschlecht und Erkrankungsalter. Damit lässt sich von einem indirekten Effekt von Geschlecht (und Erkrankungsalter) auf den unterschiedlichen sozialen Verlauf bei Schizophrenie ausgehen.<ref>Häfner H, Maurer K, Löffler W, der Heiden W an, Munk-Jørgensen P, Hambrecht M et al. The ABC schizophrenia study: A preliminary overview of the results. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology 1998; 33(8):380–6.</ref> Eine chinesische Follow-up- Studie von 2015 ergab außerdem, dass eine längere Krankheitsdauer (bei Männern) mit einer stärkeren Abnahme der Funktionalität sowie einen geringeren (familiären) ökonomischen Status assoziiert wird. Zudem erhielten hier Patienten im Vergleich zu Patientinnen deutlich weniger familiäre sowie allgemein soziale  Unterstützung.<ref>an M, Mao W, Chan CL, Chen EY, Conwell Y. Gender differences in outcomes in people with schizophrenia in rural China: 14-year follow-up study. The British journal of psychiatry : the journal of mental science 2015; 206(4):283–8. </ref>
 
 
 
<small>'''Tabelle 1. Geschlechterunterschiede in der Erfüllung der sozialen Rolle beim Auftreten erster Krankheitszeichen. [Quelle: Häfner et al. (1996)]'''</small> <ref>Häfner H. The epidemiology of onset and early course of schizophrenia. New research in psychiatry. Hogrefe & Huber Publishers, Seattle Toronto 1996:33–60.</ref>
 
 
 
{| class="wikitable"
 
 
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|-
! Soziale Rolle !! Männer (N = 108) !! ''p'' !! Frauen (N = 108) !! Gesamt (N = 232)
+
|style="border: 2px #003399 solid;" | [https://gendermedwiki.uni-muenster.de/editorial-board/education.php?articleId=98 <big><big><span><u>Lehrmaterial</u></span></big></big>]
|-
 
| Schulbildung || 70 % || n. s. || 69 % || 70 %
 
|-
 
| Berufsausbildung || 41 %  || n. s. || 38 % || 39 %
 
|-
 
| Berufstätigkeit || 37 % || ''p'' ≤ 0.05 || 52 % || 45 %
 
|-
 
| Eigenes Einkommen || 44 % || n. s. || 55 % || 50 %
 
|-
 
| Eigene Wohnung || 39 % || ''p'' ≤ 0.05 || 54 % || 47 %
 
|-
 
| Ehe/stabile Partnerschaft || 28 % || ''p'' ≤ 0.01 || 52 % || 41 %
 
 
|}
 
|}
 
+
{| class="wikitable" style="float:left"
<small>'''Tabelle 2. Vergleich der Lebenssituation erkrankter Frauen und Männer 15.5 Jahre nach der Erstaufnahme. [Quelle: Häfner et al. (2003)]'''</small> <ref>Häfner H. Gender differences in schizophrenia. Psychoneuroendocrinology 2003; 28:17–54.</ref>
 
{| class="wikitable"
 
|-
 
!  !! Frauen (N = 22) !! Männer (N = 34) !! ''p''
 
 
|-
 
|-
| Altersmittelwert || 44 Jahre || 41 Jahre || n. s.
+
|style="border: 2px #003399 solid;" | [[/Quiz |<big><big><span><u>Quiz</u></span></big></big>]]
|-
 
| Symptome oder Behinderung vorhanden || 59 % || 62 % || n. s.
 
|-
 
| Nie verheiratet || 23 % || 71 % || ''p'' ≤ 0.01
 
|-
 
| Verheiratet || 42 % || 19 % || n. s.
 
|-
 
| Lebt mit (Ehe-)partnerIn|| 53 % || 28 % || ''p'' ≤ 0.05
 
|-
 
| Lebt im Heim || 5 % || 28 % || n. s.
 
|-
 
| Hat eigene Kinder || 45 % || 26 % || ''p'' ≤ 0.05
 
|-
 
| Reguläres Beschäftigungsverhältnis || 26 % || 31 % || n. s.
 
 
|}
 
|}
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<br clear=all>
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==Lizenz==
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Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode
  
=== Prävention ===
+
==Autoren==
Die Behandlung mit Östrogen stellt eine aussichtsreiche Grundlage für die Prävention der Psychose dar. Hormonelle Nebenwirkungen vor allem für das männliche Geschlecht sowie ein deutlich erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen, Brustkrebs und Thrombose<ref>Grimes, David A. MD, Lobo, Rogerio A. MD. Perspectives on the Women's Health Initiative Trial of Hormone Replacement Therapy. Obstetrics & Gynecology 2002; 100(6):1344–53.</ref> sind Ursache dafür, warum dieses präventive Potential in der medizinischen Praxis nicht zur Anwendung kommt (siehe auch 4.1. Therapie).<ref>Häfner H. Die Rolle von Geschlecht und Gehirn bei Schizophrenie. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editor. Geschlecht und Gehirn: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Mann und Frau. Heidelberg: Springer Medizin; 2007. p. 297–330.</ref>
+
Julia Schreitmüller
 
 
== Ausblick ==
 
 
 
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">
 
Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
 
<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div>
 
</div>
 
  
== Lehrmaterialien ==
+
Zuletzt geändert: 2017-10-06 09:41:53
=== Fallstudien ===
 
=== Dias ===
 
=== Videos ===
 

Aktuelle Version vom 6. Oktober 2017, 09:41 Uhr

Fächer Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologie und Soziologie
Organsysteme Psyche
Hauptsymptome Denkstörung, Wahrnehmungsstörung, Störung des Affekts, Störung der Psychomotorik
Zusammenfassung Geschlechterunterschiede bei schizophrenen Erkrankungen konnten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von Emil Kraepelin beobachtet werden, blieben jedoch lange Zeit unberücksichtigt. Inzwischen kann bestätigt werden, dass Frauen im Vergleich zu Männern nicht nur ein durchschnittlich höheres Erstaufnahmealter haben, sondern im Mittel auch drei bis vier Jahre später erkranken. Männer zeigen sowohl erste unspezifische Krankheitszeichen als auch spezifische schizophrene Symptome früher als Frauen. Jedoch scheint das kumultative Lebenszeitrisiko (bis zum Alter von 60 Jahren) bei beiden Geschlechtern gleich zu sein. Symptomatische Geschlechterunterschiede scheinen nicht zu bestehen, das Krankheitsverhalten zeigt signifikante, jedoch keine großen Geschlechterunterschiede. Im Krankheitsverlauf ergeben sich keine deutlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern.
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Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren

Julia Schreitmüller

Zuletzt geändert: 2017-10-06 09:41:53