Geschlechtersensible Medizin über die Lebensspanne/Fachartikel: Unterschied zwischen den Versionen

 
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==Kindheit und Jugend==
 
==Kindheit und Jugend==
  
Grundlegende Unterschiede existieren zwischen Mädchen und Jungen in Bereichen wie Physiologie, Hormone, Entwicklung sowie Nutzung des Gesundheitssystems. Obgleich enorm relevant, wurden diese Unterschiede von Theorie und Praxis bisher oft nicht berücksichtigt. In den letzten Jahren ist nun der Fokus auf gesundheitsbezogene Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gewachsen und neues Wissen wird zunehmend verfügbar.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref><br>
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Grundlegende Unterschiede existieren zwischen M&auml;dchen und Jungen in Bereichen wie Physiologie, Hormone, Entwicklung sowie Nutzung des Gesundheitssystems. Obgleich enorm relevant, wurden diese Unterschiede von Theorie und Praxis bisher oft nicht ber&uuml;cksichtigt. In den letzten Jahren ist nun der Fokus auf gesundheitsbezogene Unterschiede zwischen Jungen und M&auml;dchen gewachsen und neues Wissen wird zunehmend verf&uuml;gbar.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
  
 
===Biologische Entwicklung===
 
===Biologische Entwicklung===
Bis zum Ende der sechsten Schwangerschaftswoche sind die Anlagen der Keimdrüsen und Genitalien beider Geschlechter morphologisch identisch. Erst dann werden die SRY-Gene (geschlechtsbestimmende Region auf dem Y-Chromosom) sowie die SOX9-Gene auf Chromosom 17 aktiv. Zusammen sorgen sie dann für die Entwicklung eines männlichen Embryos. In Abwesenheit des SRY-Proteins entwickeln sich anstelle der Hoden Ovarien (siehe auch: [[Chromosomale Grundlage: XX und XY]]). Unter dem Einfluss von Testosteron kommt es bereits beim Fötus zu einer spezifischen Gehirnentwicklung. Zum Beispiel entwickelt sich die rechte Gehirnhälfte bei Jungen besser als die linke. Durchschnittlich entwickeln sich Jungen langsamer als Mädchen. Das männliche Gehirn ist mit 25 Jahren ausgereift, während dies bei Frauen bereits circa zwei Jahre früher der Fall ist. Das männliche [[Immunsystem|Immunsystem]] ist etwas schwächer, was besonders in den ersten zwei Lebensjahren dazu führt, dass Jungen durchschnittlich öfter erkranken als Mädchen. Körperlicher Wachstum verläuft bei Jungen langsamer und irregulärer als bei Mädchen. Jungen haben häufig Wachstumsschübe, während Mädchen stetiger wachsen. Ähnlich verläuft die emotionale und kognitive Entwicklung bei Jungen langsamer und irregulärer als bei Mädchen. Bezüglich der Sprachentwicklung liegen Jungen zwölf bis 18 Monate hinter Mädchen. Zudem ermöglicht der höher entwickelte Frontalkortex bei Mädchen eine bessere Impulskontroll. Mädchen kommen zwischen neun und 14 Jahre in die Pubertät, während bei Jungen der Pubertätsbeginn zwischen zehn und 17 Jahren liegt. Die sexuelle Entwicklung führt nicht nur zur Fertilität, sondern vor allem auch zu radikalen körperlichen Veränderungen, die tiefgreifende physische und psychosoziale Auswirkungen mit sich bringen. <br>Geschlechtsspezifische Forschung hat gezeigt, dass die Gehirnentwicklung von Jungen und Mädchen sich bereits pränatal unterscheidet und damit das biologische Geschlecht einen enormen Einfluss besitzt. Dennoch wird die Gehirnentwicklung maßgeblich durch Lernprozesse während der Erziehung gefördert und geprägt. So ist die Möglichkeit nicht ausschließbar, dass eine geschlechterstereotype Behandlung von Kindern in einem solchen Ausmaß beeinflusst, dass geschlechterspezifische Unterschiede in der Gehirnentwicklung entstehen können.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
 
  
===Körperliche Beschwerden===
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Bis zum Ende der sechsten Schwangerschaftswoche sind die Anlagen der Keimdr&uuml;sen und Genitalien beider Geschlechter morphologisch identisch. Erst dann werden die SRY-Gene (geschlechtsbestimmende Region auf dem Y-Chromosom) sowie die SOX9-Gene auf Chromosom 17 aktiv. Zusammen sorgen sie dann f&uuml;r die Entwicklung eines m&auml;nnlichen Embryos. In Abwesenheit des SRY-Proteins entwickeln sich anstelle der Hoden Ovarien (siehe auch: [[Chromosomale Grundlage: XX und XY]]). Unter dem Einfluss von Testosteron kommt es bereits beim F&ouml;tus zu einer spezifischen Gehirnentwicklung. Zum Beispiel entwickelt sich die rechte Gehirnh&auml;lfte bei Jungen besser als die linke. Durchschnittlich entwickeln sich Jungen langsamer als M&auml;dchen. Das m&auml;nnliche Gehirn ist mit 25 Jahren ausgereift, w&auml;hrend dies bei Frauen bereits circa zwei Jahre fr&uuml;her der Fall ist. Das m&auml;nnliche [[Immunsystem|Immunsystem]] ist etwas schw&auml;cher, was besonders in den ersten zwei Lebensjahren dazu f&uuml;hrt, dass Jungen durchschnittlich &ouml;fter erkranken als M&auml;dchen. K&ouml;rperlicher Wachstum verl&auml;uft bei Jungen langsamer und irregul&auml;rer als bei M&auml;dchen. Jungen haben h&auml;ufig Wachstumssch&uuml;be, w&auml;hrend M&auml;dchen stetiger wachsen. &Auml;hnlich verl&auml;uft die emotionale und kognitive Entwicklung bei Jungen langsamer und irregul&auml;rer als bei M&auml;dchen. Bez&uuml;glich der Sprachentwicklung liegen Jungen zw&ouml;lf bis 18 Monate hinter M&auml;dchen. Zudem erm&ouml;glicht der h&ouml;her entwickelte Frontalkortex bei M&auml;dchen eine bessere Impulskontroll. M&auml;dchen kommen zwischen neun und 14 Jahre in die Pubert&auml;t, w&auml;hrend bei Jungen der Pubert&auml;tsbeginn zwischen zehn und 17 Jahren liegt. Die sexuelle Entwicklung f&uuml;hrt nicht nur zur Fertilit&auml;t, sondern vor allem auch zu radikalen k&ouml;rperlichen Ver&auml;nderungen, die tiefgreifende physische und psychosoziale Auswirkungen mit sich bringen.&nbsp;<br />
Körperliche Symptome sind insbesondere bei Mädchen der Hauptgrund für das Aufsuchen einer Ärztin oder eines Arztes. Dabei umfassen gesundheitliche Probleme vor allem Spannungskopfschmerzen, Migräne, Magenbeschwerden, Obstipation und Erschöpfung. Die wahrgenommene Gesundheit verschlechtert sich je älter Kinder werden: Bei 96 Prozent der unter zwölfjährigen bewerten die Eltern bzw. BetreuerInnen die Gesundheit des Kindes als gut, die zwölf bis 18-jährigen (Jugendliche) berichten zu 92 Prozent und die 18 bis 25-jährigen (junge Erwachsene) zu 90 Prozent von guter Gesundheit. Mädchen bewerten ihre Gesundheit etwas weniger positiv als Jungen, wobei diese Differenz mit dem Alter zunimmt.<ref>HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014.</ref>
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Geschlechtsspezifische Forschung hat gezeigt, dass die Gehirnentwicklung von Jungen und M&auml;dchen sich bereits pr&auml;natal unterscheidet und damit das biologische Geschlecht einen enormen Einfluss besitzt. Dennoch wird die Gehirnentwicklung ma&szlig;geblich durch Lernprozesse w&auml;hrend der Erziehung gef&ouml;rdert und gepr&auml;gt. So ist die M&ouml;glichkeit nicht ausschlie&szlig;bar, dass eine geschlechterstereotype Behandlung von Kindern in einem solchen Ausma&szlig; beeinflusst, dass geschlechterspezifische Unterschiede in der Gehirnentwicklung entstehen k&ouml;nnen.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
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===K&ouml;rperliche Beschwerden===
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K&ouml;rperliche Symptome sind insbesondere bei M&auml;dchen der Hauptgrund f&uuml;r das Aufsuchen einer &Auml;rztin oder eines Arztes. Dabei umfassen gesundheitliche Probleme vor allem Spannungskopfschmerzen, Migr&auml;ne, Magenbeschwerden, Obstipation und Ersch&ouml;pfung. Die wahrgenommene Gesundheit verschlechtert sich je &auml;lter Kinder werden: Bei 96 Prozent der unter zw&ouml;lfj&auml;hrigen bewerten die Eltern bzw. BetreuerInnen die Gesundheit des Kindes als gut, die zw&ouml;lf bis 18-j&auml;hrigen (Jugendliche) berichten zu 92 Prozent und die 18 bis 25-j&auml;hrigen (junge Erwachsene) zu 90 Prozent von guter Gesundheit. M&auml;dchen bewerten ihre Gesundheit etwas weniger positiv als Jungen, wobei diese Differenz mit dem Alter zunimmt.<ref>HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014.</ref>
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===Psychosoziale Probleme&nbsp;===
  
===Psychosoziale Probleme ===
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Einer niederl&auml;ndischen Studie zufolge sind junge Menschen generell gl&uuml;cklich.<ref>Vollebergh W, Looze Md. HBSC 2013: Gezondheid, welzijn en opvoeding van jongeren in Nederland. Utrecht: Universiteit Utrecht; 2014.</ref> Dabei sind Grundsch&uuml;lerInnen durchschnittlich gl&uuml;cklicher als Sch&uuml;lerInnen weiterf&uuml;hrender Schulen. W&auml;hrend der Adoleszenz sind mehr M&auml;dchen als Jungen ungl&uuml;cklich.HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014. Verhaltensprobleme manifestieren sich bei Jungen anders als bei M&auml;dchen. Jungen verhalten sich h&auml;ufiger st&ouml;rend bez&uuml;glich ihrer Umwelt: Sie sind impulsiver und verbal lauter. M&auml;dchen richten ihre Probleme eher gegen sich selbst. Sie werden h&auml;ufiger depressiv, entwickeln Essst&ouml;rungen oder zeigen selbstverletzendes Verhalten. M&auml;dchen mit psychischen Problemen suchen sich h&auml;ufiger professionelle Hilfe (meistens bei der Haus&auml;rztin oder dem Hausarzt) als Jungen mit psychischen Problemen.<ref>Reijneveld SA, Wiegersma PA, Ormel J, Verhulst FC, Vollebergh WAM, Jansen, Danielle E. M. C. et al. Adolescents&rsquo; Use of Care for Behavioral and Emotional Problems: Types, Trends, and Determinants. PLoS ONE 2014; 9(4):e93526.</ref><br />
Einer niederländischen Studie zufolge sind junge Menschen generell glücklich.<ref>Vollebergh W, Looze Md. HBSC 2013: Gezondheid, welzijn en opvoeding van jongeren in Nederland. Utrecht: Universiteit Utrecht; 2014.</ref> Dabei sind GrundschülerInnen durchschnittlich glücklicher als SchülerInnen weiterführender Schulen. Während der Adoleszenz sind mehr Mädchen als Jungen unglücklich.HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014. Verhaltensprobleme manifestieren sich bei Jungen anders als bei Mädchen. Jungen verhalten sich häufiger störend bezüglich ihrer Umwelt: Sie sind impulsiver und verbal lauter. Mädchen richten ihre Probleme eher gegen sich selbst. Sie werden häufiger depressiv, entwickeln Essstörungen oder zeigen selbstverletzendes Verhalten. Mädchen mit psychischen Problemen suchen sich häufiger professionelle Hilfe (meistens bei der Hausärztin oder dem Hausarzt) als Jungen mit psychischen Problemen.<ref>Reijneveld SA, Wiegersma PA, Ormel J, Verhulst FC, Vollebergh WAM, Jansen, Danielle E. M. C. et al. Adolescents’ Use of Care for Behavioral and Emotional Problems: Types, Trends, and Determinants. PLoS ONE 2014; 9(4):e93526.</ref><br> <br>30 Prozent der über 16-jährigen Jungen trinken mehr als zehn alkoholische Getränke an einem Tag in der Woche, aber nur neun Prozent der Mädchen zeigen ein solches Trinkverhalten. Alkoholkonsum bei Mädchen nimmt aktuell zu, wobei sie weniger gut in der Lage sind, mit den Auswirkungen des Konsums umzugehen. Die Anzahl von Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren, die aufgrund von Alkoholvergiftungen stationär aufgenommen wurde, ist im Zeitraum von 2000 bis 2010 um 101 Prozent angestiegen. Bei Jungen lag dieser Anstieg bei 66 Prozent.<ref>Valkenberg H, en Veiligheid SC. Alcoholvergiftigingen en ongevallen met alcohol bij jongeren van 10 tot en met 24 jaar. Asterdam; 2006.</ref> Problematisches Spielverhalten tritt hauptsächlich bei Jungen auf (sieben Prozent im Vergleich zu 0.9 Prozent bei Mädchen). Problematischer Gebrauch von sozialen Medien ist dagegen verbreiteter bei Mädchen (8.6 Prozent im Vergleich zu 3.7 Prozent bei Jungen).<ref>van Rooij AJ, Schoenmakers TM. Monitor Internet en Jongeren 2010-2012: Het (mobiele) gebruik van sociale media en games door jongeren [The (mobile) use of social media and games by adolescents]. Rotterdam: Center for Behavioral Internet Science & IVO; 2013.</ref> Dabei korreliert problematischer Mediengebrauch mit schlechter Schulleistung, einer reduzierten sozialen Interaktion (Interaktion über das Internet nicht miteinbezogen) und depressiver Verstimmung.<ref>18. Kuss DJ, Griffiths MD. Online Social Networking and Addiction—A Review of the Psychological Literature. IJERPH 2011; 8(12):3528–52.</ref><br>Die Prävalenz von ADHS und Autismus ist bei Jungen höher als bei Mädchen und aufgrund dessen werden diese Störungen bei Mädchen häufiger übersehen. Die Autismus-Spektrum-Störung manifestiert sich zwischen den Geschlechtern unterschiedlich. Mädchen nutzen oft Kompensationsmechanismen bezüglich sozialer Interaktion und Kommunikation. Verhaltensbeobachtung gewährleistet dann nur einen unzulänglichen Einblick in die bestehende Problematik. Folge ist, dass Eltern, LehrerInnen und oft auch Psychologen/Psychologinnen und PsychiaterInnen weniger wahrscheinlich milde Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung bei Mädchen erkennen. Jungen mit ADHS zeigen impulsives und „schwieriges“ Verhalten. Mädchen werden als überaktiv und übermäßig gesprächig, aber nicht notwendigerweise als „schwierig“ betrachtet, sodass professionelle Hilfe nicht immer in Anspruch genommen wird.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref><br>Den vollständigen Artikel zu ADHS finden Sie [[Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung | hier]].<br><br>Wenn sie nur mit einem biologischen Elternteil aufwachsen, steigt das Risiko eines sexuellen Missbrauchs bei Jungen und Mädchen. Wobei Mädchen grundsätzlich häufiger betroffen sind als Jungen (besonders wenn sie mit einem Stiefvater zusammenleben). Zudem tritt sexueller Missbrauch häufiger in Familien auf, in denen die Mutter tatsächlich oder emotional abwesend ist (z. B. aufgrund psychischer oder physischer Krankheit).<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
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30 Prozent der &uuml;ber 16-j&auml;hrigen Jungen trinken mehr als zehn alkoholische Getr&auml;nke an einem Tag in der Woche, aber nur neun Prozent der M&auml;dchen zeigen ein solches Trinkverhalten. Alkoholkonsum bei M&auml;dchen nimmt aktuell zu, wobei sie weniger gut in der Lage sind, mit den Auswirkungen des Konsums umzugehen. Die Anzahl von M&auml;dchen zwischen 15 und 19 Jahren, die aufgrund von Alkoholvergiftungen station&auml;r aufgenommen wurde, ist im Zeitraum von 2000 bis 2010 um 101 Prozent angestiegen. Bei Jungen lag dieser Anstieg bei 66 Prozent.<ref>Valkenberg H, en Veiligheid SC. Alcoholvergiftigingen en ongevallen met alcohol bij jongeren van 10 tot en met 24 jaar. Asterdam; 2006.</ref> Problematisches Spielverhalten tritt haupts&auml;chlich bei Jungen auf (sieben Prozent im Vergleich zu 0.9 Prozent bei M&auml;dchen). Problematischer Gebrauch von sozialen Medien ist dagegen verbreiteter bei M&auml;dchen (8.6 Prozent im Vergleich zu 3.7 Prozent bei Jungen).<ref>van Rooij AJ, Schoenmakers TM. Monitor Internet en Jongeren 2010-2012: Het (mobiele) gebruik van sociale media en games door jongeren [The (mobile) use of social media and games by adolescents]. Rotterdam: Center for Behavioral Internet Science &amp; IVO; 2013.</ref> Dabei korreliert problematischer Mediengebrauch mit schlechter Schulleistung, einer reduzierten sozialen Interaktion (Interaktion &uuml;ber das Internet nicht miteinbezogen) und depressiver Verstimmung.<ref>18. Kuss DJ, Griffiths MD. Online Social Networking and Addiction&mdash;A Review of the Psychological Literature. IJERPH 2011; 8(12):3528&ndash;52.</ref><br />
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Die Pr&auml;valenz von ADHS und Autismus ist bei Jungen h&ouml;her als bei M&auml;dchen und aufgrund dessen werden diese St&ouml;rungen bei M&auml;dchen h&auml;ufiger &uuml;bersehen. Die Autismus-Spektrum-St&ouml;rung manifestiert sich zwischen den Geschlechtern unterschiedlich. M&auml;dchen nutzen oft Kompensationsmechanismen bez&uuml;glich sozialer Interaktion und Kommunikation. Verhaltensbeobachtung gew&auml;hrleistet dann nur einen unzul&auml;nglichen Einblick in die bestehende Problematik. Folge ist, dass Eltern, LehrerInnen und oft auch Psychologen/Psychologinnen und PsychiaterInnen weniger wahrscheinlich milde Symptome einer Autismus-Spektrum-St&ouml;rung bei M&auml;dchen erkennen. Jungen mit ADHS zeigen impulsives und &bdquo;schwieriges&ldquo; Verhalten. M&auml;dchen werden als &uuml;beraktiv und &uuml;berm&auml;&szlig;ig gespr&auml;chig, aber nicht notwendigerweise als &bdquo;schwierig&ldquo; betrachtet, sodass professionelle Hilfe nicht immer in Anspruch genommen wird.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref><br />
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Den vollst&auml;ndigen Artikel zu ADHS finden Sie [[Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivit&auml;tsst&ouml;rung | hier]].<br />
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Wenn sie nur mit einem biologischen Elternteil aufwachsen, steigt das Risiko eines sexuellen Missbrauchs bei Jungen und M&auml;dchen. Wobei M&auml;dchen grunds&auml;tzlich h&auml;ufiger betroffen sind als Jungen (besonders wenn sie mit einem Stiefvater zusammenleben). Zudem tritt sexueller Missbrauch h&auml;ufiger in Familien auf, in denen die Mutter tats&auml;chlich oder emotional abwesend ist (z. B. aufgrund psychischer oder physischer Krankheit).<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
  
 
==Erwachsenenalter und soziale Partizipation==
 
==Erwachsenenalter und soziale Partizipation==
  
Unsere Erwachsenenjahre sind geprägt von gesellschaftlicher Partizipation. Neben der Familiengründung (in allen möglichen Variationen) sind die meisten Menschen involviert in bezahlte und/oder freiwillige Arbeit. Viele (geschlechterspezifischen) Gesundheitsprobleme können sich im Erwachsenenalter manifestieren. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Integration und Gesundheit. Arbeit (inklusive Freiwilligenarbeit) hat generell einen positiven Effekt auf Gesundheit. Dennoch können berufsbedingte Krankheiten entstehen oder bestehende Erkrankungen verschlimmern sich aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen. Umgekehrt hat die individuelle Gesundheit Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt (und auf andere Formen sozialer Interaktion).<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
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Unsere Erwachsenenjahre sind gepr&auml;gt von gesellschaftlicher Partizipation. Neben der Familiengr&uuml;ndung (in allen m&ouml;glichen Variationen) sind die meisten Menschen involviert in bezahlte und/oder freiwillige Arbeit. Viele (geschlechterspezifischen) Gesundheitsprobleme k&ouml;nnen sich im Erwachsenenalter manifestieren. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Integration und Gesundheit. Arbeit (inklusive Freiwilligenarbeit) hat generell einen positiven Effekt auf Gesundheit. Dennoch k&ouml;nnen berufsbedingte Krankheiten entstehen oder bestehende Erkrankungen verschlimmern sich aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen. Umgekehrt hat die individuelle Gesundheit Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt (und auf andere Formen sozialer Interaktion).<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
  
===Beruf und Geschlecht ===
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===Beruf und Geschlecht&nbsp;===
  
Bestimmte Berufe werden deutlich häufiger von Männern ausgeführt, während andere typischerweise von Frauen besetzt werden. Männer arbeiten öfter in Bereichen, die schwere körperliche Arbeit umfassen (z. B. im Bauwesen). Aber auch Frauen sind in Berufen tätig, die körperlich belastend sind (z. B. Gesundheitspflege oder Gebäudereinigung).<ref>Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.</ref>
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Bestimmte Berufe werden deutlich h&auml;ufiger von M&auml;nnern ausgef&uuml;hrt, w&auml;hrend andere typischerweise von Frauen besetzt werden. M&auml;nner arbeiten &ouml;fter in Bereichen, die schwere k&ouml;rperliche Arbeit umfassen (z. B. im Bauwesen). Aber auch Frauen sind in Berufen t&auml;tig, die k&ouml;rperlich belastend sind (z. B. Gesundheitspflege oder Geb&auml;udereinigung).<ref>Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.</ref>
  
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Männer tendenziell eher in körperlich fordernden und Frauen eher in emotional fordernden Berufen arbeiten. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Berufen, in denen sie geringes Mitspracherecht haben (bezüglich inhaltlicher und zeitlicher Aspekte).<ref>WILLNESS CR, STEEL P, LEE K. A META-ANALYSIS OF THE ANTECEDENTS AND CONSEQUENCES OF WORKPLACE SEXUAL HARASSMENT. Personnel Psychology 2007; 60(1):127–62.</ref> Mehr Frauen als Männer arbeiten in gering bezahlten Bereichen und werden zudem häufig für die gleiche Arbeit schlechter entlohnt als Männer. Deutlich mehr Frauen werden Opfer sexueller Belästigung oder sexuellen Missbrauchs während der Arbeitszeit. Frauen engagieren sich öfter in Ehrenämtern und der informellen Pflege. Sie kümmern sich stärker als Männer um ihre Kinder, Verwandten, Freunde und Freundinnen oder Nachbarn und Nachbarinnen.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
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Insgesamt l&auml;sst sich feststellen, dass M&auml;nner tendenziell eher in k&ouml;rperlich fordernden und Frauen eher in emotional fordernden Berufen arbeiten. Zudem arbeiten Frauen h&auml;ufiger in Berufen, in denen sie geringes Mitspracherecht haben (bez&uuml;glich inhaltlicher und zeitlicher Aspekte).<ref>WILLNESS CR, STEEL P, LEE K. A META-ANALYSIS OF THE ANTECEDENTS AND CONSEQUENCES OF WORKPLACE SEXUAL HARASSMENT. Personnel Psychology 2007; 60(1):127&ndash;62.</ref> Mehr Frauen als M&auml;nner arbeiten in gering bezahlten Bereichen und werden zudem h&auml;ufig f&uuml;r die gleiche Arbeit schlechter entlohnt als M&auml;nner. Deutlich mehr Frauen werden Opfer sexueller Bel&auml;stigung oder sexuellen Missbrauchs w&auml;hrend der Arbeitszeit. Frauen engagieren sich &ouml;fter in Ehren&auml;mtern und der informellen Pflege. Sie k&uuml;mmern sich st&auml;rker als M&auml;nner um ihre Kinder, Verwandten, Freunde und Freundinnen oder Nachbarn und Nachbarinnen.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
  
===Beruf und Gesundheit ===
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===Beruf und Gesundheit&nbsp;===
  
Die Tatsache, dass Frauen eher unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden und geringere subjektive Gesundheitswerte haben, hat einen negativen Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und andere soziale Gebiete. Forschungen zu Gesundheit und Arbeit haben herausgefunden, dass der Einfluss geringer Gesundheit besonders groß ist bei Frauen türkischen und marokkanischen Ursprungs. Dabei kann schlechte Gesundheit in unterschiedlicher Weise negativen Einfluss auf das Berufsleben nehmen: Personen können von der Berufstätigkeit völlig ausgeschlossen sein (Arbeitsunfähigkeit), häufig krankgeschrieben oder frühzeitig berentet werden. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, wobei vor allem bei älteren Frauen schlechte Gesundheitswerte ursächlich sind. Forschungen haben ergeben, dass vor allem ältere, gut ausgebildete Frauen (in allen Bereichen der Arbeit) besonders häufig von Müdigkeit und Erschöpfung bezüglich ihrer Berufstätigkeit berichten. Frauen, die weniger als 25 Stunden pro Woche arbeiten, berichten seltener von diesen Problemen, als Frauen, die mehr als 25 Stunden oder ganztags arbeiten. Es lässt sich folgern, dass Frauen Teilzeit arbeiten, um die Gesamtbelastung (bezüglich Berufstätigkeit, Versorgung von Kindern und Haushalt sowie informeller Pflege) zu begrenzen und ihre Gesundheit zu schützen. Die laufenden Veränderungen im Versorgungssystem werden möglicherweise zu einem steigenden Bedarf an informeller Pflege führen und damit wird besonders der Druck auf Frauen erhöht, die deutlich häufiger diese Aufgabe übernehmen. Obgleich Teilzeitarbeit häufig mit Mutterschaft erklärt wird, scheint dieses Arbeitsprofil momentan die durchschnittliche Norm für alle Frauen zu sein.<ref>Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.</ref>
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Die Tatsache, dass Frauen eher unter gesundheitlichen Einschr&auml;nkungen leiden und geringere subjektive Gesundheitswerte haben, hat einen negativen Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und andere soziale Gebiete. Forschungen zu Gesundheit und Arbeit haben herausgefunden, dass der Einfluss geringer Gesundheit besonders gro&szlig; ist bei Frauen t&uuml;rkischen und marokkanischen Ursprungs. Dabei kann schlechte Gesundheit in unterschiedlicher Weise negativen Einfluss auf das Berufsleben nehmen: Personen k&ouml;nnen von der Berufst&auml;tigkeit v&ouml;llig ausgeschlossen sein (Arbeitsunf&auml;higkeit), h&auml;ufig krankgeschrieben oder fr&uuml;hzeitig berentet werden. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, wobei vor allem bei &auml;lteren Frauen schlechte Gesundheitswerte urs&auml;chlich sind. Forschungen haben ergeben, dass vor allem &auml;ltere, gut ausgebildete Frauen (in allen Bereichen der Arbeit) besonders h&auml;ufig von M&uuml;digkeit und Ersch&ouml;pfung bez&uuml;glich ihrer Berufst&auml;tigkeit berichten. Frauen, die weniger als 25 Stunden pro Woche arbeiten, berichten seltener von diesen Problemen, als Frauen, die mehr als 25 Stunden oder ganztags arbeiten. Es l&auml;sst sich folgern, dass Frauen Teilzeit arbeiten, um die Gesamtbelastung (bez&uuml;glich Berufst&auml;tigkeit, Versorgung von Kindern und Haushalt sowie informeller Pflege) zu begrenzen und ihre Gesundheit zu sch&uuml;tzen. Die laufenden Ver&auml;nderungen im Versorgungssystem werden m&ouml;glicherweise zu einem steigenden Bedarf an informeller Pflege f&uuml;hren und damit wird besonders der Druck auf Frauen erh&ouml;ht, die deutlich h&auml;ufiger diese Aufgabe &uuml;bernehmen. Obgleich Teilzeitarbeit h&auml;ufig mit Mutterschaft erkl&auml;rt wird, scheint dieses Arbeitsprofil momentan die durchschnittliche Norm f&uuml;r alle Frauen zu sein.<ref>Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.</ref>
  
Generell sollten Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vor allem in Führungspositionen) besser vertreten sein. Aktuell sind Frauen immer noch stärker von der Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit betroffen als Männer. Zudem sind sie im Vergleich zu Familienvätern häufiger und länger aufgrund der Kinderversorgung vom Arbeitsmarkt abwesend. Frauen sind häufiger krankgeschrieben als Männer, wobei diese Differenz zwischen dem 25 und 35 Lebensjahr am größten ist. Ursächlich sind vor allem Krankheitsausfälle aufgrund von Schwangerschaft oder Komplikationen während der Geburt. Die höhere Rate von Krankheitstagen bei Frauen (unabhängig vom Alter) erklärt sich zudem aus der Tatsache, dass ein relativ hoher Anteil von Frauen im pädagogischen und Gesundheitsbereich tätig ist. Die durchschnittlichen Krankheitstage sind hier berufsbedingt relativ hoch.<ref>Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.</ref> Die Prävalenz psychischer Erkrankungen wie [[Angststörungen]] und [[Depression]] ist bei Frauen höher als bei Männern und ist häufig Grund für Krankschreibungen.<ref>Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309–21.</ref> Da Frauen sich relativ spät in den Arbeitsmarkt integrieren konnten (in den 1980er Jahren), ist das aktuelle Durchschnittsalter von berufstätigen Frauen geringer als von Männern.<ref>Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.</ref> Es ist davon auszugehen, dass die Krankheitstage von Frauen mit Zunahme des Altersdurchschnitts in den nächsten Jahren weiter steigen werden.<ref>Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309–21.</ref>
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Generell sollten Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vor allem in F&uuml;hrungspositionen) besser vertreten sein. Aktuell sind Frauen immer noch st&auml;rker von der Doppelbelastung durch Familie und Berufst&auml;tigkeit betroffen als M&auml;nner. Zudem sind sie im Vergleich zu Familienv&auml;tern h&auml;ufiger und l&auml;nger aufgrund der Kinderversorgung vom Arbeitsmarkt abwesend. Frauen sind h&auml;ufiger krankgeschrieben als M&auml;nner, wobei diese Differenz zwischen dem 25 und 35 Lebensjahr am gr&ouml;&szlig;ten ist. Urs&auml;chlich sind vor allem Krankheitsausf&auml;lle aufgrund von Schwangerschaft oder Komplikationen w&auml;hrend der Geburt. Die h&ouml;here Rate von Krankheitstagen bei Frauen (unabh&auml;ngig vom Alter) erkl&auml;rt sich zudem aus der Tatsache, dass ein relativ hoher Anteil von Frauen im p&auml;dagogischen und Gesundheitsbereich t&auml;tig ist. Die durchschnittlichen Krankheitstage sind hier berufsbedingt relativ hoch.<ref>Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.</ref> Die Pr&auml;valenz psychischer Erkrankungen wie [[Angstst&ouml;rungen]] und [[Depression]] ist bei Frauen h&ouml;her als bei M&auml;nnern und ist h&auml;ufig Grund f&uuml;r Krankschreibungen.<ref>Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309&ndash;21.</ref> Da Frauen sich relativ sp&auml;t in den Arbeitsmarkt integrieren konnten (in den 1980er Jahren), ist das aktuelle Durchschnittsalter von berufst&auml;tigen Frauen geringer als von M&auml;nnern.<ref>Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.</ref> Es ist davon auszugehen, dass die Krankheitstage von Frauen mit Zunahme des Altersdurchschnitts in den n&auml;chsten Jahren weiter steigen werden.<ref>Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309&ndash;21.</ref>
  
 
==Altersmedizin==
 
==Altersmedizin==
  
Eine wichtige Herausforderung für das Gesundheitssystem ist das „gesunde Altern“. Obwohl Frauen durchschnittlich länger leben, verbringen sie genauso viele Jahre in guter Gesundheit wie Männer (siehe auch: [[Lebenserwartung]]). Das heißt, während der Jahre, die Frauen länger leben, leiden sie häufig unter chronischen Krankheiten und berichten von einer geringen krankheitsbezogene Lebensqualität mit deutlichen Funktionseinschränkungen. Ein enormer Anteil des Gesundheitsbudgets wird für chronische Erkrankungen bei älteren Frauen ausgegeben. Im höheren und hohen Erwachsenenalter unterscheiden sich Männer und Frauen nicht nur bezüglich der Art ihrer Erkrankungen, sondern auch in der Anzahl der gesundheitlichen Einschränkungen. Dabei sind Frauen deutlich häufiger von Multimorbidität (simultanes Auftreten mehrerer Erkrankungen) betroffen.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref> Doch selbst wenn Frauen und Männer unter der gleichen Anzahl gesundheitlicher Einschränkungen leiden, scheinen die Beschwerden, die Frauen beschreiben, schwerwiegender zu sein. Dabei kann tatsächlich eine schwerwiegenderes  Problem ursächlich sein, und/oder andere Faktoren (zum Beispiel das [[Das soziale Geschlecht („Gender“)|soziale Geschlecht]]) beeinflussen die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit.<ref>Whitson HE, Landerman LR, Newman AB, Fried LP, Pieper CF, Cohen HJ. Chronic medical conditions and the sex-based disparity in disability: the Cardiovascular Health Study. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences 2010; 65(12):1325–31.</ref> Bisher besteht diesbezüglich wenig Forschungserkenntnis.
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Eine wichtige Herausforderung f&uuml;r das Gesundheitssystem ist das &bdquo;gesunde Altern&ldquo;. Obwohl Frauen durchschnittlich l&auml;nger leben, verbringen sie genauso viele Jahre in guter Gesundheit wie M&auml;nner (siehe auch: [[Lebenserwartung]]). Das hei&szlig;t, w&auml;hrend der Jahre, die Frauen l&auml;nger leben, leiden sie h&auml;ufig unter chronischen Krankheiten und berichten von einer geringen krankheitsbezogene Lebensqualit&auml;t mit deutlichen Funktionseinschr&auml;nkungen. Ein enormer Anteil des Gesundheitsbudgets wird f&uuml;r chronische Erkrankungen bei &auml;lteren Frauen ausgegeben. Im h&ouml;heren und hohen Erwachsenenalter unterscheiden sich M&auml;nner und Frauen nicht nur bez&uuml;glich der Art ihrer Erkrankungen, sondern auch in der Anzahl der gesundheitlichen Einschr&auml;nkungen. Dabei sind Frauen deutlich h&auml;ufiger von Multimorbidit&auml;t (simultanes Auftreten mehrerer Erkrankungen) betroffen.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref> Doch selbst wenn Frauen und M&auml;nner unter der gleichen Anzahl gesundheitlicher Einschr&auml;nkungen leiden, scheinen die Beschwerden, die Frauen beschreiben, schwerwiegender zu sein. Dabei kann tats&auml;chlich eine schwerwiegenderes&nbsp; Problem urs&auml;chlich sein, und/oder andere Faktoren (zum Beispiel das [[Das soziale Geschlecht (&bdquo;Gender&ldquo;)|soziale Geschlecht]]) beeinflussen die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit.<ref>Whitson HE, Landerman LR, Newman AB, Fried LP, Pieper CF, Cohen HJ. Chronic medical conditions and the sex-based disparity in disability: the Cardiovascular Health Study. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences 2010; 65(12):1325&ndash;31.</ref> Bisher besteht diesbez&uuml;glich wenig Forschungserkenntnis.
  
Belegt werden kann ein höherer Frauenanteil bei somatischen Erkrankungen in der Gruppe der über 75-jährigen. Zu erklären ist dies unter anderen mit einer höheren Lebenserwartung bei Frauen. Betrachtet man in dieser Altersgruppe (75 Jahre) die Prävalenzzahlen chronischer Krankheiten, sind 41 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen dauerhaft erkrankt. Je älter eine Person, desto wahrscheinlicher berichtet sie von einer oder mehreren chronischen Beeinträchtigungen. Krankheiten, in deren Folge Frauen durchschnittlich häufiger versterben als Männer, sind psychiatrische und verhaltensrelevante Störungen (v. a. Demenz), Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes (z. B. Dekubitus) sowie Erkrankungen der Muskeln und Gelenke (Osteoporose, Osteoarthrose und Arthritis). <ref>Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.</ref> Das Östrogendefizit nach der Menopause ist der häufigste Grund für Gesundheitseinschränkungen bei Frauen wie der Verlust der Knochendichte, kardiovaskuläre Erkrankungen (inklusive Hämorrhagien des Gehirns), kognitive Störungen, Alzheimer Demenz, Depression und Inkontinenz.<ref>Jaspers L, Daan NMP, van Dijk GM, Gazibara T, Muka T, Wen K et al. Health in middle-aged and elderly women: A conceptual framework for healthy menopause. Maturitas 2015; 81(1):93–8.</ref> Da das gesamte weibliche Körpersystem sich vom männlichen grundlegend unterscheidet, sollte von frauen- und männerspezifischen Alterungsprozessen ausgegangen werden. So ist die weibliche Ovarialfunktion nicht begrenzt auf die Reproduktionsfähigkeit, sondern spielt eine Schlüsselrolle für den Gesamtzustand bezüglich Gesundheit und Wohlergehen während des ganzen Lebens von der Embryonalphase bis zum Tod.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref><br>
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Belegt werden kann ein h&ouml;herer Frauenanteil bei somatischen Erkrankungen in der Gruppe der &uuml;ber 75-j&auml;hrigen. Zu erkl&auml;ren ist dies unter anderen mit einer h&ouml;heren Lebenserwartung bei Frauen. Betrachtet man in dieser Altersgruppe (&ge; 75 Jahre) die Pr&auml;valenzzahlen chronischer Krankheiten, sind 41 Prozent der M&auml;nner und 53 Prozent der Frauen dauerhaft erkrankt. Je &auml;lter eine Person, desto wahrscheinlicher berichtet sie von einer oder mehreren chronischen Beeintr&auml;chtigungen. Krankheiten, in deren Folge Frauen durchschnittlich h&auml;ufiger versterben als M&auml;nner, sind psychiatrische und verhaltensrelevante St&ouml;rungen (v. a. Demenz), Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes (z. B. Dekubitus) sowie Erkrankungen der Muskeln und Gelenke (Osteoporose, Osteoarthrose und Arthritis). <ref>Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.</ref> Das &Ouml;strogendefizit nach der Menopause ist der h&auml;ufigste Grund f&uuml;r Gesundheitseinschr&auml;nkungen bei Frauen wie der Verlust der Knochendichte, kardiovaskul&auml;re Erkrankungen (inklusive H&auml;morrhagien des Gehirns), kognitive St&ouml;rungen, Alzheimer Demenz, Depression und Inkontinenz.<ref>Jaspers L, Daan NMP, van Dijk GM, Gazibara T, Muka T, Wen K et al. Health in middle-aged and elderly women: A conceptual framework for healthy menopause. Maturitas 2015; 81(1):93&ndash;8.</ref> Da das gesamte weibliche K&ouml;rpersystem sich vom m&auml;nnlichen grundlegend unterscheidet, sollte von frauen- und m&auml;nnerspezifischen Alterungsprozessen ausgegangen werden. So ist die weibliche Ovarialfunktion nicht begrenzt auf die Reproduktionsf&auml;higkeit, sondern spielt eine Schl&uuml;sselrolle f&uuml;r den Gesamtzustand bez&uuml;glich Gesundheit und Wohlergehen w&auml;hrend des ganzen Lebens von der Embryonalphase bis zum Tod.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>
  
Standen vor rund 50 Jahren vor allem Infektionskrankheiten im Blickfeld medizinischer Betrachtung, hat sich in den letzten Jahrzehnten der Forschungsschwerpunkt von Akutkrankheiten weg und hin zu Erkrankungen mit chronischem Charakter verschoben. Aufgrund erheblicher Fortschritte in der medizinischen Grundversorgung hat die Bedeutung von Infektionskrankheiten bezüglich ihrer hohen Sterblichkeitsrate enorm abgenommen. Zeitgleich mit dieser Entwicklung erhöht sich aufgrund von Veränderungen der weltweiten Altersdemographie die Prävalenz chronischer Erkrankungen zunehmend und damit der Anspruch an langfristige Behandlungsmaßnahmen mit multifaktoriellen Therapieansätzen.<ref>Ehlert U, editor. Verhaltensmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2003. (Springer-Lehrbuch).</ref> Insbesondere Demenz ist ein wachsendes Problem der älteren Generation. Verschiedene Studienergebnisse belegen diesbezüglich eine ähnliche Prävalenzrate bei Männern und Frauen. Dennoch scheinen Erbfaktoren vor allem bei dementiellen Erkrankungen von Männern eine große Rolle zu spielen, während bei Frauen das Östrogenlevel einen wichtigen Faktor darstellt. Männer mit Demenz haben eine kürzere Lebensspanne und eine höhere Mortalitätsrate als Frauen. Armut ist ein entscheidender Risikofaktor für gesundheitliche Probleme vor allem bei älteren Frauen. Frauen erhalten geringere Rentenbeträge. Dabei bekommen vor allem Frauen mit Migrationshintergrund häufig keine betriebliche Rente und haben zudem keinen vollen Anspruch auf staatliche Rente. Sie sind dann von Sozialhilfe abhängig. Dieses häufig übersehene finanzielle Problem steigert sich unter anderem durch den Aspekt, dass immer mehr Migranten und Migrantinnen an Demenz erkranken und auf ständige Unterstützung angewiesen sind.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref> 
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Standen vor rund 50 Jahren vor allem Infektionskrankheiten im Blickfeld medizinischer Betrachtung, hat sich in den letzten Jahrzehnten der Forschungsschwerpunkt von Akutkrankheiten weg und hin zu Erkrankungen mit chronischem Charakter verschoben. Aufgrund erheblicher Fortschritte in der medizinischen Grundversorgung hat die Bedeutung von Infektionskrankheiten bez&uuml;glich ihrer hohen Sterblichkeitsrate enorm abgenommen. Zeitgleich mit dieser Entwicklung erh&ouml;ht sich aufgrund von Ver&auml;nderungen der weltweiten Altersdemographie die Pr&auml;valenz chronischer Erkrankungen zunehmend und damit der Anspruch an langfristige Behandlungsma&szlig;nahmen mit multifaktoriellen Therapieans&auml;tzen.<ref>Ehlert U, editor. Verhaltensmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2003. (Springer-Lehrbuch).</ref> Insbesondere Demenz ist ein wachsendes Problem der &auml;lteren Generation. Verschiedene Studienergebnisse belegen diesbez&uuml;glich eine &auml;hnliche Pr&auml;valenzrate bei M&auml;nnern und Frauen. Dennoch scheinen Erbfaktoren vor allem bei dementiellen Erkrankungen von M&auml;nnern eine gro&szlig;e Rolle zu spielen, w&auml;hrend bei Frauen das &Ouml;strogenlevel einen wichtigen Faktor darstellt. M&auml;nner mit Demenz haben eine k&uuml;rzere Lebensspanne und eine h&ouml;here Mortalit&auml;tsrate als Frauen. Armut ist ein entscheidender Risikofaktor f&uuml;r gesundheitliche Probleme vor allem bei &auml;lteren Frauen. Frauen erhalten geringere Rentenbetr&auml;ge. Dabei bekommen vor allem Frauen mit Migrationshintergrund h&auml;ufig keine betriebliche Rente und haben zudem keinen vollen Anspruch auf staatliche Rente. Sie sind dann von Sozialhilfe abh&auml;ngig. Dieses h&auml;ufig &uuml;bersehene finanzielle Problem steigert sich unter anderem durch den Aspekt, dass immer mehr Migranten und Migrantinnen an Demenz erkranken und auf st&auml;ndige Unterst&uuml;tzung angewiesen sind.<ref>The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.</ref>&nbsp;
  
 
===Lebenserwartung===
 
===Lebenserwartung===
  
Weltweit unterscheiden sich Männer und Frauen hinsichtlich ihrer Lebenserwartung. In 186 von 191 Staaten sterben Männer früher als Frauen. Obgleich die menschliche Lebenserwartung jedes Jahr anwächst, leben Frauen durchschnittlich immer noch länger als Männer. Zweifelsohne sind die Ursachen für diesen sexuellen Dimorphismus multifaktoriell und wurde bereits aus soziologischer wie auch biologischer Perspektive untersucht.  Der Unterschied in der Lebenserwartung variiert dabei beträchtlich. In den meisten Industrieländern besitzen Frauen im Vergleich zu Männern eine um sechs bis acht Jahre höhere Lebenserwartung. In Schweden beträgt diese mittlere Differenz jedoch nur vier Jahre. Dagegen leben Männer in Russland durchschnittlich 13 Jahre kürzer als Frauen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei kulturelle Unterschiede, die die Geschlechterrollen maßgeblich beeinflussen und die Lebenserwartung erhöhen oder senken können (in Russland gehört übermäßiger Alkoholkonsum zur stereotyp männlichen Rolle dazu).<ref>Kindler-Röhrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146–52.</ref> Aber auch biologische Faktoren (Gene und [[Sexualhormone |Geschlechtshormone]]) verhindern eine Anpassung der männlichen an die weibliche Lebenserwartung.<ref>Janssen SM, Lagro-Janssen, Antoine L M. Physician's gender, communication style, patient preferences and patient satisfaction in gynecology and obstetrics: a systematic review. Patient education and counseling 2012; 89(2):221–6.</ref><br> <br>Konkrete Gründe für die durchschnittlich höhere Lebenserwartung bei Frauen werden in zahlreichen Studien exploriert. Viele Erklärungen beziehen sich auf  das Gesundheitsverhalten (z. B. Nikotin- und Alkoholkonsum), einen risikoreicheren Lebensstil, körperlich schädlichere Arbeit, die Höhe des Stresslevels und der Gewalttätigkeit auf Seiten der Männer. Sie berücksichtigen damit vor allem die [[Das soziale Geschlecht („Gender“)|soziale Komponente]] von Geschlecht. Im Zuge der weiblichen Emanzipation hat sich die Lebensweise von Frauen verändert (z. B. das Rauchverhalten und schädlichere und stressreichere Arbeit) und damit sollten Unterschiede bezüglich der Lebenserwartung zumindest teilweise verschwinden. Neben external-sozialen Faktoren spielen jedoch Unterschiede im [[Das biologische Geschlecht („Sex“) | biologischen Geschlecht]] eine wichtige Rolle: Dabei scheinen sowohl genetische Faktoren als auch [[Sexualhormone |Geschlechtshormone]] involviert zu sein. Ein entscheidender genetischer Faktor ist die Inaktivierung eines der zwei X-Chromosomen in den weiblichen Zellen. Als Positivfolge kann es bei dysfunktionalen Gene zur Repression und bei günstigen Genen zur Expression kommen. Bezüglich der Geschlechtshormone scheint das Östrogenlevel den weiblichen Körper in einem besseren Zustand zu halten und unter anderen zu einer längeren Funktionstüchtigkeit des Immunsystems zu führen. Dabei können Geschlechtshormone auf zwei Wegen Einfluss nehmen: Durch strukturelle Effekte, die während kritischer Perioden in der Entwicklung des menschlichen Körpers stattfinden (wie in der fetalen Entwicklung, der frühen Kindheit und der Pubertät). Sowie durch zeitliche Effekte, die aufgrund eines Anstieges hormoneller Level auftreten und nachlassen, sobald die Hormonkonzentration absinkt. Diese hormonellen Unterschiede führen letztlich zu einem günstigeren Ergebnis für Frauen in Bereichen wie der Immunfunktion, der oxidativen Stressreaktion und dem antioxidativen Status, dem Lipoproteinmetabolismus, der Fettspeicherung sowie der Stressantwort via HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse). Eine Kombination dieser Faktoren kann dann eine Determinante für die höhere Lebenserwartung bei Frauen bilden.Von einer Annäherung der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen ist nicht auszugehen.<ref>Seifarth JE, McGowan CL, Milne KJ. Sex and life expectancy. Gender medicine 2012; 9(6):390–401.</ref> Vielmehr ist mit einer zunehmenden Feminisierung der Altersgesellschaft zu rechnen, die weitreichende Folgen für die Gesellschaft haben wird.<ref>Müller-Werdan U. Geschlechterunterschiede in der Altersmedizin. Berlin: Charité Universitätsmedizin Berlin; 2015.</ref><br>
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Weltweit unterscheiden sich M&auml;nner und Frauen hinsichtlich ihrer Lebenserwartung. In 186 von 191 Staaten sterben M&auml;nner fr&uuml;her als Frauen. Obgleich die menschliche Lebenserwartung jedes Jahr anw&auml;chst, leben Frauen durchschnittlich immer noch l&auml;nger als M&auml;nner. Zweifelsohne sind die Ursachen f&uuml;r diesen sexuellen Dimorphismus multifaktoriell und wurde bereits aus soziologischer wie auch biologischer Perspektive untersucht.&nbsp; Der Unterschied in der Lebenserwartung variiert dabei betr&auml;chtlich. In den meisten Industriel&auml;ndern besitzen Frauen im Vergleich zu M&auml;nnern eine um sechs bis acht Jahre h&ouml;here Lebenserwartung. In Schweden betr&auml;gt diese mittlere Differenz jedoch nur vier Jahre. Dagegen leben M&auml;nner in Russland durchschnittlich 13 Jahre k&uuml;rzer als Frauen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei kulturelle Unterschiede, die die Geschlechterrollen ma&szlig;geblich beeinflussen und die Lebenserwartung erh&ouml;hen oder senken k&ouml;nnen (in Russland geh&ouml;rt &uuml;berm&auml;&szlig;iger Alkoholkonsum zur stereotyp m&auml;nnlichen Rolle dazu).<ref>Kindler-R&ouml;hrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146&ndash;52.</ref> Aber auch biologische Faktoren (Gene und [[Sexualhormone |Geschlechtshormone]]) verhindern eine Anpassung der m&auml;nnlichen an die weibliche Lebenserwartung.<ref>Janssen SM, Lagro-Janssen, Antoine L M. Physician&#39;s gender, communication style, patient preferences and patient satisfaction in gynecology and obstetrics: a systematic review. Patient education and counseling 2012; 89(2):221&ndash;6.</ref><br />
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Konkrete Gr&uuml;nde f&uuml;r die durchschnittlich h&ouml;here Lebenserwartung bei Frauen werden in zahlreichen Studien exploriert. Viele Erkl&auml;rungen beziehen sich auf&nbsp; das Gesundheitsverhalten (z. B. Nikotin- und Alkoholkonsum), einen risikoreicheren Lebensstil, k&ouml;rperlich sch&auml;dlichere Arbeit, die H&ouml;he des Stresslevels und der Gewaltt&auml;tigkeit auf Seiten der M&auml;nner. Sie ber&uuml;cksichtigen damit vor allem die [[Das soziale Geschlecht (&bdquo;Gender&ldquo;)|soziale Komponente]] von Geschlecht. Im Zuge der weiblichen Emanzipation hat sich die Lebensweise von Frauen ver&auml;ndert (z. B. das Rauchverhalten und sch&auml;dlichere und stressreichere Arbeit) und damit sollten Unterschiede bez&uuml;glich der Lebenserwartung zumindest teilweise verschwinden. Neben external-sozialen Faktoren spielen jedoch Unterschiede im [[Das biologische Geschlecht (&bdquo;Sex&ldquo;) | biologischen Geschlecht]] eine wichtige Rolle: Dabei scheinen sowohl genetische Faktoren als auch [[Sexualhormone |Geschlechtshormone]] involviert zu sein. Ein entscheidender genetischer Faktor ist die Inaktivierung eines der zwei X-Chromosomen in den weiblichen Zellen. Als Positivfolge kann es bei dysfunktionalen Gene zur Repression und bei g&uuml;nstigen Genen zur Expression kommen. Bez&uuml;glich der Geschlechtshormone scheint das &Ouml;strogenlevel den weiblichen K&ouml;rper in einem besseren Zustand zu halten und unter anderen zu einer l&auml;ngeren Funktionst&uuml;chtigkeit des Immunsystems zu f&uuml;hren. Dabei k&ouml;nnen Geschlechtshormone auf zwei Wegen Einfluss nehmen: Durch strukturelle Effekte, die w&auml;hrend kritischer Perioden in der Entwicklung des menschlichen K&ouml;rpers stattfinden (wie in der fetalen Entwicklung, der fr&uuml;hen Kindheit und der Pubert&auml;t). Sowie durch zeitliche Effekte, die aufgrund eines Anstieges hormoneller Level auftreten und nachlassen, sobald die Hormonkonzentration absinkt. Diese hormonellen Unterschiede f&uuml;hren letztlich zu einem g&uuml;nstigeren Ergebnis f&uuml;r Frauen in Bereichen wie der Immunfunktion, der oxidativen Stressreaktion und dem antioxidativen Status, dem Lipoproteinmetabolismus, der Fettspeicherung sowie der Stressantwort via HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse). Eine Kombination dieser Faktoren kann dann eine Determinante f&uuml;r die h&ouml;here Lebenserwartung bei Frauen bilden.Von einer Ann&auml;herung der Lebenserwartung zwischen M&auml;nnern und Frauen ist nicht auszugehen.<ref>Seifarth JE, McGowan CL, Milne KJ. Sex and life expectancy. Gender medicine 2012; 9(6):390&ndash;401.</ref> Vielmehr ist mit einer zunehmenden Feminisierung der Altersgesellschaft zu rechnen, die weitreichende Folgen f&uuml;r die Gesellschaft haben wird.<ref>M&uuml;ller-Werdan U. Geschlechterunterschiede in der Altersmedizin. Berlin: Charit&eacute; Universit&auml;tsmedizin Berlin; 2015.</ref>
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Julia Schreitmüller
  
 
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Zuletzt geändert: 2017-10-20 10:32:14
 

Aktuelle Version vom 26. Februar 2021, 11:16 Uhr

 

Kindheit und Jugend[Bearbeiten]

Grundlegende Unterschiede existieren zwischen Mädchen und Jungen in Bereichen wie Physiologie, Hormone, Entwicklung sowie Nutzung des Gesundheitssystems. Obgleich enorm relevant, wurden diese Unterschiede von Theorie und Praxis bisher oft nicht berücksichtigt. In den letzten Jahren ist nun der Fokus auf gesundheitsbezogene Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gewachsen und neues Wissen wird zunehmend verfügbar.[1]

Biologische Entwicklung[Bearbeiten]

Bis zum Ende der sechsten Schwangerschaftswoche sind die Anlagen der Keimdrüsen und Genitalien beider Geschlechter morphologisch identisch. Erst dann werden die SRY-Gene (geschlechtsbestimmende Region auf dem Y-Chromosom) sowie die SOX9-Gene auf Chromosom 17 aktiv. Zusammen sorgen sie dann für die Entwicklung eines männlichen Embryos. In Abwesenheit des SRY-Proteins entwickeln sich anstelle der Hoden Ovarien (siehe auch: Chromosomale Grundlage: XX und XY). Unter dem Einfluss von Testosteron kommt es bereits beim Fötus zu einer spezifischen Gehirnentwicklung. Zum Beispiel entwickelt sich die rechte Gehirnhälfte bei Jungen besser als die linke. Durchschnittlich entwickeln sich Jungen langsamer als Mädchen. Das männliche Gehirn ist mit 25 Jahren ausgereift, während dies bei Frauen bereits circa zwei Jahre früher der Fall ist. Das männliche Immunsystem ist etwas schwächer, was besonders in den ersten zwei Lebensjahren dazu führt, dass Jungen durchschnittlich öfter erkranken als Mädchen. Körperlicher Wachstum verläuft bei Jungen langsamer und irregulärer als bei Mädchen. Jungen haben häufig Wachstumsschübe, während Mädchen stetiger wachsen. Ähnlich verläuft die emotionale und kognitive Entwicklung bei Jungen langsamer und irregulärer als bei Mädchen. Bezüglich der Sprachentwicklung liegen Jungen zwölf bis 18 Monate hinter Mädchen. Zudem ermöglicht der höher entwickelte Frontalkortex bei Mädchen eine bessere Impulskontroll. Mädchen kommen zwischen neun und 14 Jahre in die Pubertät, während bei Jungen der Pubertätsbeginn zwischen zehn und 17 Jahren liegt. Die sexuelle Entwicklung führt nicht nur zur Fertilität, sondern vor allem auch zu radikalen körperlichen Veränderungen, die tiefgreifende physische und psychosoziale Auswirkungen mit sich bringen. 
Geschlechtsspezifische Forschung hat gezeigt, dass die Gehirnentwicklung von Jungen und Mädchen sich bereits pränatal unterscheidet und damit das biologische Geschlecht einen enormen Einfluss besitzt. Dennoch wird die Gehirnentwicklung maßgeblich durch Lernprozesse während der Erziehung gefördert und geprägt. So ist die Möglichkeit nicht ausschließbar, dass eine geschlechterstereotype Behandlung von Kindern in einem solchen Ausmaß beeinflusst, dass geschlechterspezifische Unterschiede in der Gehirnentwicklung entstehen können.[2]

Körperliche Beschwerden[Bearbeiten]

Körperliche Symptome sind insbesondere bei Mädchen der Hauptgrund für das Aufsuchen einer Ärztin oder eines Arztes. Dabei umfassen gesundheitliche Probleme vor allem Spannungskopfschmerzen, Migräne, Magenbeschwerden, Obstipation und Erschöpfung. Die wahrgenommene Gesundheit verschlechtert sich je älter Kinder werden: Bei 96 Prozent der unter zwölfjährigen bewerten die Eltern bzw. BetreuerInnen die Gesundheit des Kindes als gut, die zwölf bis 18-jährigen (Jugendliche) berichten zu 92 Prozent und die 18 bis 25-jährigen (junge Erwachsene) zu 90 Prozent von guter Gesundheit. Mädchen bewerten ihre Gesundheit etwas weniger positiv als Jungen, wobei diese Differenz mit dem Alter zunimmt.[3]

Psychosoziale Probleme [Bearbeiten]

Einer niederländischen Studie zufolge sind junge Menschen generell glücklich.[4] Dabei sind GrundschülerInnen durchschnittlich glücklicher als SchülerInnen weiterführender Schulen. Während der Adoleszenz sind mehr Mädchen als Jungen unglücklich.HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014. Verhaltensprobleme manifestieren sich bei Jungen anders als bei Mädchen. Jungen verhalten sich häufiger störend bezüglich ihrer Umwelt: Sie sind impulsiver und verbal lauter. Mädchen richten ihre Probleme eher gegen sich selbst. Sie werden häufiger depressiv, entwickeln Essstörungen oder zeigen selbstverletzendes Verhalten. Mädchen mit psychischen Problemen suchen sich häufiger professionelle Hilfe (meistens bei der Hausärztin oder dem Hausarzt) als Jungen mit psychischen Problemen.[5]
 
30 Prozent der über 16-jährigen Jungen trinken mehr als zehn alkoholische Getränke an einem Tag in der Woche, aber nur neun Prozent der Mädchen zeigen ein solches Trinkverhalten. Alkoholkonsum bei Mädchen nimmt aktuell zu, wobei sie weniger gut in der Lage sind, mit den Auswirkungen des Konsums umzugehen. Die Anzahl von Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren, die aufgrund von Alkoholvergiftungen stationär aufgenommen wurde, ist im Zeitraum von 2000 bis 2010 um 101 Prozent angestiegen. Bei Jungen lag dieser Anstieg bei 66 Prozent.[6] Problematisches Spielverhalten tritt hauptsächlich bei Jungen auf (sieben Prozent im Vergleich zu 0.9 Prozent bei Mädchen). Problematischer Gebrauch von sozialen Medien ist dagegen verbreiteter bei Mädchen (8.6 Prozent im Vergleich zu 3.7 Prozent bei Jungen).[7] Dabei korreliert problematischer Mediengebrauch mit schlechter Schulleistung, einer reduzierten sozialen Interaktion (Interaktion über das Internet nicht miteinbezogen) und depressiver Verstimmung.[8]
Die Prävalenz von ADHS und Autismus ist bei Jungen höher als bei Mädchen und aufgrund dessen werden diese Störungen bei Mädchen häufiger übersehen. Die Autismus-Spektrum-Störung manifestiert sich zwischen den Geschlechtern unterschiedlich. Mädchen nutzen oft Kompensationsmechanismen bezüglich sozialer Interaktion und Kommunikation. Verhaltensbeobachtung gewährleistet dann nur einen unzulänglichen Einblick in die bestehende Problematik. Folge ist, dass Eltern, LehrerInnen und oft auch Psychologen/Psychologinnen und PsychiaterInnen weniger wahrscheinlich milde Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung bei Mädchen erkennen. Jungen mit ADHS zeigen impulsives und „schwieriges“ Verhalten. Mädchen werden als überaktiv und übermäßig gesprächig, aber nicht notwendigerweise als „schwierig“ betrachtet, sodass professionelle Hilfe nicht immer in Anspruch genommen wird.[9]
Den vollständigen Artikel zu ADHS finden Sie hier.

Wenn sie nur mit einem biologischen Elternteil aufwachsen, steigt das Risiko eines sexuellen Missbrauchs bei Jungen und Mädchen. Wobei Mädchen grundsätzlich häufiger betroffen sind als Jungen (besonders wenn sie mit einem Stiefvater zusammenleben). Zudem tritt sexueller Missbrauch häufiger in Familien auf, in denen die Mutter tatsächlich oder emotional abwesend ist (z. B. aufgrund psychischer oder physischer Krankheit).[10]

Erwachsenenalter und soziale Partizipation[Bearbeiten]

Unsere Erwachsenenjahre sind geprägt von gesellschaftlicher Partizipation. Neben der Familiengründung (in allen möglichen Variationen) sind die meisten Menschen involviert in bezahlte und/oder freiwillige Arbeit. Viele (geschlechterspezifischen) Gesundheitsprobleme können sich im Erwachsenenalter manifestieren. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Integration und Gesundheit. Arbeit (inklusive Freiwilligenarbeit) hat generell einen positiven Effekt auf Gesundheit. Dennoch können berufsbedingte Krankheiten entstehen oder bestehende Erkrankungen verschlimmern sich aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen. Umgekehrt hat die individuelle Gesundheit Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt (und auf andere Formen sozialer Interaktion).[11]

Beruf und Geschlecht [Bearbeiten]

Bestimmte Berufe werden deutlich häufiger von Männern ausgeführt, während andere typischerweise von Frauen besetzt werden. Männer arbeiten öfter in Bereichen, die schwere körperliche Arbeit umfassen (z. B. im Bauwesen). Aber auch Frauen sind in Berufen tätig, die körperlich belastend sind (z. B. Gesundheitspflege oder Gebäudereinigung).[12]

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Männer tendenziell eher in körperlich fordernden und Frauen eher in emotional fordernden Berufen arbeiten. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Berufen, in denen sie geringes Mitspracherecht haben (bezüglich inhaltlicher und zeitlicher Aspekte).[13] Mehr Frauen als Männer arbeiten in gering bezahlten Bereichen und werden zudem häufig für die gleiche Arbeit schlechter entlohnt als Männer. Deutlich mehr Frauen werden Opfer sexueller Belästigung oder sexuellen Missbrauchs während der Arbeitszeit. Frauen engagieren sich öfter in Ehrenämtern und der informellen Pflege. Sie kümmern sich stärker als Männer um ihre Kinder, Verwandten, Freunde und Freundinnen oder Nachbarn und Nachbarinnen.[14]

Beruf und Gesundheit [Bearbeiten]

Die Tatsache, dass Frauen eher unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden und geringere subjektive Gesundheitswerte haben, hat einen negativen Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und andere soziale Gebiete. Forschungen zu Gesundheit und Arbeit haben herausgefunden, dass der Einfluss geringer Gesundheit besonders groß ist bei Frauen türkischen und marokkanischen Ursprungs. Dabei kann schlechte Gesundheit in unterschiedlicher Weise negativen Einfluss auf das Berufsleben nehmen: Personen können von der Berufstätigkeit völlig ausgeschlossen sein (Arbeitsunfähigkeit), häufig krankgeschrieben oder frühzeitig berentet werden. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, wobei vor allem bei älteren Frauen schlechte Gesundheitswerte ursächlich sind. Forschungen haben ergeben, dass vor allem ältere, gut ausgebildete Frauen (in allen Bereichen der Arbeit) besonders häufig von Müdigkeit und Erschöpfung bezüglich ihrer Berufstätigkeit berichten. Frauen, die weniger als 25 Stunden pro Woche arbeiten, berichten seltener von diesen Problemen, als Frauen, die mehr als 25 Stunden oder ganztags arbeiten. Es lässt sich folgern, dass Frauen Teilzeit arbeiten, um die Gesamtbelastung (bezüglich Berufstätigkeit, Versorgung von Kindern und Haushalt sowie informeller Pflege) zu begrenzen und ihre Gesundheit zu schützen. Die laufenden Veränderungen im Versorgungssystem werden möglicherweise zu einem steigenden Bedarf an informeller Pflege führen und damit wird besonders der Druck auf Frauen erhöht, die deutlich häufiger diese Aufgabe übernehmen. Obgleich Teilzeitarbeit häufig mit Mutterschaft erklärt wird, scheint dieses Arbeitsprofil momentan die durchschnittliche Norm für alle Frauen zu sein.[15]

Generell sollten Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vor allem in Führungspositionen) besser vertreten sein. Aktuell sind Frauen immer noch stärker von der Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit betroffen als Männer. Zudem sind sie im Vergleich zu Familienvätern häufiger und länger aufgrund der Kinderversorgung vom Arbeitsmarkt abwesend. Frauen sind häufiger krankgeschrieben als Männer, wobei diese Differenz zwischen dem 25 und 35 Lebensjahr am größten ist. Ursächlich sind vor allem Krankheitsausfälle aufgrund von Schwangerschaft oder Komplikationen während der Geburt. Die höhere Rate von Krankheitstagen bei Frauen (unabhängig vom Alter) erklärt sich zudem aus der Tatsache, dass ein relativ hoher Anteil von Frauen im pädagogischen und Gesundheitsbereich tätig ist. Die durchschnittlichen Krankheitstage sind hier berufsbedingt relativ hoch.[16] Die Prävalenz psychischer Erkrankungen wie Angststörungen und Depression ist bei Frauen höher als bei Männern und ist häufig Grund für Krankschreibungen.[17] Da Frauen sich relativ spät in den Arbeitsmarkt integrieren konnten (in den 1980er Jahren), ist das aktuelle Durchschnittsalter von berufstätigen Frauen geringer als von Männern.[18] Es ist davon auszugehen, dass die Krankheitstage von Frauen mit Zunahme des Altersdurchschnitts in den nächsten Jahren weiter steigen werden.[19]

Altersmedizin[Bearbeiten]

Eine wichtige Herausforderung für das Gesundheitssystem ist das „gesunde Altern“. Obwohl Frauen durchschnittlich länger leben, verbringen sie genauso viele Jahre in guter Gesundheit wie Männer (siehe auch: Lebenserwartung). Das heißt, während der Jahre, die Frauen länger leben, leiden sie häufig unter chronischen Krankheiten und berichten von einer geringen krankheitsbezogene Lebensqualität mit deutlichen Funktionseinschränkungen. Ein enormer Anteil des Gesundheitsbudgets wird für chronische Erkrankungen bei älteren Frauen ausgegeben. Im höheren und hohen Erwachsenenalter unterscheiden sich Männer und Frauen nicht nur bezüglich der Art ihrer Erkrankungen, sondern auch in der Anzahl der gesundheitlichen Einschränkungen. Dabei sind Frauen deutlich häufiger von Multimorbidität (simultanes Auftreten mehrerer Erkrankungen) betroffen.[20] Doch selbst wenn Frauen und Männer unter der gleichen Anzahl gesundheitlicher Einschränkungen leiden, scheinen die Beschwerden, die Frauen beschreiben, schwerwiegender zu sein. Dabei kann tatsächlich eine schwerwiegenderes  Problem ursächlich sein, und/oder andere Faktoren (zum Beispiel das soziale Geschlecht) beeinflussen die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit.[21] Bisher besteht diesbezüglich wenig Forschungserkenntnis.

Belegt werden kann ein höherer Frauenanteil bei somatischen Erkrankungen in der Gruppe der über 75-jährigen. Zu erklären ist dies unter anderen mit einer höheren Lebenserwartung bei Frauen. Betrachtet man in dieser Altersgruppe (≥ 75 Jahre) die Prävalenzzahlen chronischer Krankheiten, sind 41 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen dauerhaft erkrankt. Je älter eine Person, desto wahrscheinlicher berichtet sie von einer oder mehreren chronischen Beeinträchtigungen. Krankheiten, in deren Folge Frauen durchschnittlich häufiger versterben als Männer, sind psychiatrische und verhaltensrelevante Störungen (v. a. Demenz), Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes (z. B. Dekubitus) sowie Erkrankungen der Muskeln und Gelenke (Osteoporose, Osteoarthrose und Arthritis). [22] Das Östrogendefizit nach der Menopause ist der häufigste Grund für Gesundheitseinschränkungen bei Frauen wie der Verlust der Knochendichte, kardiovaskuläre Erkrankungen (inklusive Hämorrhagien des Gehirns), kognitive Störungen, Alzheimer Demenz, Depression und Inkontinenz.[23] Da das gesamte weibliche Körpersystem sich vom männlichen grundlegend unterscheidet, sollte von frauen- und männerspezifischen Alterungsprozessen ausgegangen werden. So ist die weibliche Ovarialfunktion nicht begrenzt auf die Reproduktionsfähigkeit, sondern spielt eine Schlüsselrolle für den Gesamtzustand bezüglich Gesundheit und Wohlergehen während des ganzen Lebens von der Embryonalphase bis zum Tod.[24]

Standen vor rund 50 Jahren vor allem Infektionskrankheiten im Blickfeld medizinischer Betrachtung, hat sich in den letzten Jahrzehnten der Forschungsschwerpunkt von Akutkrankheiten weg und hin zu Erkrankungen mit chronischem Charakter verschoben. Aufgrund erheblicher Fortschritte in der medizinischen Grundversorgung hat die Bedeutung von Infektionskrankheiten bezüglich ihrer hohen Sterblichkeitsrate enorm abgenommen. Zeitgleich mit dieser Entwicklung erhöht sich aufgrund von Veränderungen der weltweiten Altersdemographie die Prävalenz chronischer Erkrankungen zunehmend und damit der Anspruch an langfristige Behandlungsmaßnahmen mit multifaktoriellen Therapieansätzen.[25] Insbesondere Demenz ist ein wachsendes Problem der älteren Generation. Verschiedene Studienergebnisse belegen diesbezüglich eine ähnliche Prävalenzrate bei Männern und Frauen. Dennoch scheinen Erbfaktoren vor allem bei dementiellen Erkrankungen von Männern eine große Rolle zu spielen, während bei Frauen das Östrogenlevel einen wichtigen Faktor darstellt. Männer mit Demenz haben eine kürzere Lebensspanne und eine höhere Mortalitätsrate als Frauen. Armut ist ein entscheidender Risikofaktor für gesundheitliche Probleme vor allem bei älteren Frauen. Frauen erhalten geringere Rentenbeträge. Dabei bekommen vor allem Frauen mit Migrationshintergrund häufig keine betriebliche Rente und haben zudem keinen vollen Anspruch auf staatliche Rente. Sie sind dann von Sozialhilfe abhängig. Dieses häufig übersehene finanzielle Problem steigert sich unter anderem durch den Aspekt, dass immer mehr Migranten und Migrantinnen an Demenz erkranken und auf ständige Unterstützung angewiesen sind.[26] 

Lebenserwartung[Bearbeiten]

Weltweit unterscheiden sich Männer und Frauen hinsichtlich ihrer Lebenserwartung. In 186 von 191 Staaten sterben Männer früher als Frauen. Obgleich die menschliche Lebenserwartung jedes Jahr anwächst, leben Frauen durchschnittlich immer noch länger als Männer. Zweifelsohne sind die Ursachen für diesen sexuellen Dimorphismus multifaktoriell und wurde bereits aus soziologischer wie auch biologischer Perspektive untersucht.  Der Unterschied in der Lebenserwartung variiert dabei beträchtlich. In den meisten Industrieländern besitzen Frauen im Vergleich zu Männern eine um sechs bis acht Jahre höhere Lebenserwartung. In Schweden beträgt diese mittlere Differenz jedoch nur vier Jahre. Dagegen leben Männer in Russland durchschnittlich 13 Jahre kürzer als Frauen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei kulturelle Unterschiede, die die Geschlechterrollen maßgeblich beeinflussen und die Lebenserwartung erhöhen oder senken können (in Russland gehört übermäßiger Alkoholkonsum zur stereotyp männlichen Rolle dazu).[27] Aber auch biologische Faktoren (Gene und Geschlechtshormone) verhindern eine Anpassung der männlichen an die weibliche Lebenserwartung.[28]
 
Konkrete Gründe für die durchschnittlich höhere Lebenserwartung bei Frauen werden in zahlreichen Studien exploriert. Viele Erklärungen beziehen sich auf  das Gesundheitsverhalten (z. B. Nikotin- und Alkoholkonsum), einen risikoreicheren Lebensstil, körperlich schädlichere Arbeit, die Höhe des Stresslevels und der Gewalttätigkeit auf Seiten der Männer. Sie berücksichtigen damit vor allem die soziale Komponente von Geschlecht. Im Zuge der weiblichen Emanzipation hat sich die Lebensweise von Frauen verändert (z. B. das Rauchverhalten und schädlichere und stressreichere Arbeit) und damit sollten Unterschiede bezüglich der Lebenserwartung zumindest teilweise verschwinden. Neben external-sozialen Faktoren spielen jedoch Unterschiede im biologischen Geschlecht eine wichtige Rolle: Dabei scheinen sowohl genetische Faktoren als auch Geschlechtshormone involviert zu sein. Ein entscheidender genetischer Faktor ist die Inaktivierung eines der zwei X-Chromosomen in den weiblichen Zellen. Als Positivfolge kann es bei dysfunktionalen Gene zur Repression und bei günstigen Genen zur Expression kommen. Bezüglich der Geschlechtshormone scheint das Östrogenlevel den weiblichen Körper in einem besseren Zustand zu halten und unter anderen zu einer längeren Funktionstüchtigkeit des Immunsystems zu führen. Dabei können Geschlechtshormone auf zwei Wegen Einfluss nehmen: Durch strukturelle Effekte, die während kritischer Perioden in der Entwicklung des menschlichen Körpers stattfinden (wie in der fetalen Entwicklung, der frühen Kindheit und der Pubertät). Sowie durch zeitliche Effekte, die aufgrund eines Anstieges hormoneller Level auftreten und nachlassen, sobald die Hormonkonzentration absinkt. Diese hormonellen Unterschiede führen letztlich zu einem günstigeren Ergebnis für Frauen in Bereichen wie der Immunfunktion, der oxidativen Stressreaktion und dem antioxidativen Status, dem Lipoproteinmetabolismus, der Fettspeicherung sowie der Stressantwort via HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse). Eine Kombination dieser Faktoren kann dann eine Determinante für die höhere Lebenserwartung bei Frauen bilden.Von einer Annäherung der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen ist nicht auszugehen.[29] Vielmehr ist mit einer zunehmenden Feminisierung der Altersgesellschaft zu rechnen, die weitreichende Folgen für die Gesellschaft haben wird.[30]

 

Literatur[Bearbeiten]

 

 

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  1. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  2. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  3. HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014.
  4. Vollebergh W, Looze Md. HBSC 2013: Gezondheid, welzijn en opvoeding van jongeren in Nederland. Utrecht: Universiteit Utrecht; 2014.
  5. Reijneveld SA, Wiegersma PA, Ormel J, Verhulst FC, Vollebergh WAM, Jansen, Danielle E. M. C. et al. Adolescents’ Use of Care for Behavioral and Emotional Problems: Types, Trends, and Determinants. PLoS ONE 2014; 9(4):e93526.
  6. Valkenberg H, en Veiligheid SC. Alcoholvergiftigingen en ongevallen met alcohol bij jongeren van 10 tot en met 24 jaar. Asterdam; 2006.
  7. van Rooij AJ, Schoenmakers TM. Monitor Internet en Jongeren 2010-2012: Het (mobiele) gebruik van sociale media en games door jongeren [The (mobile) use of social media and games by adolescents]. Rotterdam: Center for Behavioral Internet Science & IVO; 2013.
  8. 18. Kuss DJ, Griffiths MD. Online Social Networking and Addiction—A Review of the Psychological Literature. IJERPH 2011; 8(12):3528–52.
  9. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  10. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  11. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  12. Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.
  13. WILLNESS CR, STEEL P, LEE K. A META-ANALYSIS OF THE ANTECEDENTS AND CONSEQUENCES OF WORKPLACE SEXUAL HARASSMENT. Personnel Psychology 2007; 60(1):127–62.
  14. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  15. Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.
  16. Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.
  17. Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309–21.
  18. Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.
  19. Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309–21.
  20. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  21. Whitson HE, Landerman LR, Newman AB, Fried LP, Pieper CF, Cohen HJ. Chronic medical conditions and the sex-based disparity in disability: the Cardiovascular Health Study. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences 2010; 65(12):1325–31.
  22. Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.
  23. Jaspers L, Daan NMP, van Dijk GM, Gazibara T, Muka T, Wen K et al. Health in middle-aged and elderly women: A conceptual framework for healthy menopause. Maturitas 2015; 81(1):93–8.
  24. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  25. Ehlert U, editor. Verhaltensmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2003. (Springer-Lehrbuch).
  26. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  27. Kindler-Röhrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146–52.
  28. Janssen SM, Lagro-Janssen, Antoine L M. Physician's gender, communication style, patient preferences and patient satisfaction in gynecology and obstetrics: a systematic review. Patient education and counseling 2012; 89(2):221–6.
  29. Seifarth JE, McGowan CL, Milne KJ. Sex and life expectancy. Gender medicine 2012; 9(6):390–401.
  30. Müller-Werdan U. Geschlechterunterschiede in der Altersmedizin. Berlin: Charité Universitätsmedizin Berlin; 2015.

Lizenz[Bearbeiten]

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren[Bearbeiten]

Julia Schreitmüller

Zuletzt geändert: 2021-02-26 10:16:45

Zeitraum von der späten Kindheit über die Pubertät bis hin zum Erwachsenenalter.

Störungen der Nahrungsaufnahme oder des Körpergewichts, die nicht in organischen Ursachen begründet sind. Essstörungen können sich dabei in verschiedenen Krankheitsbildern manifestieren.

Die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt.

(Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) Gehört zur Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend und äußert sich durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Selbstregulation sowie eventuell durch ausgeprägte körperliche Unruhe.

Gelenkentzündungen, die häufig zusammen mit Schmerzen, Schwellungen und Rötungen auftreten.

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.

Biologisches Geschlecht