Appendizitis/Fachartikel

Epidemiologie[Bearbeiten]

Die Appendizitis gehört zu den häufigsten Krankheitsbildern in der Allgemein- und Viszeralchirurgie[1] und ist häufig Auslöser eines akuten Abdomens. Es ist ein Krankheitsbild, welches alle Altersgruppen und sowohl Frauen, als auch Männer betrifft. Die kumulative Inzidenz der Appendizitis/Appendektomie beträgt in Nordamerika 100 und in Ost- und Westeuropa zwischen 105 und 151 Personen pro 100.000 Patientenjahre[3] . Die Lebenszeitinzidenz an einer akuten Appendizitis zu erkranken, beträgt in den USA für Männer 8.6% und für Frauen 6.7%[1] . Die Lebenszeitinzidenz einer Appendektomie beträgt für Männer dagegen 12% und für Frauen 23%[1] . Die höchste Inzidenz an einer akuten Appendizitis zu erkranken, ist in der Altersgruppe zwischen 10-19 Jahren (23,3 pro 10.000 Personen pro Jahr)[2] . Für die weiße Bevölkerung sind die Raten an einer akuten Appendizitis zu erkranken 1,5-fach höher, als für nicht die nicht weiße Bevölkerung (15,4 pro 10.000 Personen pro Jahr ‚in the west north central region‘) [2] . Seit 1990 sinkt die Inzidenz für eine Appendektomie in westlichen Ländern stetig, wohingegen die Inzidenz der akuten Appendizitis, sowohl der perforierten als auch der nicht perforierten Form, stabil bleibt[3] . Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Inzidenz, besonders in Schwellenländern in Asien, dem mittleren Westen und Südamerika steigend (kumulative Inzidenz Südkorea: 206, Türkei: 160, Chile: 202 pro 100.000 pro Patientenjahre)[3] . Auch bei Kindern ist die akute Appendizitis eines der häufigsten Krankheitsbilder, die zu einer Operation im Abdomen führen[4] . Daten aus einer Studie zur Appendizitis bei Kindern unter 15 Jahren zeigen, dass Mädchen weniger häufig eine akute Appendizitis erleiden (6.7%), als Jungen (8.7%)[4] , jedoch häufiger eine Appendektomie durchgeführt wird (Mädchen 23%, Jungen 12%)[4] . Diese Ergebnisse ähneln Studienergebnissen, die bei Erwachsenen durchgeführt wurden sehr, woraus sich schließen lässt, dass es einen klaren Unterschied bezüglich des Geschlechts und der Ausprägung der akuten Appendizitis gibt.

Pathophysiologie der Appendizitis[Bearbeiten]

Im Folgenden soll die Pathophysiologie der Appendizitis modellhaft beschrieben werden. Eine Obstruktion der Appendix führt zu einer Entleerungsstörung, die beispielsweise durch Kotsteine, Abknickungen oder Tumoren, aber auch viele andere Faktoren verursacht sein kann. Durch eine folgende Stase des Darminhaltes kommt es zu einer erhöhten Spannung der Darmwand, worauf wiederum ein Blutaufstau im venösen System und somit auch eine Zirkulationsstörung im arteriellen System folgen. Hieraus ergibt sich eine ischämische Schädigung der Darmschleimhaut, die zu einer Ulzeration führt. Gleichzeitig fungiert der Darminhalt als Nährboden für Bakterien, die dann in die geschädigte Schleimhaut einwandern und hier eine Entzündung entstehen lassen können. Selten entsteht die Entzündung des Appendix aufgrund einer mechanischen oder toxischen Schleimhautschädigung (z.B. durch nichtsteroidale Antirheumatika), eines hämatogenen Infektes oder eines Wurmbefalls[5] .

5aef4fb52efb3.JPG

Spezielle Rolle des Immunsystems[Bearbeiten]

Die Funktionen des Immunsystems sind durch einen starken sexuellen Dimorphismus geprägt[6] . So wirken auch im Darm, dem größten immunologisch aktiven Organ des Menschen, Immunmodulatoren und Hormone in unterschiedlichen Konzentrationen. Die zentral in der Adenohypophyse gebildeten weiblichen Sexualhormone LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon) stimulieren die Lymphozytenproliferation. Die Lymphozyten, aber auch weitere Immunzellen wie Makrophagen, sind auf ihrer Oberfläche wiederum mit Östrogenrezeptoren ausgestattet, sodass auch das in den Ovarien gebildete weibliche Sexualhormon Östrogen möglicherweise auch im Darm immunmodulatorische Wirkungen besitzt[6] . Zusätzlich steigern die Östrogene die Erneuerungs- und Reparaturfähigkeit des Darms. So lassen sich beispielsweise im Jejunum von Frauen deutlich mehr Immunmodulatoren wie TNF-, IL-17 oder IL-1B finden. Außerdem sind im weiblichen Genom die Gene für Immunmodulation (IGF, B-Zell-Rezeptor) hochreguliert, sodass auch im Gesunden eine stärkere Immunaktivierung im Vergleich zum männlichen Immunsystem stattfindet[7] . Anhand des sexuellen Dimorphismus lässt sich möglicherweie auch verdeutlichen, weshalb Frauen mit der Appendicitis gangraenosa häufiger eine schwere Verlaufsform der Appendizitis erleiden[1]. Durch die stärker ausgeprägte Immunantwort kommt es bereits im Verlauf zu ausgedehnten Nekrosen der Appendixwand, die teilweise mit Wanddefekten einhergehen. Es ist davon auszugehen, dass die Lifetime-Inzidenzen bei Mann (8,6%) und Frau (6,7%) eigentlich identisch wären und sich ursächlich nur durch die verstärkte Immunantwort der Frau, die mit einer stärkeren Bekämpfung der Entzündung einhergeht, voneinander unterscheiden. Offen bleibt, ob das geschlechtsspezifische Mikrobiom im Darm und die unterschiedliche Nahrungszusammensetzung eine Auswirkung auf die Entstehung und den Verlauf einer Appendizitis haben.

Symptome der Appendizitis[Bearbeiten]

Entleerungsstörung: Kotsteine, Tumor, Abknickung, Fremdkörper Stase des Darminhaltes mit intraluminalem Druckanstieg Hypoxie durch Überschreiten des venösen Drucks Ulzeration Bakterien können in die Darmwand einwandern und lösen eine Entzündung aus Die Symptome der akuten Appendizitis sind anfangs meist unspezifisch, wie z.B. allgemeines Unwohlsein, Übelkeit, Erbrechen und diffuse Oberbauchbeschwerden. Später kommen außerdem Fieber, Druckschmerz im rechten Unterbauch, Loslassschmerz, Appetitlosigkeit, eine Abwehrspannung und Leukozytose dazu. Das Leitsymptom der Appendizitis sind Schmerzen im rechten Unterbauch. Bei atypischer Lage der Appendix kann es vorkommen, dass sich die Symptome nicht nur auf den rechten Unterbauch beschränken. Es zeigte sich, dass Jungen unter 15 Jahren beim Husten, Hüpfen und Beklopfen der rechten unteren Bauchdecke deutlich häufiger Schmerzen haben als Mädchen. Ein Palpationsschmerz tritt bei beiden Geschlechtern gleichermaßen auf.[4] Bei Mädchen äußert sich die Appendizitis tendenziell durch Übelkeit und Erbrechen, wohingegen Jungen eher durch Fieber auffallen. Dies ist aber lediglich eine Tendenz und hat keine statistische Signifikanz.[4] Laborbefunde wie Leukozytose, Neutrophilie und ein erhöhter CRP-Wert sind bei Jungen und Mädchen gleich häufig [4].

Diagnostik der Appendizitis[Bearbeiten]

Der Hauptteil der Diagnostik erfolgt durch die Anamnese und die körperliche Untersuchung. Bei der körperlichen Untersuchung erfolgt eine Auskultation und Palpation des Abdomens, sowie das Prüfen der sog. Appendizitiszeichen. Außerdem wird die Körpertemperatur gemessen. Eine axillo-rektale Temperaturdifferenz von ≥ 1°C ist ein Anzeichen für eine Appendizitis. Weitere Hinweise sind – wie oben schon genannt: Druckschmerzen im rechten Unterbauch, Abwehrspannung, Schmerzauslösung durch Erschütterung. Bei einer digital-rektalen Untersuchung kann evtl. ein Schmerz im Douglas-Raum ausgelöst werden.

Die Appendizitiszeichen sind:

Schmerzen nach Druckausübung an folgenden Stellen:

  • McBurney-Punkt: Punkt, der in der Mitte der Linie zwischen der Spina iliaca anterior superior und dem Bauchnabel liegt
  • Lanz-Punkt: Punkt, der sich zwischen dem rechten und mittlerem Drittel der Linie zwischen den beiden Spinae iliacae anteriores superiores befindet
  • Blumberg-Zeichen: Schmerz im rechten Unterbauch nach Palpation des linken Unterbauches (kontralateraler Loslassschmerz)

Schmerzhafte Manöver:

  • Rovsing-Zeichen: Schmerzen im rechten Unterbauch nach retrogradem Ausstreichen des Kolons in Richtung Appendix (in der Praxis eher selten angewandt)
  • Douglas-Schmerz: bei Palpation des Douglas-Raums (in der Praxis eher selten angewandt)
  • Psoas-Zeichen: Schmerzen im rechten Unterbauch nach Anheben des rechten Beines gegen Widerstand

Zusätzlich zur körperlichen Untersuchung kann man eine Laboruntersuchung durchführen. Gemessen werden Entzündungsparameter, wie z.B. eine Leukozytose oder ein erhöhter CRPWert. Darüber hinaus hat man die Möglichkeit, auf bildgebende Verfahren, wie z.B. Sonographie, Röntgen-Abdomen oder CT, zurückzugreifen. Die Beurteilung der Sonographie ist hier allerdings sehr stark vom Untersucher abhängig. Bei Kindern kann mit Hilfe des „Pediatric Appendicitis Scores“ (PAS) das Risiko einer Appendizitis berechnet werden. Es werden Folgende Parameter miteinbezogen: Übelkeit/Erbrechen; Appetitlosigkeit; Fieber ≥ 38°C; Durchfall; Symptome eines Harnwegsinfektes; Bauchdeckenspannung des Abdomens; Schmerz bei Bewegung, Husten, Beklopfen; Leukozytose; Neutrophilie; erhöhter CRP.[4] Dieser Score wird gleichermaßen bei Jungen und Mädchen angenwandt. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass der Score bei Mädchen spezifischer ist und einen größeren negativen prädiktiven Wert besitzt, als bei Jungen. In der Sensitivität des Tests zeigte sich kein Unterschied[4] . Bei Frauen und Mädchen werden häufiger bildgebende Verfahren zur Diagnostik hinzugezogen als bei Jungen und Männern[1;8] . Trotzdem wird bei Frauen und Mädchen häufiger eine Appendizitis diagnostiziert, obwohl keine Entzündung des Appendix vorliegt[2,9] . Dies kann darauf zurück geführt werden, dass die Ultraschalluntersuchung bei Mädchen eine geringere Sensitivität aufweist, als bei Jungen[8] . Außerdem sind bei Frauen mehr gynäkologische Differentialdiagnosen möglich[1] . Bei Jungen ist die Appendizitis häufiger perforiert und phlegmonös, wohingegen Mädchen häufiger eine gangränöse Appendizitis erleiden[4] . Diese Beobachtungen lassen sich auch auf Erwachsene übertragen[1] .

Therapie[Bearbeiten]

Erstlinien Therapie der akuten Appendizitis ist die operative Appendektomie. Diese kann offen-chirurgisch oder laparoskopisch (minimal-invasiv) erfolgen. Im Jahr 2011 wurden in den USA 75% der Appendektomien laparoskopisch durchgeführt. In Bezug auf das Geschlecht lassen sich signifikante Unterschiede in der Auswahl des OP Verfahrens feststellen, bei Männern (84%) wird häufiger laparoskopisch interveniert als bei Frauen (62%)[10] . Ein weiterer beobachteter Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern lässt sich in der intra- bzw. postoperativen Bewertung des entfernten Appendix feststellen. Die Wahrscheinlichkeit, einen unauffälligen, nicht entzündeten Appendix zu entfernen, ist bei Frauen (26,8%) signifikant höher als bei Männern (12,1%)[1] . Vergleicht man jedoch die Lebenszeitprävalenz der Appendektomie von Frauen und Männern, zeigt sich eine signifikant höhere Rate an Appendektomien bei Frauen (23%) als bei Männern (12%)[2] . Frauen haben also nicht nur eine deutlich höhere Lebenszeitprävalenz für die Appendektomie, sondern auch eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich bei der Entfernung des Appendix ein unauffälliger Befund zeigt. Die Ursache der höheren Rate an negativen Operationsbefunden kann durch die zusätzlichen gynäkologischen Differentialdiagnosen erklärt werden, die zuvor nicht ausreichend abgeklärt worden sind. Diese Beobachtungen lassen sich auch bei Kindern feststellen: Der Anteil an negativen Appendektomien ist bei Mädchen (18%) signifikant höher als bei gleichaltrigen Jungen (7%). Auffällig ist dabei jedoch, dass Mädchen zuvor deutlich häufiger eine präoperative Bildgebung erhalten haben (50%, Jungen 38%) und sich trotzdem intraoperativ eine größere Anzahl an nicht entzündeten Appendices zeigt[4] .

5aef4fb88bbdc.JPG

Integration in die klinische Versorgung[Bearbeiten]

Unter Berücksichtigung der oben erarbeiteten Aspekte bezüglich der diagnostischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen ergeben sich einige Möglichkeiten, die klinische Diagnostik zu verbessern. Die höhere negative Appendizitisrate bei Frauen könnte durch eine routinemäßige Ultraschalluntersuchung des Unterbauches vermindert werden. Durch diese schnelle, günstige und ubiquitär verfügbare Methode lassen sich gynäkologische Differenzialdiagnosen ausschließen. Die Abklärung kann sowohl durch die transabdominelle als auch durch die vaginale Ultraschalluntersuchung im Rahmen eines gynäkologischen Konsils erfolgen. Um eine geschlechtersensible Diagnostik durchführen zu können, ist eine genauere Kenntnis der symptomatischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen vorteilhaft. Bisher liegen dazu keine Untersuchungen in Form einer Studie vor. Lediglich eine Studie beschäftigt sich 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Männer Jungen Frauen Mädchen Intraoperative Bewertung der Appendix Entzündung vs. keine Entzündung in % entzündete Appendix/ wahre Appendizitis entzündungsfreie Appendix/ falsche Appendizitis mit den Unterschieden der Symptomatik zwischen Jungen und Mädchen bis 14 Jahren[5] . Aus dieser Studie geht hervor, dass der bei Kindern angewandte PA-Score vor allem bei Jungen, aber auch bei Mädchen eine geringe Aussagekraft besitzt.

Literaturverzeichnis[Bearbeiten]

  1. Stein G, Rath-Wolfons L, Zeidman A, Atar E, Marcus O, Joubran S, Ram E (2012) Sex differences in the epidemiology, sesonal variation, and trends in the managment of patients with acute appendicitis. Langebocks Arch Surg (2012) 397: 1087-1092
  2. Addiss DG, Shaffer n, Fowler BS, Tauxe RV (1990) The epidemiology of appendicitis and appendectomie in the United States. AM J Epidemiol 132(5): 910-925
  3. Ferris M1 , Quan S, Kaplan BS, Molodecky N, Ball CG, Chernoff GW, Bhala N, Ghosh S, Dixon E, Ng S, Kaplan GG, The Global Incidence of Appendicitis: A Systematic Review of Population-based Studies
  4. Salö M, Ohlsson B., Arnbjörnsson E, Stenström P (2015) Appendicitis in children from a gender perspective, Pediatr Surg Int (2015) 31: 845-853
  5. By Beeson PB, Am J Med 1994, Age and sex associations of 40 autoimmune diseases, Am J Med 1994, 96(5):457-462
  6. Giannoi E., Guignard L., Knaup Reymond M., Perreau M., Roth-Kleiner M., Caladra T., Roger T.: Estradiol and progesterone strongly inhibit the innate immune response of mononuclear cells in newborns. Infect immune 2011, 79(7):2690-2698
  7. Sankaran-Walters et al.: Sex differences matter in the gut: effect on mucosal immune activation and inflammation. Biology of Sex Differences 2013 4:10
  8. Saito JM et al (2013) Use and accuracy of diagnostic imaging by hospital type in pediatric appendicitis. Pediatrics 131(1):e37-e44
  9. Paulsen EK, Kalady MF, Pappas TN (2003) Clinical practice. Suspected appendicitis. N Engl J Med 348(3):236-242
  10. Masoomi H., Nguyen N., Dolich M., Mills S. Carmicheal J., Stamos M. (2014) Laparoscopic Appendectomy Trends and Outcomes in the United States: Data from the Nationwide Inpatient Sample (NIS), 2004-2011, The American Surgeon, Volume 80, Number 10, pp. 1074-1077

 

 

Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.

Lizenz[Bearbeiten]

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren[Bearbeiten]

Iva Ruth Bartmann

Zuletzt geändert: 2018-05-06 20:55:49

Ein Teilgebiet der Medizin, das die Verteilung von Krankheiten in einer Bevölkerung und die damit zusammenhängenden Variablen untersucht.

Entzündung des Wurmfortsatzes (Appendix vermiformis) des Blinddarms. Im deutschen Sprachraum oft medizinisch unkorrekt als Blinddarmentzündung bezeichnet.

Die Anzahl neu aufgetretener Krankheitsfälle innerhalb einer definierten Population in einem bestimmten Zeitraum.

Die Lehre von krankhaft veränderten Körperfunktionen sowie ihrer Entstehung und Entwicklung.

(richtig positive Rate eines Tests) bezeichnet den Anteil der test-positiven Personen unter allen Erkrankten einer Stichprobe, d. h. die Wahrscheinlichkeit, mit einem diagnostischen Test die Kranken auch als krank zu identifizieren.

Biologisches Geschlecht