Substanzgebrauchsstörungen: Unterschied zwischen den Versionen

(Pharmakotherapie)
 
(73 dazwischenliegende Versionen von 4 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
 
{{Krankheitsbild
 
{{Krankheitsbild
|Fach=Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologie und Soziologie,
+
|Fach=,
|Organsystem=Psyche,
+
|Organsystem=,
|Symptom=Craving, Toleranzentwicklung, Entzugssymptome, Kontrollverlust, Vernachlässigung anderer Interessen, Anhaltender Konsum,
+
|Symptom=,
 
|Artikelart=Fachartikel
 
|Artikelart=Fachartikel
|Zusammenfassung=In Deutschland werden von Männern die meisten Substanzen häufiger und in größerer Menge
+
|Zusammenfassung=In Deutschland konsumieren Männer die meisten Substanzen häufiger und in größeren Mengen als Frauen. Die Pubertät ist die Phase, in der sich dieser Geschlechtsunterschied zu entwickeln beginnt: Risikofaktoren sind dabei vor allem für Jungen höhere Ausprägungen in Impulsivität und Sensation Seeking, wobei Testosteron eine wichtige Rolle spielt. Bei Mädchen (und Frauen) tragen u. a. weibliche Geschlechtshormone zu einer höheren Vulnerabilität von [[Depression | depressiven]] sowie [[Angststörungen | ängstlichen]] Symptomen bei. Substanzkonsum dient deshalb bei Frauen häufig als (dysfunktionale) Bewältigungsstrategie bzw. zur Emotionsregulation, während Männer eher aus Vergnügen konsumieren. Die weiblichen Geschlechtshormone werden zudem als eine Urasche  für den sogenannten ''telescoping effect'' gesehen. Dieser beinhaltet, dass Frauen eine Abhängigkeit schneller entwickeln und typische Phasen des Substanzkonsums früher sowie beschleunigt durchlaufen. Für die meisten toxischen Effekte von Substanzen sind Frauen vulnerabler, d. h. trotz geringerem Konsums treten medizinische Konsequenzen früher und stärker ausgeprägt auf. Zudem haben sich Geschlechterunterschiede in der Wirkung einzelner Medikamente gezeigt. Beispielsweise haben Frauen oft stärkere Nebenwirkungen als Männer.  Ein Anpassen der medikamentösen Dosis an das jeweilige Geschlecht (oder zumindest an das Körpergewicht) könnte dem teilweise entgegengewirken. Gesellschaftlich wird eine Abhängigkeitserkrankung noch als typisch „männliche“ Störung eingestuft (ähnlich wie [[Depression | Depression]] als typisch „weibliche“ Erkrankung gilt), weshalb viele Frauen es vermeiden, sich in Behandlung zu begeben. In der Medizin gilt der Abhängigkeitsverlauf bei Männern zudem als Standard für beide Geschlechter. Ein Umdenken ist dringend nötig.
konsumiert als von Frauen. Allerdings zeigt sich in jüngeren Kohorten die Tendenz, dass dieser
 
Geschlechtsunterschied zu verschwinden beginnt, weshalb zukünftig mit einer erhöhten Rate an
 
weiblichen Abhängigen zu rechnen ist. Dieser Wandel erfordert ein spezielles Bewusstsein sowohl
 
für die besonderen Bedürfnisse, die Mädchen und Frauen dazu bewegt, Substanzen zu sich zu
 
nehmen, als auch für die pathophysiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die
 
Pubertät ist dabei die Phase, in der sich die Geschlechtsunterschiede ausprägen: Als prägende
 
Risikofaktoren ergeben sich für Jungen vermehrt höhere Werte in Impulsivität und Sensation
 
Seeking, welche durch Testosteron vermittelt werden, bei Mädchen sorgen weibliche
 
Geschlechtshormone für eine höhere Vulnerabilität von depressiven sowie ängstlichen Symptomen,
 
die sie mit Substanzen überdecken möchten.
 
Die weiblichen Geschlechtshormone werden auch als ursächlich für den bei Frauen zu
 
beobachtenden telescoping effect gesehen, der bewirkt, dass Frauen eine Abhängigkeit schneller
 
entwickeln und typische Phasen des Drogenkonsums früher sowie in beschleunigter Weise
 
ablaufen. Für die meisten toxischen Effekte der Substanzen sind Frauen auch vulnerabler, d. h. trotz
 
geringeren Konsums treten medizinische Konsequenzen früher und stärker auf. Darüber hinaus
 
haben sich ebenfalls bei der Pharmakotherapie Geschlechtsunterschiede der Wirkung einzelner
 
Medikamente herausgestellt, denen teilweise (wie etwa stärkere Nebenwirkungen bei Frauen) durch
 
eine Anpassung der Dosis an das Geschlecht bzw. wenigstens an das Körpergewicht
 
entgegengewirkt werden kann. Gesellschaftlich wird eine Abhängigkeitserkrankung noch als
 
„männliche“ Störung angesehen (ähnlich wie Depression als „weibliche“ Erkrankung), weshalb
 
viele Frauen es vermeiden, sich in Behandlung zu begeben, aber auch in der Medizin gilt der
 
Abhängigkeitsverlauf bei Männern als Standard, weshalb es vonnöten ist, ein Umdenken
 
anzustimmen.
 
|Urheberrechtsbestimmung=Zustimmen
 
|Interessenkonflikt=Nein
 
}}
 
== Epidemiologie ==
 
=== Inzidenz/Prävalenz ===
 
In Deutschland sind etwa 31,2 % der Männer und 15,2 % der Frauen in ihrem Leben mindestens
 
einmal von einer Substanzabhängigkeit betroffen.<ref>Schmidt, C. O., Watzke, A. B., Schulz, A., Baumeister, S. E., Freyberger, H. J. & Grabe, H. J. (2013) Die Lebenszeitprävalenz psychischer Störungen in Vorpommern. Welchen Einfluss haben frühere psychische Auffälligkeiten auf die Survey-Teilnahme und Prävalenzschätzungen? Ergebnisse der SHIP-Studie. Psychiatrische Praxis, 40, 192–199</ref> Die höhere Rate an jemals betroffenen männlichen Personen spiegelt sich auch in aktuellen Umfragen wider: Für die meisten Substanzen ist die Prävalenz des allgemeinen, riskanten oder Abhängigkeits-indizierenden Konsums bei Männern höher als bei Frauen, wobei sich für einige Substanzen Angleichungstendenzen
 
ausfindig machen lassen.<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref>
 
Die Dominanz des männlichen Geschlechts hinsichtlich der meisten Substanzen äußert sich zumeist erst in Kohorten des jungen Erwachsenenalters. Darüber
 
hinaus konsumieren sie meist auch eine größere Menge derselben Droge. Die
 
Geschlechtsunterschiede zeigen sich in dem Bereich des höchsten angegebenen Konsums am
 
deutlichsten. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass sich die Prävalenzen (insbesondere beim
 
Rauchen) wieder annähern, d. h. in jüngeren Kohorten sind die Geschlechtsunterschiede am
 
geringsten, in älteren Kohorten am höchsten. Dementsprechend liegt es nahe anzunehmen, dass
 
diese Kohorteneffekte kulturelle Wandlungen widerspiegeln, welche Drogen insbesondere für
 
Frauen verfügbarer machen. Es kann aber auch argumentiert werden, dass die Unterschiede in den
 
Kohorten stabile Werte über verschiedene Lebensabschnitte darstellen, weshalb weitere Forschung
 
nötig ist.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
  
Substanzspezifische epidemiologische Daten erhalten Sie unter nachfolgenden Links:
+
==Ähnliche Artikel==
 
* [[Alkoholabhängigkeit]]
 
* [[Alkoholabhängigkeit]]
 
* [[Nikotinabhängigkeit]]
 
* [[Nikotinabhängigkeit]]
 
* [[Kokainabhängigkeit]]
 
* [[Kokainabhängigkeit]]
 
* [[Cannabisabhängigkeit]]
 
* [[Cannabisabhängigkeit]]
[[Substanzgebrauchsstörungen/Alkoholabhängigkeit |Alkoholabhängigkeit]]
 
====Amphetamine====
 
Mehr deutsche Männer als deutsche Frauen haben in den letzten 12 Monaten Amphetamine zu sich
 
genommen (1,2 % vs. 0,3 %). Die Kriterien des DSM-IV waren für Missbrauch und Abhängigkeit
 
bei Männern zu 0,3 % und 0,2 % zutreffend, wohingegen beide Diagnosen bei Frauen zu 0,0 %
 
zutrafen. Der Missbrauch folgte in den Altersgruppen keiner genauen Tendenz (z. B. jeweils 0,3 %
 
bei 21-24 Jahren und bei 40-49 Jahren, aber zwischen 30-39 Jahren 0,1 %). Die meisten Personen
 
mit Abhängigkeit befanden sich in der Altersgruppe von 25-29 Jahren (1,0 %), gefolgt von 18-20
 
Jahren (0,4 %) und 21-24 Jahren (0,1 %), während in den anderen Altersgruppen keine Werte über
 
0,0 % erreicht wurden.<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref>
 
  
====Medikamente====
+
* [[Pharmakologische Grundlagen]]
'''''Schmerzmittel'''''<br />
+
}}{| class="wikitable" style="float:left; margin-right:1em"
Eine höhere Anzahl deutscher Frauen im Vergleich zu deutschen Männern nahm innerhalb der
+
|-
letzten 12 Monate Schmerzmittel ein (68,0 % vs. 56,1 %), konsumierte diese während der letzten 30
+
|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[/Einführungsartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Einführungsartikel</u></span></big></big>]]
Tage zudem täglich (4,6 % vs. 3,8 %), und erfüllte die DSM-IV-Kriterien für Missbrauch (8,8 % vs.
+
|}
8,5 %) sowie Abhängigkeit (3,7 % vs. 3,0 %). Personen mittlerer Kohorten (21-49 Jahre) sind
+
{| class="wikitable" style="float:left; margin-right:1em"
tendenziell von diesen Konsummerkmalen mit Ausnahme der täglichen Einnahme stärker betroffen.<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref><br />
+
|-
'''''Schlafmittel'''''<br />
+
|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[/Fachartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Fachartikel</u></span></big></big>]]
Schlafmittel wurden über die letzten 12 Monate von weiblichen Deutschen häufiger eingenommen
+
|}
als von männlichen Deutschen (6,8 % vs. 4,2 %) und die Rate des täglichen Konsum lag auch höher
+
{| class="wikitable" style="float:left; margin-right:1em"
(0,8 % vs. 0,7 %). Bei Missbrauch nach DSM-IV lagen beide Geschlechter gleichauf (0,8 %),
+
|-
während Frauen etwas häufiger an Abhängigkeit litten (0,9 % vs. 0,8 %). Die Gebrauchsprävalenz
+
|style="border: 2px #003399 solid;" | [https://gendermedwiki.uni-muenster.de/editorial-board/education.php?articleId=58 <big><big><span><u>Lehrmaterial</u></span></big></big>]
und tägliche Einnahme steigt dabei tendenziell über die Altersgruppen, während Missbrauch und
+
|}
Abhängigkeit über diese relativ gleich verteilt sind.<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref> <br />
+
{| class="wikitable" style="float:left"
'''''Beruhigungsmittel'''''<br />
+
|-
6,2 % der deutschen Frauen konsumierten während der letzten 12 Monate Beruhigungsmittel,
+
|style="border: 2px #003399 solid;" | [[/Quiz |<big><big><span><u>Quiz</u></span></big></big>]]
während dies beim anderen Geschlecht 4,6 % waren. Die tägliche Einnahme war bei Frauen
+
|}
ebenfalls etwas höher (1,3 % vs. 1,1 %). Die Erfüllung der DSM-IV-Kriterien von Missbrauch ist
+
<br clear=all>
bei beiden Geschlechtern gleich (0,8 %), aber von Abhängigkeit bei Männern höher (1,4 % vs. 1,3
+
==Lizenz==
%). Für alle genannten Einnahmemerkmale ist ein Trend zu höheren Werten mit dem Alter zu
+
Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode
erkennen.<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref> <br />
 
'''''Weitere Medikamente'''''<br />
 
Anregungsmittel wurden von Männern in Deutschland mehr konsumiert (über 12 Monate 1,2 % vs.
 
0,7 %; täglich 0,3 % vs. 0,2 %). Der Konsum fand besonders in jüngeren bis mittleren Kohorten
 
statt (18-39 Jahre).
 
Deutsche Frauen nahmen innerhalb der letzten 12 Monate mit höherer Wahrscheinlichkeit
 
Appetitzügler ein (0,6 % vs. 0,2 %), aber Männer taten dies häufiger täglich (0,2 % vs. 0,1 %). In
 
jüngeren bis mittleren Kohorten war der Konsum am stärksten ausgeprägt.<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref>
 
  
====Weitere Substanzen in Kurzform====
+
==Autoren==
Die 12-Monats-Prävalenz der folgenden Substanzen war bei deutschen Männern jeweils höher als
+
Julia Schreitmüller
bei deutschen Frauen: Ecstasy (0,7 % vs. 0,1 %), LSD (0,5 % vs. 0,1 %), Heroin (0,3 % vs. 0,1 %),
 
Crack (0,2 % vs. 0,0 %), Pilze (0,5 % vs. 0,1 %), Spice (0,3 % vs. 0,0 %) sowie andere Opiate (0,4
 
% vs. 0,3 %).<ref>Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.</ref>
 
  
=== Risikofaktoren und protektive Faktoren ===
+
Zuletzt geändert: 2017-10-06 10:33:29
Während die meisten Merkmale, welche mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
 
einer Abhängigkeitserkrankung einhergehen, auf Männer und Frauen zugleich zutreffen, gibt es
 
einige nicht zu vernachlässigende Unterschiede:
 
====Impulsivität, Sensation Seeking, Selbstregulation====
 
Impulsivität, Sensation Seeking sowie Selbstregulation gelten als essenzielle Prädiktoren für das
 
Entwickeln einer Abhängigkeit, die von beiden Geschlechtern geteilt werden.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
Wichtig ist, dass der Zusammenhang zwischen inhibitorischer Kontrolle und zukünftigem
 
Drogenkonsum nicht einseitig ist, sondern dass Drogenkonsum seinerseits die Fähigkeit zur
 
Verhaltenskontrolle schwächt.<ref>Fattore, L., & Melis, M. (2016). Sex differences in impulsive and compulsive behaviors: a focus on drug addiction. Addiction Biology, 21(5), 1043–1051.</ref>
 
 
 
Die (selbst angegebenen) Werte für Sensation Seeking sowie Impulskontrolle sind zwischen
 
Männern und Frauen unterschiedlich und stehen zudem im Zusammenhang mit der pubertären
 
Entwicklung:<ref>Shulman, E. P., Harden, K. P., Chein, J. M., & Steinberg, L. (2015). Sex differences in the developmental trajectories of impulse control and sensation-seeking from early adolescence to early adulthood. Journal of Youth and Adolescence, 44(1), 1–17.</ref> Auch wenn während der Pubertät beide Geschlechter erhöhte Werte erreichen, so weisen heranwachsende Frauen generell geringere Ausprägungen als heranwachsende Männer hinsichtlich dieser Dimensionen auf, wobei dieser Unterschied nach der Pubertät den Höhepunkt erreicht. Typischerweise setzt die Pubertät bei Mädchen früher ein, sodass diese wegen der damit verknüpften Veränderungen altersmäßig betrachtet vor Jungen vulnerabel für Drogenkonsum werden.
 
 
 
Impulsivität wird oft in zwei Varianten unterteilt:<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref>
 
Impulsive Auswahl (impulsive choice) beschreibt dabei ein Verhalten, das ohne Bedenken zukünftiger Konsequenzen geschieht, was in Studien zumeist durch die Präferenz einer kleinen, aber direkten Belohnung statt einer größeren, aber späteren Belohnung operationalisiert ist.
 
Impulsives Handeln (impulsive action) beschreibt hingegen das Unvermögen, eine Reaktion
 
zurückzuhalten, bis eine gewisse Zeit signalisiert wird (z. B. operationalisiert durch ein Stoppsignal,
 
nach dessen Darbietung keine vorher zu drückende Taste mehr betätigt werden soll).
 
Während beide Formen mit Drogenmissbrauch allgemein assoziiert sind, gehen höhere
 
Ausprägungen auf der Skala für impulsive Auswahl mit dem Zutreffen diagnostischer Kriterien
 
einer Abhängigkeit einher.<ref>MacKillop, J., Amlung, M. T., Few, L. R., Ray, L. A., Sweet, L. H., & Munafò, M. R. (2011).</ref> Auch wenn es nur wenige Studien gibt, in denen
 
impulsive Auswahl an Tieren untersucht wurde, deuten diese auf moderat höhere Werte zugunsten
 
weiblicher Tiere hin.<ref>Weafer, J., & de Wit, H. (2014). Sex differences in impulsive action and impulsive choice. Addictive Behaviors, 39(11), 1573–1579.</ref>
 
Geschlechtsspezifische Differenzen bezüglich der Höhe impulsiver Auswahl sind bei Menschen
 
weniger eindeutig, da in einigen Studien keine Unterschiede festgestellt wurden, in anderen
 
wiederum entweder Frauen oder Männer sich impulsiver verhielten. Einige Trends können jedoch
 
herausgestellt werden:<ref>Weafer, J., & de Wit, H. (2014). Sex differences in impulsive action and impulsive choice.<br>
 
Addictive Behaviors, 39(11), 1573–1579.</ref> Hinsichtlich impulsiver Auswahl zeigten Frauen bei hypothetischen Belohnungen höhere Werte, Männer
 
hingegen bei tatsächlichen Belohnungen.  Bezüglich impulsiven Handelns weisen männliche Labortiere insbesondere unter Berücksichtigung von Geschlechtshormonen höhere Werte auf, während
 
Unterschiede bei Menschen in mäßigem Umfang und aufgabenspezifisch (d. h. bei Continuous
 
Performance Tasks und Go/No-go Tasks sind Männer impulsiver, bei Stoppsignalaufgaben Frauen)
 
zu beobachten sind. Es zeigt sich zudem eine Tendenz dahingehend, dass Männer in Studien
 
inhibitorischer Funktionen mehr Verhalten zeigen, das als Sensation Seeking bezeichnet werden
 
kann, wohingegen Frauen sensibler auf Bestrafungen reagieren.<ref>Cross, C. P., Copping, L. T., & Campbell, A. (2011). Sex differences in impulsivity: a meta-analysis.<br>
 
Psychological Bulletin, 137(1), 97–130.</ref>
 
 
 
Es hat sich in einigen Studien gezeigt, dass Drogenkonsumentinnen impulsiver handeln als
 
Drogenkonsumenten, während die männlichen Versuchspersonen in den Kontrollgruppen ebenso
 
impulsiv oder impulsiver als die weiblichen Versuchspersonen handelten, woraus geschlossen
 
werden kann, dass eine geschlechtsspezifische Kovarianz zwischen impulsivem Handeln und
 
Drogenmissbrauch besteht.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug<br>
 
Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> Impulsives Verhalten bei Frauen variiert zudem während des Zyklus:<ref>Hosseini-Kamkar, N., & Morton, J. B. (2014). Sex differences in self-regulation: an evolutionary<br>
 
perspective. Frontiers in Neuroscience, 8:233.</ref> Frauen sind während der Follikelphase am wenigsten impulsiv, womit sich
 
eventuell auch entscheidende Unterschiede zwischen Studien erklären lassen.
 
 
 
Zurückgeführt werden kann die geschlechtsspezifische Ausprägung der intentionalen Kontrolle
 
eventuell auf Unterschiede des orbitofrontalen Cortex (OFC), dessen Wirkung bei impulsiven
 
Entscheidungen gut dokumentiert ist:<ref>Fattore, L., & Melis, M. (2016). Sex differences in impulsive and compulsive behaviors: a focus on<br>
 
drug addiction. Addiction Biology, 21(5), 1043–1051.</ref> Der OFC ist bei Frauen größer, weist einen
 
geringeren Glukoseverbrauch auf, die Rezeptoren für Östrogene und Androgene sind dort dichter
 
besiedelt, und die Konnektivität mit dem präfrontalen Cortex sowie dem dorsalen Striatum ist
 
höher. Darüber hinaus ist das Volumen des präfrontalen Cortex bei jungen (15-17 Jahre)
 
Alkoholkonsumentinnen im Vergleich zu Alkoholkonsumenten und gleichgeschlechtlichen
 
Kontrollen geringer, was darauf schließen lässt, dass das biologische Geschlecht den Einfluss von
 
Drogen auf die Morphologie und die Aktivierung kortikaler Bereiche, die mit Impulsivität in Verbindung stehen, moderiert.<ref>Medina, K. L., McQueeny, T., Nagel, B. J., Hanson, K. L., Schweinsburg, A. D., & Tapert, S. F.<br>
 
(2008). Prefrontal cortex volumes in adolescents with alcohol use disorders: unique gender effects.<br>
 
Alcoholism, Clinical and Experimental Research, 32(3), 386–394.</ref>
 
 
 
====Merkmale des mesolimbischen Systems====
 
Das mesolimbische System mit seinen dopaminergen Pfaden spielt eine entscheidende Rolle bei
 
Prozessen, welche einem Abhängigkeitssyndrom zugrunde liegen.<ref>Fattore, L., & Melis, M. (2016). Sex differences in impulsive and compulsive behaviors: a focus on<br>
 
drug addiction. Addiction Biology, 21(5), 1043–1051.</ref> Dabei können
 
atypische morphologische oder funktionelle Eigenschaften sowohl Ursache für die Entwicklung
 
einer Abhängigkeit als auch Konsequenz dieser sein. Geschlechtsunterschiede dieses Systems
 
finden sich unter anderem hinsichtlich der Dopaminkonzentration im Striatum, wo zudem
 
Östrogene (nur bei Weibchen) einen geschlechtsspezifischen Effekt auf die Bindung von
 
dopaminergen D2-Rezeptoren bei kastrierten Ratten hatten.<ref>Bazzett, T. J., & Becker, J. B. (1994). Sex differences in the rapid and acute effects of estrogen on<br>
 
striatal D2 dopamine receptor binding. Brain Research, 637(1-2), 163–172.</ref>
 
Bei Ratten zeigten sich auch hinsichtlich der Eigenschaften und Plastizität der mesolimbischen
 
dopaminergen Neuronen geschlechtsbedingte Unterschiede, welche möglicherweise dazu beitragen
 
können, das schnellere Aneignen des Drogenkonsums bei weiblichen Ratten, das auch bei
 
weiblichen Menschen beobachtet wird, zu erklären.<ref>Melis, M., De Felice, M., Lecca, S., Fattore, L., & Pistis, M. (2013). Sex-specific tonic 2-<br>
 
arachidonoylglycerol signaling at inhibitory inputs onto dopamine neurons of Lister Hooded rats.<br>
 
Frontiers in Integrative Neuroscience, 7:93.</ref>
 
====Beginn der Pubertät und ihr Verlauf====
 
Während der Pubertät finden Entwicklungsprozesse auf biologischer, sozialer und
 
umweltbezogener Ebene statt, deren Interaktionen es schwierig machen, eindeutige
 
Zusammenhänge herauszustellen.
 
Das Eintrittsalter der Pubertät, erhöhte Werte in Persönlichkeitsmerkmalen wie Sensation Seeking
 
und Impulsivität sowie Komorbiditäten gelten als zentrale Risikofaktoren bei Heranwachsenden
 
beider Geschlechter, wobei bei allen Faktoren geschlechtsspezifische Differenzen bezüglich der
 
Effektstärke bestehen, die sich während der Pubertät entwickeln und im Erwachsenenalter meist am
 
stärksten ausgeprägt sind.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref> Dementsprechend sind diese Veränderungen hier nur in
 
einem zeitlichen, entwicklungsbezogenen Bezug zu verstehen und werden unten einzeln
 
spezifiziert.
 
 
 
In einer Längsschnittstudie hatten Heranwachsende, die angaben, weiter als Gleichaltrige in der
 
pubertären Entwicklung zu sein, in den letzten drei Monaten mit höherer Wahrscheinlichkeit
 
Zigaretten, Alkohol sowie Marihuana konsumiert, was größtenteils auf Unterschiede des Konsums
 
im Alter von 11 Jahren zurückgeführt werden konnte.<ref>Cance, J. D., Ennett, S. T., Morgan-Lopez, A. A., Foshee, V. A., & Talley, A. E. (2013). Perceived<br>
 
pubertal timing and recent substance use among adolescents: a longitudinal perspective. Addiction<br>
 
(Abingdon, England), 108(10), 1845–1854.</ref> Da Mädchen die Pubertät
 
früher erreichen als Jungen und schon im Alter von 11 Jahren klare Zusammenhänge zwischen dem
 
Drogenkonsum und der eigenen Angabe der pubertären Entwicklung bestehen, sind Mädchen
 
während der Pubertät womöglich vulnerabler für einen Ersteinstieg als Jungen.
 
Sensation Seeking wird oft als Mediator des Zusammenhangs zwischen pubertärer Entwicklung und
 
frühem Drogenkonsum sowie -missbrauch genannt, wobei sich die allgemein höhere Ausprägung
 
und somit das Risiko bei Männern während der Pubertät entwickelt, während sich erhöhte
 
Inzidenzen von Depression und Ängstlichkeit bei Frauen während der Pubertät manifestieren, die
 
beide mit Drogenkonsum einhergehen.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
 
 
Insgesamt gestaltet sich die Pubertät als kritische Phase, da Jugendliche einerseits empfänglicher für
 
Belohnungen von Drogen sind, andererseits aversive Effekte weniger empfunden werden.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug<br>
 
Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> Kritisch ist auch, dass auf neuronaler Ebene während der Pubertät viele
 
Veränderungen stattfinden, sodass ein erhöhter Drogenkonsum im Jugendalter zu Veränderungen
 
führen kann, die sich z. B. beim präfrontalen Kortex dadurch äußern, dass sich Impulsivität steigert,
 
welche wiederum ein Risikofaktor für Drogenmissbrauch ist.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug<br>
 
Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref>
 
====Komorbiditäten====
 
Eine Substanzgebrauchsstörung geht oft mit dem Vorliegen einer zusätzlichen psychischen Störung
 
einher, welche das Fortschreiten des Substanzgebrauchs beschleunigt.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref> Zu diesen
 
psychischen Störungsbildern gehören Ängstlichkeit, Depression, bipolare Störung,
 
Verhaltensstörungen und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.
 
Geschlechtsunterschiede bestehen dabei für jede dieser Störungen, wobei diese sich meist während
 
der Jugend ausprägen:<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref> <ref>Latimer, W. W., Stone, A. L., Voight, A., Winters, K. C., & August, G. J. (2002). Gender differences<br>
 
in psychiatric comorbidity among adolescents with substance use disorders. Experimental and<br>
 
Clinical Psychopharmacology, 10(3), 310–315.</ref>
 
Bei Männern sind die Inzidenzen für Komorbiditäten von Verhaltensstörungen sowie der
 
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung höher und bei männlichen Jugendlichen haben sich
 
diese als Risikofaktoren herausgestellt, welche die Wahrscheinlichkeit für Substanzmissbrauch
 
erhöhen. Eine hohe Quote von Verhaltensstörungen wurde allerdings auch bei weiblichen
 
Jugendlichen festgestellt, die problematischen Drogenkonsum aufweisen.
 
Depression, Ängstlichkeit und bipolare Störung werden bei Frauen öfter in komorbider Variante
 
beobachtet, welche als Folge dessen oft zu Alkohol bzw. motorischen Stimulanzien greifen, um
 
manische Symptome zu bekämpfen bzw. depressive Symptome zu lindern. Allerdings war unter
 
weiblichen Jugendlichen, die Drogen missbrauchten, nur die Prävalenz einer Major Depression
 
höher als bei Drogen missbrauchenden, männlichen Jugendlichen, während das Verhältnis bei
 
Dysthymie und einer doppelten Depression zwischen den Geschlechtern gleich war.
 
 
 
Traumatische Erfahrungen (insbesondere während der Kindheit), die auch u. a. zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen
 
können (aber nicht müssen), stehen im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch.
 
In einer Studie wurde festgestellt, dass viel mehr Frauen Opfer sexuellen Missbrauchs waren als
 
Männer („weiße Frauen“ erreichten 26,5 %, „weiße Männer“ 4 %).<ref>Clark, C. B., Perkins, A., McCullumsmith, C. B., Islam, M. A., Hanover, E. E., & Cropsey, K. L.<br>
 
(2012). Characteristics of victims of sexual abuse by gender and race in a community corrections<br>
 
population. Journal of Interpersonal Violence, 27(9), 1844–1861.</ref> In derselben
 
Studie konnte darüber hinaus herausgestellt werden, dass sexuelle Missbrauchserfahrungen nur bei
 
Frauen mit problematischem Drogenmissbrauch verbunden waren.
 
 
 
In einer anderen Studie wurde die Verbindung zwischen fünf Formen von Kindesmisshandlung
 
(physischer, sexueller und emotionaler Missbrauch sowie physische und emotionale
 
Vernachlässigung) und verschiedenen Substanzgebrauchsstörungen untersucht.<ref>Afifi, T. O., Henriksen, C. A., Asmundson, G. J. G., & Sareen, J. (2012). Childhood maltreatment<br>
 
and substance use disorders among men and women in a nationally representative sample.<br>
 
Canadian Journal of Psychiatry. Revue Canadienne de Psychiatrie, 57(11), 677–686.</ref>
 
Dabei wurde herausgefunden, dass alle fünf Formen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von
 
Substanzmissbrauch für Frauen einhergingen, bei Männern jedoch einige Formen (physische und
 
emotionale Vernachlässigung) keinen Zusammenhang mit Missbrauch bestimmter Substanzen
 
(Heroin, Amphetamine und Kokain) aufwiesen. Nachdem in einem weiteren Analyseschritt mentale
 
Störungen des DSM (Achse I und II) Berücksichtigung fanden, wurde die Stärke des
 
Zusammenhangs zwischen Kindesmisshandlung und Substanzgebrauchsstörungen nach unten
 
korrigiert, wobei viele ihre statistische Signifikanz behielten.
 
Das Vorliegen von Kindesmisshandlung erweist sich zwar für beide Geschlechter als Prädiktor des
 
Einstiegsalters in den Drogenkonsum und die Heftigkeit des Drogenmissbrauchs, jedoch sind diese
 
Zusammenhänge bei Frauen stärker ausgeprägt.<ref>Hyman, S. M., Garcia, M., & Sinha, R. (2006). Gender specific associations between types of<br>
 
childhood maltreatment and the onset, escalation and severity of substance use in cocaine dependent<br>
 
adults. The American Journal of Drug and Alcohol Abuse, 32(4), 655–64.</ref>
 
Insgesamt sind Frauen also häufiger Opfer von Misshandlungen, was sich deutlicher in einem
 
Substanzmissbrauch niederschlagen kann, aber auch für Männer stellen Misshandlungen unter
 
Umständen einen Risikofaktor dar. Heftigkeit und Form der Misshandlung entfalten dabei
 
womöglich eine geschlechtsspezifische Wirkung.
 
====Geschlechtshormone====
 
Eine isolierte Betrachtung von Geschlechtshormonen und ihres Einflusses auf Drogenkonsum
 
gestaltet sich als schwierig, da diese ihrerseits stets mit relevanten sozialen und biologischen
 
Systemen und Entwicklungsprozessen interagieren.<ref>Lenz, B., Müller, C. P., Stoessel, C., Sperling, W., Biermann, T., Hillemacher, T., … Kornhuber, J.<br>
 
(2012). Sex hormone activity in alcohol addiction: Integrating organizational and activational<br>
 
effects. Progress in Neurobiology, 96(1), 136–163.</ref>
 
Für das Verständnis von Abhängigkeiten hat sich dennoch als fundamentaler
 
Geschlechtsunterschied herausgestellt, dass Östradiol bei weiblichen Tieren wie auch bei
 
weiblichen Menschen das Aufsuchen von Drogen sowie die belohnenden Effekte des
 
Drogenkonsums erhöht, während dies bei männlichen Wesen nicht der Fall ist.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug<br>
 
Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> <ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in<br>
 
substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref> Der Zyklus der Frau stellt sich somit als ein wichtiger Faktor dar, da
 
Östradiol in der ersten Phase (Follikelphase) stark ansteigt, womit auch das Craving stärker wird,
 
während in der zweiten Phase (Lutealphase) der Anstieg von Progesteron diesen
 
Geschlechtsunterschied ausgleicht. Auf vergleichbare Weise stellt sich der chronische Gebrauch von
 
oralen Kontrazeptiva als Risikofaktor heraus, weil er auf den natürlichen Hormonkreislauf einwirkt.<ref>Lenz, B., Müller, C. P., Stoessel, C., Sperling, W., Biermann, T., Hillemacher, T., … Kornhuber, J.<br>
 
(2012). Sex hormone activity in alcohol addiction: Integrating organizational and activational<br>
 
effects. Progress in Neurobiology, 96(1), 136–163.</ref>
 
 
 
Unter den männlichen Geschlechtshormonen hat sich insbesondere das Testosteron-Level für beide
 
Geschlechter als prädiktiv für Alkoholkonsum erwiesen.<ref>Erol, A., & Karpyak, V. M. (2015). Sex and gender-related differences in alcohol use and its<br>
 
consequences: Contemporary knowledge and future research considerations. Drug and Alcohol<br>
 
Dependence, 156, 1–13.</ref> Dabei ist zu
 
beachten, dass Alkoholkonsum seinerseits das Testosteron-Level bei beiden Geschlechtern erhöht,
 
aber bei Männern chronischer Alkoholkonsum dieses verringert, was bei Frauen nicht der Fall ist.
 
Es wird durch die Literatur nahegelegt, dass die Wirkung von Testosteron auf Drogenkonsum durch
 
ein Erhöhen von Impulsivitäts-Facetten oder Sensation Seeking mediiert wird.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
====Soziale Beziehungen====
 
Dass sozialer Kontakt mit Drogen konsumierenden Personen die Wahrscheinlichkeit erhöht, selbst
 
Drogen zu sich zu nehmen, wird allgemein vertreten, auch wenn die dafür eingesetzten
 
Untersuchungsparadigmen schwierig zu realisieren oder uneindeutig zu interpretieren sind.<ref>Strickland, J. C., & Smith, M. A. (2014). The effects of social contact on drug use: Behavioral<br>
 
mechanisms controlling drug intake. Experimental and Clinical Psychopharmacology, 22(1), 23–<br>
 
34.</ref>
 
Bei jugendlichen Ratten hat sich bei beiden Geschlechtern mit vergleichbaren Effektstärken für
 
soziale Settings herausgestellt, dass zumindest Alkohol, Nikotin und Kokain soziale Interaktionen
 
oder Belohnungen erhöhen, was den Drogenkonsum in einer Gruppe fördert.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
Allerdings blieb bei diesen Studien innerhalb von Dyaden das Geschlecht des Partners oder der
 
Partnerin meistens unberücksichtigt, was jedoch einen Unterschied bewirken kann, wie in einer
 
Studie gezeigt wurde, in der das Geschlecht die Höhe des Zusammenhangs zwischen sozialer
 
Interaktion und Alkoholkonsum moderierte.<ref>Hostetler, C. M., Anacker, A. M. J., Loftis, J. M., & Ryabinin, A. E. (2012). Social housing and<br>
 
alcohol drinking in male-female pairs of prairie voles (Microtus ochrogaster).<br>
 
Psychopharmacology, 224(1), 121–132.</ref>
 
 
 
Bei Menschen besteht insgesamt für Jungen früher (Alter 10-12) ein höheres Risiko, durch Drogen
 
konsumierende Gleichaltrige zum Drogeneinstieg verleitet zu werden.<ref>Kirisci, L., Mezzich, A. C., Reynolds, M., Tarter, R. E., & Aytaclar, S. (2009). Prospective Study of<br>
 
the Association Between Neurobehavior Disinhibition and Peer Environment on Illegal Drug Use in<br>
 
Boys and Girls. The American Journal of Drug and Alcohol Abuse, 35(3), 145–150.</ref> In
 
derselben Studie zeigten Mädchen erst im Alter von 16 Jahren den durch abwegiges Verhalten
 
Gleichaltriger vermittelten Zusammenhang zwischen Enthemmung und dem Gebrauch illegaler
 
Drogen.
 
Andererseits zeigt sich bereits ab der Jugend, dass weibliche Personen in höherem Umfang durch
 
den Drogenkonsum (zumindest nachgewiesen für Alkohol und Zigaretten) des romantischen
 
Partners beeinflusst werden als Männer.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
 
 
== Pathophysiologie ==
 
Bevor man sich geschlechtsspezifischen Aspekten der Pathophysiologie widmet, ist zunächst zu
 
konstatieren, dass einige Besonderheiten der Forschung zu berücksichtigen sind:<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug<br>
 
Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6, 175.</ref> Zumeist basiert die Forschung auf Paradigmen, die Drogen naive Tiere, niedrige
 
bis moderate Dosen und/oder vergleichsweise anspruchsvolle Zeitpläne der Verstärkung einsetzen.
 
Festgehalten werden kann, dass Geschlechtsunterschiede weniger wahrscheinlich unter Einsatz
 
hoher Dosen oder bei einem sehr einfachen Zugang zur Droge gefunden werden, da Ceiling-Effekte
 
eintreten. In Studien an menschlichen Probanden und Probandinnen sind die Teilnehmenden nicht
 
Drogen naiv, es gibt verschiedene Umweltbedingungen und historische Faktoren sowie derzeit
 
verfügbare, konkurrierende Belohnungen können die Angabe von Belohnungseffekten der
 
missbrauchten Droge bei Selbsteinschätzungen beeinflussen. Darüber hinaus besteht eine wichtiger
 
Unterschied darin, dass das Ausmaß des Drogenmissbrauchs bei Tieren durch den tatsächlichen
 
Konsum der Droge operationalisiert ist, bei Menschen hingegen Aussagen aus Selbsteinschätzungen
 
oder Entscheidungen bzw. hypothetische Entscheidungen für die Droge herangezogen werden.
 
 
 
Obwohl Männer fast alle Drogen betreffend mehr konsumieren und höhere Prävalenzen für
 
Substanzgebrauchsstörungen als Frauen aufweisen, entwickeln Frauen eine Abhängigkeit schneller,
 
wobei auch typische Phasen des Drogenkonsums früher bzw. schneller durchlaufen werden (d. h.
 
geringeres Einstiegsalter, früherer Eintritt in Rehabilitation, kürzere Zeit der Drogenabstinenz).<ref>Bisagno, V., & Cadet, J. L. (2014). Stress, sex, and addiction: potential roles of corticotropinreleasing<br>
 
factor, oxytocin, and arginine-vasopressin. Behavioural Pharmacology, 25(5-6), 445–457.</ref> Auch bei weiblichen Nagetieren kann ein schnelleres Aneignen von
 
Drogenkonsum und -abhängigkeit für Nikotin, Kokain, Amphetamine und Alkohol beobachtet
 
werden, das zumeist nach Ende der Pubertät voll ausgeprägt ist, wobei es auch Hinweise darauf
 
gibt, dass Erhöhen des Konsums in jedem Alter stattfindet und demnach mit
 
geschlechtsspezifischen Neuroadaptationen in Verbindung steht.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse<br>
 
during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref> Dieser
 
Geschlechtsunterschied wird darauf zurückgeführt, dass Frauen empfänglicher für die
 
Belohnungseffekte von psychoaktiven Substanzen sind, was sich wiederum durch die Aktivität von
 
Östrogenen bei Frauen ergibt.<ref>Gillies, G. E., Virdee, K., McArthur, S., & Dalley, J. W. (2014). Sex-dependent diversity in ventral<br>
 
tegmental dopaminergic neurons and developmental programing: A molecular, cellular and<br>
 
behavioral analysis. Neuroscience, 282, 69–85.</ref> Dementsprechend variiert die subjektive
 
Wirkung von Drogen bei Frauen je nach Zyklus, d. h. in der Follikelphase sind die
 
Verstärkungsmechanismen bei Frauen wegen des ausgeschütteten Östradiols stärker, während
 
Progesteron in der zweiten Phase eine inhibitorische Wirkung entfaltet.<ref>Becker, J. B., & Hu, M. (2008). Sex differences in drug abuse. Frontiers in Neuroendocrinology,<br>
 
29(1), 36–47.</ref> In
 
einer funktionellen Magnetrosanztomographie-Studie konnte bestätigend gezeigt werden, dass das
 
Belohnungssystem während der mittleren Follikelphase stärker auf psychoaktive Substanzen
 
reagiert.<ref>Caldú, X., & Dreher, J.-C. (2007). Hormonal and genetic influences on processing reward and<br>
 
social information. Annals of the New York Academy of Sciences, 1118(1), 43–73.</ref>
 
 
 
Der Umstand, dass Frauen einen beschleunigten Verlauf vom Initialkonsum bis zur Abhängigkeit
 
und zur Einberufung der ersten Behandlung haben, hat sich für Opioid-, Cannabis- und
 
Alkoholabhängigkeit bewährt, und wird in der Literatur als „telescoping effect“ bezeichnet.<ref>Greenfield, S. F., Back, S. E., Lawson, K., & Brady, K. T. (2010). Substance Abuse in Women.<br>
 
Psychiatric Clinics of North America, 33(2), 339–355.</ref> Allerdings wurde durch zwei Befragungen in den USA, in denen Frauen
 
aus der allgemeinen Bevölkerung keinen beschleunigten Abhängigkeitsverlauf bei einer
 
Alkoholmissbrauchsstörung aufwiesen, nahegelegt, dass Geschlechtsunterschiede zwischen
 
Kohorten differieren (d. h. zum Beispiel jeweils innerhalb Individuen mit einer
 
Alkoholmissbrauchsstörung und innerhalb der Allgemeinbevölkerung).<ref>Keyes, K. M., Martins, S. S., Blanco, C., & Hasin, D. S. (2010). Telescoping and Gender<br>
 
Differences in Alcohol Dependence: New Evidence From Two National Surveys. American Journal<br>
 
of Psychiatry, 167(8), 969–976.</ref>
 
Mit dem telescoping effect ist jedoch nicht nur ein schnellerer Verlauf der
 
Abhängigkeitserkrankungsphasen bei Frauen verbunden, sondern Frauen weisen bei ihrer ersten
 
Behandlung stärkere medizinische, behaviorale oder soziale Probleme als Männer auf, obwohl sie
 
insgesamt eine entsprechende Droge weniger und über eine geringere Zeitspanne konsumiert hatten.<ref>Greenfield, S. F., Back, S. E., Lawson, K., & Brady, K. T. (2010). Substance Abuse in Women.<br>
 
Psychiatric Clinics of North America, 33(2), 339–355.</ref> Dadurch wird das Bestehen fundamentaler Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik nahegelegt.
 
 
 
Substanzspezifische Daten zur Pathophysiologie erhalten Sie unter nachfolgenden Links:
 
* [[Alkoholabhängigkeit]]
 
* [[Nikotinabhängigkeit]]
 
* [[Kokainabhängigkeit]]
 
* [[Cannabisabhängigkeit]]
 
 
 
== Klinik ==
 
=== Symptome ===
 
Bedingt durch den telescoping effect weisen Frauen, die eine Behandlung aufsuchen, ein stärkeres
 
klinisches Profil auf, das sich sowohl auf das Abhängigkeitssyndrom an sich als auch auf die
 
Prävalenz komorbider psychischer Störungen bezieht.<ref>Bobzean, S. A. M., DeNobrega, A. K., & Perrotti, L. I. (2014). Sex differences in the neurobiology of drug addiction. Experimental Neurology, 259, 64–74.</ref>
 
Sowohl das Craving als auch Entzugserscheinungen sind bei Frauen stärker ausgeprägt.<ref>Bobzean, S. A. M., DeNobrega, A. K., & Perrotti, L. I. (2014). Sex differences in the neurobiology of drug addiction. Experimental Neurology, 259, 64–74.</ref> Auslöser des Cravings können dabei zwischen den Geschlechtern unterschiedlich
 
akzentuiert sein: Gründe für das Rauchen sind bei Männern Verstärkungseffekte, während bei
 
Frauen Emotionsregulation und Reaktivität auf Hinweisreize eher vertreten sind.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref>
 
Bei Alkohol geben Frauen öfter Coping als Grund für den Konsum an, während Männer eher Spaß
 
als Motivation angeben.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref> Heftige Trinkerinnen reagieren zudem sensibler mit Craving
 
und Rückfall auf Stress und soziale Probleme, während Männer sensibler für mit der Droge
 
verbundene Reize sind – dieser Unterschied findet sich im Übrigen auch zwischen weiblichen und
 
männlichen Ratten.<ref>Becker, J. B., McClellan, M., & Reed, B. G. (2016). Sociocultural context for sex differences in addiction. Addiction Biology, 21(5), 1052–1059.</ref>
 
 
 
=== Diagnostik ===
 
Für eine valide umfassende Diagnose sind grundsätzlich folgende geschlechtsspezifischen Aspekte
 
zu beachten: Abhängige Frauen suchen weniger häufig spezifische Einrichtungen auf, sondern
 
begeben sich in Obhut eines Allgemeinmediziners oder einer Allgemeinmedizinerin, was u. a. mit
 
dem sozialen Stigma, Abhängigkeit wäre eine „männliche Störung“, zusammenhängt.<ref>Becker, J. B., McClellan, M., & Reed, B. G. (2016). Sociocultural context for sex differences in addiction. Addiction Biology, 21(5), 1052–1059.</ref>
 
Da Frauen darüber hinaus häufiger an komorbiden Störungen leiden, erhöht dies wiederum die
 
Wahrscheinlichkeit einer Diagnose, in welcher die Abhängigkeit womöglich nicht richtig
 
berücksichtigt wird. Denkbar ist zum Beispiel die alleinige Diagnose einer Depression, wobei die
 
Frau versucht, Symptome durch Substanzgebrauch zu bekämpfen.
 
Auf der anderen Seite ist der umgekehrte Fall zu beachten: Bei Männern ist z. B. in der Psychiatrie
 
das Phänomen der „Depressionsblindheit“ bekannt, was dazu führt, dass trotz gleicher Heftigkeit
 
der Symptome bei Frauen eher eine Depression diagnostiziert wird.<ref>Weißbach L. & Stiehler, M. Männergesundheitsbericht 2013: Im Fokus: Psychische Gesundheit. Bern: Hans Huber; 2013</ref> In
 
diesem Sinne kann es also dazu kommen, dass lediglich eine Abhängigkeitsstörung angenommen
 
wird, wobei die depressiven Symptome vernachlässigt
 
werden.
 
Insgesamt muss also für beide Geschlechter hinsichtlich der psychiatrischen Komorbiditäten und
 
Motivation des Substanzgebrauchs Achtsamkeit herrschen.
 
 
 
== Management von Patienten und Patientinnen ==
 
=== Therapie ===
 
=== Interaktion zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin ===
 
Der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin muss insbesondere bei zu behandelnden Frauen
 
ein Verständnis für ihre besonderen Bedürfnisse oder Anamnese entwickeln, da sich diese – wie in
 
diesem Artikel herausgearbeitet – von den typischen Merkmalen, die männliche Abhängige
 
aufweisen, zum Teil erheblich unterscheiden oder andere bzw. stärkere Konsequenzen nach sich
 
ziehen. Tatsächlich werden abhängige Frauen als pathologischer angesehen, weil die „männliche“
 
Version von Abhängigkeit als Standard gesehen wird.<ref>Becker, J.
 
B., McClellan, M., & Reed, B. G. (2016). Sociocultural context
 
for sex differences in addiction. ''Addiction Biology'', ''21''(5),
 
1052–1059.</ref>
 
 
 
Frauen suchen zudem eher generelle Institutionen auf, wenn sie abhängig sind, weswegen es
 
wichtig ist, ihren genauen physischen und psychischen Zustand zu erfassen und eine bestimmte
 
Therapie oder Überweisung unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Differenzen zu
 
verordnen.<ref>Greenfield, S. F., Brooks, A. J., Gordon, S. M., Green, C. A., Kropp, F., McHugh, R. K., … Miele, G. M. (2007). Substance abuse treatment entry, retention, and outcome in women: a review of the literature. Drug and Alcohol Dependence, 86(1), 1–21.</ref> Darunter fallen zum Beispiel das Ansprechen auf traumatische
 
Ereignisse (wie sexueller Missbrauch), nach dessen Bejahung eine Vermittlung in Gruppentherapien
 
mit Männern vermieden werden sollte, oder auch das Berücksichtigen von Kindern, für die sich
 
Frauen häufiger verantwortlich fühlen und deshalb eine Therapie abbrechen.
 
 
 
=== Behandlungserfolg/Outcome ===
 
Über alle Therapieformen hinweg, die zur Behandlung einer Substanzgebrauchsstörung eingesetzt
 
werden, besteht womöglich eine höhere Behandlungserfolgsquote für Frauen, wie in einem Review,
 
das 280 zwischen 1975 und 2005 durchgeführte Studien untersuchte, festgehalten wurde.<ref>Greenfield, S. F., Brooks, A. J., Gordon, S. M., Green, C. A., Kropp, F., McHugh, R. K., … Miele, G. M. (2007). Substance abuse treatment entry, retention, and outcome in women: a review of the literature. Drug and Alcohol Dependence, 86(1), 1–21.</ref> Allerdings stellte das Geschlecht an sich keinen Prädiktor von
 
Behandlungslaufzeit, -abbruch oder -erfolg dar.
 
 
 
====Pharmakotherapie====
 
Viele pharmakotherapeutische Konzepte zur Bekämpfung von Abhängigkeiten basieren auf
 
Tierversuchen, in denen ein relativ stabiler Befund ist, dass viele entwickelte Substanzen bei
 
weiblichen Tieren effektiver wirken – auf den Menschen übertragen zeigten die meisten Substanzen
 
entweder keine Wirkung oder hatten Nebenwirkungen.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6, 175.</ref>
 
 
 
Dennoch gibt es einige Medikamente, deren Einsatz sich hinsichtlich der Reduzierung des Cravings oder des absoluten Konsums als effektiv erwiesen haben. Dabei hat sich für viele dieser Medikamente herausgestellt, dass diese geschlechtsspezifisch wirken.<br /> Womöglich hängen diese Geschlechtsunterschiede damit zusammen, dass es  im Bereich der pharmakologischen Therapie üblich ist, keine geschlechtsspezifische Dosis zu verabreichen. Allerdings gibt es hinreichend Indikation (z. B. geringere oder gar keine Effekte sowie stärkere Nebenwirkungen), dass insbesondere Frauen von Dosierungen, die das Geschlecht oder wenigstens das Körpergewicht berücksichtigen, profitieren würden.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref>
 
 
 
'''''Naltrexon'''''<br />
 
Für Naltrexon wird insgesamt Uneinigkeit konstatiert, ob es Effektivitätsunterschiede zwischen den
 
Geschlechtern gibt,<ref>Agabio, R., Pani, P. P., Preti, A., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Efficacy of Medications Approved for the Treatment of Alcohol Dependence and Alcohol Withdrawal Syndrome in Female Patients: A Descriptive Review. European Addiction Research, 22(1), 1–16.</ref> wie im Folgenden durch das Auflisten einiger Studien und ihrer Ergebnisse veranschaulicht werden soll:
 
 
 
• Auch wenn es in der Literatur Hinweise darauf gibt, dass kombinierte Therapien höhere
 
Erfolgsquoten nach sich ziehen, zeigte sich in einer großen Stichprobe alkoholkranker Personen
 
weder ein Zugewinn (aber auch keine Verringerung) an Effektivität durch eine behaviorale Therapie
 
neben der Verabreichung von Naltrexon (100 mg/Tag), noch Unterschiede zwischen den
 
Geschlechtern.<ref>Greenfield, S. F., Pettinati, H. M., O’Malley, S., Randall, P. K., & Randall, C. L. (2010). Gender differences in alcohol treatment: an analysis of outcome from the COMBINE study. Alcoholism, Clinical and Experimental Research, 34(10), 1803–1812.</ref> Naltrexon entfaltete seine Wirkung bei beiden
 
Geschlechtern gleichermaßen im Sinne einer Reduktion des Cravings nach Alkohol.
 
 
 
• Eine Dosis von
 
50 mg am Tag zog bei alkoholabhängigen Frauen im Vergleich mit einem Placebo keinen
 
signifikanten Vorteil hinsichtlich des Trinkverhaltens nach sich, wenn zusätzlich eine Cognitive
 
Behavioral Coping Skills Therapy (CBCST) durchgeführt wurde.<ref>O’Malley, S. S., Sinha, R., Grilo, C. M., Capone, C., Farren, C. K., McKee, S. A., … Wu, R. (2007). Naltrexone and cognitive behavioral coping skills therapy for the treatment of alcohol drinking and eating disorder features in alcohol-dependent women: a randomized controlled trial. Alcoholism, Clinical and Experimental Research, 31(4), 625–634.
 
</ref>
 
 
 
• Eine Applikation von 50 mg Naltrexon am Tag bewirkte in einer weiteren Studie bei beiden
 
Geschlechter einen geringeren Alkoholkonsum sowie geringeres Craving.<ref>Martinotti, G., Di Nicola, M., Tedeschi, D., Andreoli, S., Reina, D., Pomponi, M., … Janiri, L. (2010). Pregabalin versus naltrexone in alcohol dependence: a randomised, double-blind, comparison trial. Journal of Psychopharmacology, 24(9), 1367–1374.</ref>
 
 
 
• Es ist häufig der Fall, dass nicht nur eine Substanz konsumiert wird, sondern mehrere Substanzen,
 
die miteinander interagieren, wobei diese Interaktion geschlechtsspezifisch sein kann und eine
 
Pharmakotherapie dies zu berücksichtigen hat.<ref>Graziani, M., Nencini, P., & Nisticò, R. (2014). Genders and the concurrent use of cocaine and alcohol: Pharmacological aspects. Pharmacological Research, 87, 60–70.</ref> In einer Studie mit Personen,
 
die sowohl alkohol- als auch kokainabhängig waren, reduzierten nur Männer ihren Drogenkonsum
 
nach Verabreichung von Naltrexon, Frauen steigerten ihn hingegen.<ref>Pettinati, H. M., Kampman, K. M., Lynch, K. G., Suh, J. J., Dackis, C. A., Oslin, D. W., & O’Brien, C. P. (2008). Gender differences with high-dose naltrexone in patients with co-occurring cocaine and alcohol dependence. Journal of Substance Abuse Treatment, 34(4), 378–390.</ref> Die
 
Autoren und Autorinnen erklärten sich dies mit der hohen Dosis (150 mg/Tag), welche bei Frauen
 
womöglich stärkere Nebenwirkungen habe.
 
Passend zu dieser Annahme wurde in einer anderen Studie herausgestellt, dass negative
 
Nebeneffekte (wie z. B. Übelkeit) bei Frauen in Behandlung von Naltrexon im Vergleich zu
 
Männern und Kontrollen häufiger auftreten.<ref>Roche, D. J. O., & King, A. C. (2015). Sex differences in acute hormonal and subjective response to naltrexone: The impact of menstrual cycle phase. Psychoneuroendocrinology, 52, 59–71.</ref> Zudem wiesen nur Frauen
 
einen erhöhten Kortisol-Spiegel auf und waren zudem noch stärker von Nebeneffekten betroffen,
 
wenn sie sich in der Lutealphase statt der frühen Follikelphase befanden.
 
 
 
• Bisher wurde sich immer auf die orale Einnahme von Naltrexon bezogen, aber es gibt auch eine
 
langzeitwirkende, injizierbare Variante von Naltrexon, deren Effektivität sich bei alkoholkranken
 
Männern bewährte, bei Frauen jedoch weniger.<ref>Garbutt, J. C., Kranzler, H. R., O’Malley, S. S., Gastfriend, D. R., Pettinati, H. M., Silverman, B. L.,… Vivitrex Study Group. (2005). Efficacy and tolerability of long-acting injectable naltrexone for alcohol dependence: a randomized controlled trial. JAMA, 293(13), 1617–1625.</ref>
 
 
 
Insgesamt besteht für Naltrexon also eine Tendenz dahingehend, dass gezeigte
 
Geschlechtsunterschiede möglicherweise durch unterschiedliche Dosierungen zustande kommen,
 
wobei die Effektivität bei Frauen womöglich durch das vermehrte Auftreten von Nebenwirkungen
 
unterminiert wird.<br />
 
'''''Weitere Medikamente bei Alkoholabhängigkeit und Alkoholentzugssyndrom'''''<br />
 
In einem Review wurde aufgezeigt, dass einige der für die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit
 
sowie des Alkoholentzugssyndroms eingesetzten Medikamente Unklarheiten bezüglich
 
geschlechtsspezifischer Wirkungen aufweisen:<ref>Agabio, R., Pani, P. P., Preti, A., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2015). Efficacy of Medications Approved for the Treatment of Alcohol Dependence and Alcohol Withdrawal Syndrome in Female Patients: A Descriptive Review. European Addiction Research, 22(1), 1–16.</ref> Aufgrund zu geringer Anzahl
 
von Frauen (außer bei Gamma-Hydroxybuttersäure, bei welcher die Gesamtanzahl zu gering war)
 
in klinischen Testungen können keine sicheren Aussagen über die geschlechtsspezifische
 
Effektivität und Sicherheit von Disulfiram, Antikonvulsiva, Gamma-Hydroxybuttersäure und
 
Benzodiazepine getroffen werden. Für Nalmefen und Acomprosat gab es genug Probandinnen,
 
sodass hier festgestellt wurde, dass keine Geschlechtsunterschiede vorliegen.<br />
 
'''''Fluoxetin'''''<br />
 
Sequentielles Fluoxetin verringerte acht Wochen vor dem Rauchstopp nur bei Frauen depressive
 
Symptome, den Entzug betreffende negative Affekte und das Craving.<ref>Minami, H., Kahler, C. W., Bloom, E. L., Prince, M. A., Abrantes, A. M., Strong, D. R., … Brown, R. A. (2014). Effects of sequential fluoxetine and gender on prequit depressive symptoms, affect, craving, and quit day abstinence in smokers with elevated depressive symptoms: A growth curve modeling approach. Experimental and Clinical Psychopharmacology, 22(5), 392–406.</ref> Dabei
 
standen für Frauen depressive Symptome, die vor dem Rauchstopp auftraten, sowie das Craving im
 
Zusammenhang mit der Abstinenzdauer, während bei Männern mit dem Entzug verbundene
 
negative Affekte mit der Abstinenzdauer zusammenhingen.<br />
 
'''''Pregabalin'''''<br />
 
Im direkten Vergleich mit einer täglichen Applikation von 50 mg Naltrexon zeigte Pregabalin einen
 
noch größeren Erfolg im Sinne einer stärkeren Reduktion von Alkoholkonsum.<ref>Martinotti, G., Di Nicola, M., Tedeschi, D., Andreoli, S., Reina, D., Pomponi, M., … Janiri, L. (2010). Pregabalin versus naltrexone in alcohol dependence: a randomised, double-blind, comparison trial. Journal of Psychopharmacology, 24(9), 1367–1374.</ref> Allerdings hängt dies möglicherweise mit der anxiolytischen Wirkung von Pregabalin
 
zusammen, da komorbide psychiatrische Symptomatiken (z. B. Ängstlichkeit) oft mit
 
Alkoholabhängigkeit einhergehen. Diese Studie kann somit als Hinweis gedeutet werden, dass eine
 
Drogentherapie erfolgreicher verläuft, wenn darin weitere psychische Störungen oder einzelne
 
damit verbundene Facetten in ihrer interaktionistischen Wirkung mit der Abhängigkeit Berücksichtigung finden.<br />
 
'''''Nikotinersatztherapie'''''<br />
 
Männer scheinen mehr von Nikotin-Pflastern oder Nikotin-Kaugummi zu profitieren, wobei für
 
Nikotin-Pflaster zum Beispiel herausgefunden wurde, dass mehr Frauen als Männer diese
 
Behandlung wegen Hautirritationen abbrechen.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref> Insgesamt ist die Befundlage
 
aber uneindeutig.<br />
 
'''''Bupropion'''''<br />
 
Bupropion scheint bei Frauen effektiver zu sein, wenn es darum geht, Abstinenz vom Rauchen
 
aufrechtzuerhalten, was womöglich damit zusammenhängt, dass es die Gewichtszunahme bei einem
 
Rauchstopp verringert.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref><br />
 
'''''Methadon'''''<br />
 
Männer sind womöglich anfälliger für die QT-Verlängerung bei geringen Dosen, auch wenn das
 
allgemeine Risiko bei Frauen, eine QT-Verlängerung zu entwickeln, höher ist.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref><br />
 
'''''Buprenorphin'''''<br />
 
Nach Applikation der gleichen Dosis erreichen Frauen signifikant höhere Plasmakonzentrationen
 
von Buprenorphin, im Vergleich zu Methadon ist es bei Frauen effektiver, und auch Schwangeren
 
kann es ohne Bedenken verschrieben werden (wegen eines geringeren neonatalen Entzugssyndroms
 
ist es gegenüber Methadon vorzuziehen).<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref><br />
 
'''''Progesteron'''''<br />
 
Wegen der inhibitorischen Rolle des weiblichen Geschlechtshormons Progesteron während des
 
Zyklus, die sich auf den Substanzgebrauch und subjektive Effekte auswirkt, wurde auch untersucht,
 
ob sich eine exogene Verabreichung als effektiv erweist.
 
In Tierversuchen reduziert verabreichtes Progesteron den Kokainkonsum, und auch bei Menschen
 
lässt sich diese Wirkung im Sinne verringerter physiologischer und subjektiver Belohnungseffekte
 
von Kokain oder durch geringeres Craving nach Darbietung eines Hinweisreizes nachweisen.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> Diese Effekte zeigten sich vor allem bei weiblichen Tieren oder
 
weiblichen Menschen. Auch bei Frauen, die gerade ein Kind geboren haben, konnte der
 
Kokainkonsum durch Progesteron-Verabreichung verringert werden.<ref>Yonkers, K. A., Forray, A., Nich, C., Carroll, K. M., Hine, C., Merry, B. C., … Sofuoglu, M. (2014). Progesterone for the reduction of cocaine use in post-partum women with a cocaine use disorder: a randomised, double-blind, placebo-controlled, pilot study. The Lancet Psychiatry, 1(5), 360–367.</ref>
 
In einer Studie, an der allerdings nur zehn Personen teilnahmen, wurde für Männer und Frauen
 
nachgewiesen, dass sich die Einnahme von Progesteron abschwächend auf subjektive und physiologische Reaktion von Kokain auswirkt.<ref>Sofuoglu, M., Mitchell, E., & Kosten, T. R. (2004). Effects of progesterone treatment on cocaine responses in male and female cocaine users. Pharmacology, Biochemistry, and Behavior, 78(4), 699–705.</ref><br />
 
 
 
====Weitere therapeutische Möglichkeiten und Aspekte====
 
'''''Berücksichtigung psychischer Komorbiditäten'''''<br />
 
Eine Studie mit alkoholkranken Personen zeigte, dass traumatische Erfahrungen und derzeitige
 
Symptome, die mit einem Trauma einhergehen, bei Frauen signifikant mit einem Rückfall assoziiert
 
sind, bei Männern hingegen nicht.<ref>Heffner, J. L., Blom, T. J., & Anthenelli, R. M. (2011). Gender Differences in Trauma History and Symptoms as Predictors of Relapse to Alcohol and Drug Use. The American Journal on Addictions,20(4), 307–311.</ref> Der Schweregrad eines Traumas während
 
der Kindheit zeigte sich ebenfalls nur bei Frauen als signifikanter Prädiktor für den Eintritt eines
 
Rückfalls bei Kokainabhängigkeit.<ref>Hyman, S. M., Paliwal, P., Chaplin, T. M., Mazure, C. M., Rounsaville, B. J., & Sinha, R. (2008). Severity of childhood trauma is predictive of cocaine relapse outcomes in women but not men. Drug and Alcohol Dependence, 92(1-3), 208–216.</ref>
 
Zudem ist bei Frauen, bei denen eine Depression therapiert wurde, die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Drogentherapie höher als für unbehandelte Frauen. <ref>Zenker, C. (2005). Sucht und Gender. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforsch. Gesundheitsschutz, 48(4), 469–476.</ref>
 
Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass insbesondere bei Frauen während oder vor dem Verordnen
 
einer speziellen Therapie gegen Abhängigkeit eventuelle psychische Komorbiditäten zu behandeln
 
sind.<br />
 
'''''Gruppentherapien'''''<br />
 
Männer scheinen mehr durch klare Strukturen, wie sie z. B. bei den Anonymen Alkoholikern
 
herrschen, zu profitieren.<ref>Zenker, C. (2005). Sucht und Gender. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforsch. Gesundheitsschutz, 48(4), 469–476.</ref> In diesen Gruppen wird nämlich die Einflussmöglichkeit
 
auf die Abhängigkeit eher abgelehnt, wohingegen Frauen für einen Behandlungserfolg Gruppen
 
benötigen, in denen Emotionen bearbeitet werden und Fähigkeiten wie Selbstbewusstsein oder
 
Selbstwirksamkeit betont werden. Deshalb empfehlen sich für Frauen auch eher
 
geschlechtshomogene Gruppen, da sie sich unter Frauen sicherer fühlen und für sie relevante
 
Thematiken besser angesprochen werden.<ref>Zenker, C. (2005). Sucht und Gender. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforsch. Gesundheitsschutz, 48(4), 469–476.</ref><br />
 
'''''Gemeinsame kognitive Verhaltenstherapie'''''<br />
 
Für Frauen ist soziale Unterstützung ein Faktor, der stärker als bei Männern sowohl die Aufnahme
 
einer Therapie als auch den Behandlungserfolg beeinflusst.<ref>Greenfield, S. F., Brooks, A. J., Gordon, S. M., Green, C. A., Kropp, F., McHugh, R. K., … Miele, G. M. (2007). Substance abuse treatment entry, retention, and outcome in women: a review of the literature. Drug and Alcohol Dependence, 86(1), 1–21.</ref> Zudem wirkt der Drogenkonsum ihres Partners steigernd auf den eigenen Konsum.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
All diese Barrieren können bei Frauen durch eine gemeinsame kognitive Verhaltenstherapie
 
angegangen werden. Insgesamt sieht die Befundlage so aus, dass sich eine solche Drogentherapie
 
mit dem Partner zusammen als positiv für das Ziel der Reduzierung des Alkoholkonsums und der
 
Abstinenz herausstellt, wobei einzelne Sitzungen zwischendurch einen noch größeren Effekt haben,
 
der durch den Wunsch der Frau, neben Paarsitzungen auch eine individuelle Therapie vorzunehmen,
 
vermittelt wird.<ref>McCrady, B. S., Epstein, E. E., Hallgren, K. A., Cook, S., & Jensen, N. K. (2016). Women with alcohol dependence: A randomized trial of couple versus individual plus couple therapy. Psychology of Addictive Behaviors, 30(3), 287–299.</ref><br />
 
'''''Der weibliche Zyklus'''''<br />Der weibliche Zyklus beeinflusst den
 
subjektiven Effekt von Drogen sowie physiologische Reaktionen und Entzugserscheinungen.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref> Insbesondere beim Rauchen wurde versucht, sich die inhibitorische Wirkung
 
von Progesteron zunutze zu machen, indem ein Rauchstopp in der Lutealphase (in welcher der
 
Progesteron-Spiegel am höchsten ist) initiiert wurde. Die Befundlage sieht jedoch gemischt aus: In
 
einigen Studien wurden Erfolge im Sinne längerer Zeit bis zu einem Rückfall berichtet, in anderen
 
wurden hingegen keine Effekte der Zyklusphase auf den Behandlungserfolg festgestellt oder die
 
Entzugserscheinungen waren in der Follikelphase sogar geringer.<ref>Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.</ref><br />
 
'''''Impulsivität und inhibitorische Kontrollfunktionen'''''<br />
 
Impulsivität (hier insbesondere impulsive Auswahl) stellt einen Prädiktor für den Behandlungserfolg beider Geschlechter dar, wobei höhere Werte bei Frauen ein Faktor dafür sein
 
könnten, dass sie häufiger als Männer rückfällig werden.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> Eine
 
Drogentherapie könnte also zum Ziel haben, Impulsivität zu verringern bzw. die Selbstregulation zu
 
fördern, um so der Drogeneinnahme entgegenzuwirken.
 
Dabei können Frauen und Männer von unterschiedlichen Paradigmen zur Stärkung ihrer
 
Selbstkontrolle profitieren, wie eine Studie nahelegte:<ref>Mansouri, F. A., Fehring, D. J., Gaillard, A., Jaberzadeh, S., & Parkington, H. (2016). Sex dependency of inhibitory control functions. Biology of Sex Differences, 7(1), 11.</ref> Frauen scheinen mehr
 
von früherem Kontakt und Übung profitieren, wenn es sich um Aufgaben handelt, welche die
 
exekutive Kontrolle betreffen. Musik wurde dabei als geschlechtsspezifisch wirkender Faktor (d. h.
 
nur bei Frauen effektiv) herausgestellt, der exekutive Kontrollfunktionen beeinflusst und
 
womöglich zur Bereicherung von Rehabilitationen und zur Handhabung von Zwangsstörungen oder
 
weiteren neuropsychologischen Störungen (worunter auch Abhängigkeitserkrankungen fallen)
 
genutzt werden kann.<br />
 
'''''Physische Betätigung'''''<br />
 
In einem Review von 2015 kommen der Autor und die Autorin zu dem Schluss, dass sich physische
 
Betätigung womöglich zur Behandlung von Abhängigkeiten eignet, da erste Versuche an Nagetieren
 
dies nahelegen.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> Dieser Effekt war bei weiblichen und jugendlichen
 
Tieren öfter zu beobachten und stärker ausgeprägt.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
 
 
=== Psychosoziale Faktoren ===
 
Dass gesellschaftliche Faktoren den Umgang mit Drogen zwischen den Geschlechtern beeinflussen,
 
zeigt sich womöglich daran, dass die Prävalenz von Drogenmissbrauch vom 18. bis zum 19.
 
Jahrhundert bei Frauen höher war, Männer erst ab dem 19. Jahrhundert zunehmend Frauen
 
überholten, und sich heutzutage für viele Substanzen die Tendenz zeigt, dass sich die Geschlechter
 
wieder annähern.<ref>Carroll, M. E., & Smethells, J. R. (2016). Sex Differences in Behavioral Dyscontrol: Role in Drug Addiction and Novel Treatments. Frontiers in Psychiatry, 6:175.</ref> Es gibt Hinweise, dass Frauen dabei empfindlicher
 
für Faktoren wie Drogenverfügbarkeit und soziale Konventionen sind, wobei angenommen wird,
 
dass die stärkere soziale Verurteilung des Substanzgebrauchs bei Frauen lange als protektiver Faktor
 
wirkte, der nun aber lockerer wird, sodass sich die Prävalenzen angleichen.<ref>Becker, J. B., McClellan, M., & Reed, B. G. (2016). Sociocultural context for sex differences in addiction. Addiction Biology, 21(5), 1052–1059.</ref>
 
 
 
Viel weniger Frauen als Männer nehmen Behandlungen für Substanzmissbrauch in Anspruch, was
 
unter anderem mit folgenden sozialen Faktoren in Verbindung gebracht wird:<ref>Greenfield, S. F., Brooks, A. J., Gordon, S. M., Green, C. A., Kropp, F., McHugh, R. K., … Miele, G. M. (2007). Substance abuse treatment entry, retention, and outcome in women: a review of the literature. Drug and Alcohol Dependence, 86(1), 1–21.</ref> Frauen sind durchschnittlich ökonomisch schlechter gestellt, ihre Bildung ist im
 
Durchschnitt geringer und sie bekommen weniger soziale Unterstützung, wenn sie als abhängig
 
gelten. Um diese Barrieren für Frauen zu überwinden, können zum Beispiel Dienste im Sinne von
 
Kinderbetreuung, perinataler Behandlung oder Familiendienste eingerichtet werden, und das
 
gesellschaftliche Bild der Abhängigkeit als „männliche“ Störung muss sich wandeln.
 
 
 
=== Prävention ===
 
Die Pubertät ist eine kritische Phase für den Beginn von Drogenkonsum und dementsprechend
 
entscheidend für die spätere Entwicklung einer Abhängigkeit beider Geschlechter, sodass innerhalb
 
dieser oder davor mit präventiven Programmen angesetzt werden sollte.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref> Mädchen
 
treten typischerweise früher in die Pubertät ein, womit auch ihr früherer Initialkonsum erklärt wird,
 
sodass bei ihnen möglicherweise eher als bei Jungen Aufklärung geleistet werden sollte. Auch wenn
 
Persönlichkeitseigenschaften wie Sensation Seeking und Impulsivität beide Geschlechter anfälliger
 
für Drogenkonsum machen, sollten womöglich spezielle Programme für Jungen entworfen werden,
 
da ihre Werte von Pubertät an höher sind und davon ausgegangen wird, dass dies eine Ursache für
 
die höhere Prävalenz von Drogenabhängigkeit bei Männern darstellt.
 
Insbesondere bei jugendlichen Mädchen sollten Symptome von Depression oder Ängstlichkeit
 
frühestmöglich erkannt und behandelt werden, da diese stark mit der Einnahme von Drogen
 
zusammenhängen.
 
 
 
Grundsätzlich kann zur Prävention an der Motivation, Drogen zu konsumieren, angesetzt werden,
 
die zwischen den Geschlechtern variiert: Männer konsumieren Drogen eher aus Spaß, Frauen
 
hingegen, um negative Affekte (z. B. Ängstlichkeit, Depression oder Stress) zu verdrängen.<ref>Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.</ref>
 
Demgemäß empfehlen sich für Jungen/Männer Aufklärungen, in welchen sinnvolle Alternativen zur
 
Gewinnung von Spaß vorgeschlagen werden und in denen die Konsequenzen des
 
Substanzgebrauchs hervorgehoben werden, während Mädchen/Frauen vermehrt an gesunde,
 
effektive Coping-Strategien herangeführt werden sollten.
 
 
 
Insgesamt ist es notwendig, in der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass
 
Abhängigkeit auch Frauen betrifft und sich diese bei ihnen anders auswirkt, sodass Frauen
 
Drogentherapien häufiger aufnehmen, ohne sich schämen zu müssen oder verurteilt zu werden.<ref>Greenfield, S. F., Brooks, A. J., Gordon, S. M., Green, C. A., Kropp, F., McHugh, R. K., … Miele, G. M. (2007). Substance abuse treatment entry, retention, and outcome in women: a review of the literature. Drug and Alcohol Dependence, 86(1), 1–21.</ref> Auf diese Weise könnte die Prävalenz bei Frauen reduziert werden.
 
 
 
Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung hält fest, dass es an
 
Literatur mangelt, die geschlechtsspezifische Unterschiede von Präventionsprogrammen untersucht.
 
Die vorhandenen Ergebnisse indizieren eine gleiche Wirkung von Familien-basierten Strategien
 
zwischen den Geschlechtern, während Gemeinschaftsprogramme für Mädchen nicht effektiv sind.<ref>UNODC. (2016). Guidelines on drug prevention and treatment for girls and women. Retrieved from <nowiki>https://www.unodc.org/documents/drug-prevention-andtreatment/unodc_2016_drug_prevention_and_treatment_for_girls_and_women_E.pdf</nowiki></ref>
 
 
 
== Offene Forschungsfragen ==
 
Bisher wurde das Geschlecht in der Abhängigkeitsforschung wenig berücksichtigt, auch wenn
 
jüngst erschienene Reviews versuchen, auf diese Lücke in der Literatur aufmerksam zu machen und
 
geschlechtsspezifische Tendenzen herauszustellen. Es wird sich zukünftig zeigen, ob berichtete
 
Geschlechtsunterschiede bezüglich des Verlaufs, der Konsequenzen oder auch der Therapieform
 
Einzug in den klinischen Alltag finden, denn die Ergebnisse legen nahe, dass beide Geschlechter
 
davon profitieren würden.
 
 
 
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">
 
Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
 
<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div>
 
</div>
 
 
 
== Lehrmaterialien ==
 
=== Fallstudien ===
 
=== Dias ===
 
=== Videos ===
 

Aktuelle Version vom 6. Oktober 2017, 10:33 Uhr

Fächer
Organsysteme
Hauptsymptome
Zusammenfassung In Deutschland konsumieren Männer die meisten Substanzen häufiger und in größeren Mengen als Frauen. Die Pubertät ist die Phase, in der sich dieser Geschlechtsunterschied zu entwickeln beginnt: Risikofaktoren sind dabei vor allem für Jungen höhere Ausprägungen in Impulsivität und Sensation Seeking, wobei Testosteron eine wichtige Rolle spielt. Bei Mädchen (und Frauen) tragen u. a. weibliche Geschlechtshormone zu einer höheren Vulnerabilität von depressiven sowie ängstlichen Symptomen bei. Substanzkonsum dient deshalb bei Frauen häufig als (dysfunktionale) Bewältigungsstrategie bzw. zur Emotionsregulation, während Männer eher aus Vergnügen konsumieren. Die weiblichen Geschlechtshormone werden zudem als eine Urasche für den sogenannten telescoping effect gesehen. Dieser beinhaltet, dass Frauen eine Abhängigkeit schneller entwickeln und typische Phasen des Substanzkonsums früher sowie beschleunigt durchlaufen. Für die meisten toxischen Effekte von Substanzen sind Frauen vulnerabler, d. h. trotz geringerem Konsums treten medizinische Konsequenzen früher und stärker ausgeprägt auf. Zudem haben sich Geschlechterunterschiede in der Wirkung einzelner Medikamente gezeigt. Beispielsweise haben Frauen oft stärkere Nebenwirkungen als Männer. Ein Anpassen der medikamentösen Dosis an das jeweilige Geschlecht (oder zumindest an das Körpergewicht) könnte dem teilweise entgegengewirken. Gesellschaftlich wird eine Abhängigkeitserkrankung noch als typisch „männliche“ Störung eingestuft (ähnlich wie Depression als typisch „weibliche“ Erkrankung gilt), weshalb viele Frauen es vermeiden, sich in Behandlung zu begeben. In der Medizin gilt der Abhängigkeitsverlauf bei Männern zudem als Standard für beide Geschlechter. Ein Umdenken ist dringend nötig.

Ähnliche Artikel

Interessenkonflikt
Wenn ja, bitte angeben
Weiter zum Einführungsartikel
Weiter zum Fachartikel
Lehrmaterial
Quiz


Lizenz[Bearbeiten]

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren[Bearbeiten]

Julia Schreitmüller

Zuletzt geändert: 2017-10-06 10:33:29

Persönlichkeitskonstrukt: Für jeden Menschen gibt es ein optimales Erregungsniveau, durch das Aufsuchen/Vermeiden von stimulierenden Reizen kann die Erregung reguliert werden. Menschen mit einem geringen initialen Erregungsniveau suchen eher aufregende Reize, sie werden als Sensation Seeker bezeichnet (Suchen nach neuen Erlebnissen, um ständige Spannung zu erleben).

Anfälligkeit eines Menschen, an bestimmen (meist psychischen) Krankheiten zu erkranken. Bergriff wird i. d. R. in der Psychologie bzw. Psychiatrie verwendet. In anderen medizinischen Fachgebieten spricht man von Prädisposition.

Beschreibt den beschleunigten Verlauf vom Initialkonsum einer Substanz über das Einsetzen der Abhängigkeit bis zur ersten Behandlung bei Frauen im Vergleich zu Männern. Ursächlich scheinen verschiedene biologische, sozioökonomische, psychologische und kulturelle Einflussfaktoren.

Zwanghaftes Bedürfnis bzw. unwiderstehlicher Drang nach einem bestimmten Stimulus (Reiz), z. B. einer chemischen Substanz (Droge).