Pharmakologische Grundlagen: Unterschied zwischen den Versionen

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Da Hormonstatus und psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar eine große Rolle spielen, sind  geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimitteltherapie zu berücksichtigen. Das betrifft v. a. die Frage der richtigen Dosierung, um eine Pharmakotherapie mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu implementieren. Regulationsbehörden fordern deshalb, dass pharmakologische und klinische Studien, insbesondere die Testung neuer Arzneimittel, geschlechtsspezifisch durchgeführt werden. Bisher ist sehr viel mehr über die Pharmakologie von Arzneimitteln bei  Männern als bei Frauen bekannt, da Frauen traditionell in  klinischen Studien unterrepräsentiert sind [Müller 2007].
 
Da Hormonstatus und psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar eine große Rolle spielen, sind  geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimitteltherapie zu berücksichtigen. Das betrifft v. a. die Frage der richtigen Dosierung, um eine Pharmakotherapie mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu implementieren. Regulationsbehörden fordern deshalb, dass pharmakologische und klinische Studien, insbesondere die Testung neuer Arzneimittel, geschlechtsspezifisch durchgeführt werden. Bisher ist sehr viel mehr über die Pharmakologie von Arzneimitteln bei  Männern als bei Frauen bekannt, da Frauen traditionell in  klinischen Studien unterrepräsentiert sind [Müller 2007].
  

Version vom 6. Juli 2016, 09:48 Uhr

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Zusammenfassung Häufig gebrauchte Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Die individuelle Ansprechbarkeit hängt von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren ab. Bioverfügbarkeit, Verteilung, Metabolisierung und Elimination spielen eine wesentliche Rolle. Relevante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen im Wesentlichen beim Arzneimittelmetabolismus. Die geschlechtsspezifische Variabilität der Funktion einiger CYP450-Enzyme ist Ursache dafür, dass bei gleicher Dosierung eines Medikaments Intensität und Dauer von Wirkungen und Nebenwirkungen sehr unterschiedlich sein können, so wie es für einige Beta-Blocker und Diuretika beschreiben ist. Auch Phase-II-Metabolisierungsreaktionen variieren geschlechtsspezifisch. So scheint die Aktivität glukuronidierender Enzyme bei Frauen geringer zu sein als bei Männern. Das würde erklären, warum Acetylsalicylsäure bei Frauen etwa 30–40% langsamer metabolisiert wird als bei Männern. Ähnliche Befunde wurden für Paracetamol, Clofibrat und Phenprocoumon erhoben, die alle durch Glukuronidierung ausscheidungsfähig gemacht werden. Unter den methylierenden Enzymen scheint vor allem die Aktivität der Thiopurin S-Methyltransferase bei Frauen geringen zu sein als bei Männern. Dies könnte die Ursache für die höhere Toxizität der Thiopurine Azathioprin und 6-Mercaptopurin bei Patientinnen sein. Im Vergleich zur Pharmakokinetik gibt es weniger Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Pharmakodynamik. Grund dafür ist, dass pharmakodynamische Effekte sehr viel schwerer zu untersuchen sind. Einige Arzneimittel haben allerdings trotz identischer Plasmakonzentrationen geschlechtsspezifische unterschiedliche Wirkungen. Besonders bei psychischen Erkrankungen sind diese Unterschiede von zunehmend großer Bedeutung, da hier die Geschlechtshormone die Ansprechbarkeit der Rezeptoren beeinflussen. Pharmakologische Aspekte sollten zukünftig stärker berücksichtigt werden, sodass sowohl Frauen als auch Männer individuell die bestmögliche Arzneimitteltherapie erhalten.
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Bedeutung geschlechtsspezifischer Unterschiede für die Pharmakotherapie[Bearbeiten]

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von Arzneimitteln sind in der Medizin bekannt, allerdings ist das Interesse gering, Konsequenzen für die Praxis zu ziehen und sie haben bislang kaum Eingang in die praktische Medizin gefunden [[1]Klinge 2008, Regitz-Zagrosek 2006]. Da Hormonstatus und psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar eine große Rolle spielen, sind geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimitteltherapie zu berücksichtigen. Das betrifft v. a. die Frage der richtigen Dosierung, um eine Pharmakotherapie mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu implementieren. Regulationsbehörden fordern deshalb, dass pharmakologische und klinische Studien, insbesondere die Testung neuer Arzneimittel, geschlechtsspezifisch durchgeführt werden. Bisher ist sehr viel mehr über die Pharmakologie von Arzneimitteln bei Männern als bei Frauen bekannt, da Frauen traditionell in klinischen Studien unterrepräsentiert sind [Müller 2007].

Frauen reagieren anders auf einige Arzneimittel. Dazu gehören Psychopharmaka, Schmerzmittel und Herz-Kreislauf-Medikamente

Verordnungsmengen von Arzneimitteln fallen erwartungsgemäß unterschiedlich nach Alter und Geschlecht aus [BARMER GEK Arzneimittelreport 2016]. 30 bis 40 % aller Patienten, die älter als 65 Jahre sind, nehmen mindestens 4 Arzneimittel ein. Arzneimitteltherapie erfolgt also hauptsächlich bei Patienten, die altersbedingt ein überdurchschnittliches Risiko für Nebenwirkungen der Behandlung aufweisen sowie unterdurchschnittlich häufig im Rahmen von Arzneimittelstudien untersucht worden sind. Das bedeutet, dass aus Studien ableitbare Evidenz gerade für die Patienten fehlt, die hauptsächlich mit den Arzneimitteln behandelt werden. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung führen auch zu unterschiedlichen Profilen von Arzneimittelnebenwirkungen (NW). Verschiedene Untersuchungen belegen, dass Frauen häufiger von unerwünschten Arzneimittelwirkungen betroffen sind als Männer

Psychopharmaka Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung werden bei Psychopharmaka besonders deutlich. Sowohl bei den selektiven Serotoninwiederaufnahme-Hemmern (SSRI) als auch bei den trizyklischen Antidepressiva sind die Unterschiede in den Tagesdosen überdeutlich (Abb. 1 und Abb. 2). Prämenopausale Frauen sprechen besser auf SSRI an als Männer, wohingegen postmenopausal trizyklische Antidepressiva bei beiden Geschlechtern ähnlich gut wirken. Bei Frauen werden aufgrund der unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie Gewichtszunahme und hypotensiver Störungen häufiger Therapieabbrüche beobachtet [Ebner 2004], Männer klagen oftmals aufgrund der Einnahme von SSRI über Erektions- und Ejakulationsstörungen [Clayton 2006]. Bei den Benzodiazepinen oder Nicht-Benzodiazepin-Agonisten (Zolpidem, Zopicolon, Zaleplnon) ergeben sich ähnliche Verteilungen.

Schmerzmittel Statische Erhebungen zeigen, dass 85 % der Anwender von Coxiben Frauen sind [Salomon 2008, Dominik 2003]. Auch für ASS sind geschlechtsspezifische Wirkungen bekannt [Ridker 2005]. Zahlreiche Studien belegen, dass Morphin bei Frauen stärker analgetisch wirkt als bei Männern [Pleym 2003]. So benötigen Männer etwa 40 % mehr Morphin als Frauen, um einen analgetischen Effekt zu erzielen. Aus diesen Daten wird ersichtlich, dass eine geschlechtsspezifische Dosisanpassung des Morphins, d. h. eine reduzierte Dosis bei Frauen ein Schritt in der geschlechtsspezifischen Pharmakotherapie sein könnte. Eine Dosisreduktion ist auch deshalb sinnvoll und notwendig, da Frauen bei gleicher Morphindosis stärker an Nebenwirkungen wie Atemdepression, Übelkeit und Erbrechen leiden als Männer.

Herz-Kreislauf-Mittel In der Arzneimitteltherapie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind inzwischen ebenfalls viele geschlechtsspezifische Unterschiede bekannt [Simpson 2008, Regitz-Zagosek 2008, Thürmann 2005]. So hat eine Metaanalyse gezeigt, dass sich das Risiko für einen Herzinfarkt durch die medikamentöse Prophylaxe mit ASS bei Männern zwar um 23 % senken lässt, bei Frauen jedoch nur um statistisch nicht signifikante 5 %. Hinsichtlich des Schlaganfalls ergibt sich die umgekehrte Situation. Hier profitieren Frauen von einer signifikanten Risikoreduktion durch einen Thrombozytenaggregations-Hemmer, Männer dagegen nicht. Diese Ergebnisse haben in den USA bereits teilweise Eingang in die Leitlinien gefunden. So wird ASS bei Frauen zur Primärprävention des Schlaganfalls, bei Männern zur Primärprävention des Myokardinfarkts empfohlen. Eine Übersicht über die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der antithrombotischen Therapie gibt Tab. 1. Bereits seit 2002 war durch eine retrospektive Analyse bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine erhöhte Sterblichkeit von Frauen unter Digitalistherapie bekannt [Rathore 2002]. Eine mögliche Erklärung ist eine erhöhte Plasmakonzentration durch eine bei Frauen niedrigere glomeruläre Filtrationsrate. Die Nebenwirkungen einiger Herz-Kreislauf-Medikamente, wie z. B. ACE-Hemmer oder β-Blocker sind bei Frauen statistisch häufiger. Durch ACE-Hemmer induzierter Reizhusten oder Herz-Rhythmus-Störungen durch Arzneimittel bedingte Verlängerung des QT-Intervalls treten häufiger bei Frauen auf [Lehmann 1996]. Für die geschlechtsspezifischen Unterschiede im QT-Intervall dürften eher Androgene als Östrogene verantwortlich sein, da es bei Männern während und nach der Pubertät zu einer Verkürzung des QT-Intervalls kommt [Rautanharju 1992].

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik

Warum Frauen auf einige Arzneimittel anders reagieren als Männer und im Allgemeinen häufiger unerwünschte Arzneimittelwirkungen erleiden, lassen sich durch pharmakodynamische und v. a. unterschiedliche pharmakokinetische Faktoren teilweise erklären [Harris 1995, Tanaka 1999, Schwartz 2003, Gandhi 2004]. Die Bioverfügbarkeit des Arzneimittels, seine Verteilung, die Metabolisierung und Elimination spielen eine wesentliche Rolle. Bioäquivalenzstudien, in denen sich für zahlreiche Medikamente geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik fanden, unterstützen die Bedeutung der Geschlechtsspezifität [Chen 2000].

Unterschiede in der Bioverfügbarkeit Die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels wird durch die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Resorption in den Blutkreiskauf bestimmt. Sie erfolgt bei den meisten Arzneimittel im Darm, wobei ein aktiver Rücktransport in das Darmlumen den systemisch verfügbaren Anteil verringert. Magensäuresekretion oder Magenentleerungszeit sowie gastrointestinale Durchblutung und Größe der intestinalen Resorptionsfläche sind Faktoren, die geschlechtsspezifisch variieren. Auch die Ernährungsgewohnheiten von Männer und Frauen unterscheiden sich, was mögliche Auswirkungen auf die Aufnahme von Arzneimitteln haben kann. Allerdings wurden bisher keine Unterschiede weder in der Magensäuresekretion oder in der gastralen und intestinalen Sekretion zwischen den Geschlechtern gefunden [Dressman 1990, Lindahl 1997]. Ob es auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beeinflussung der gastrointestinalen Motilität gibt, ist bisher nicht geklärt. Während im Tierexperiment keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden wurden [Voß 2012] weisen beim Menschen die Befunde auf einen direkten Einfluss der Geschlechtshormone hin. Einige Befunde sprechen dafür, dass Frauen eine verzögerte Magenentleerung für Flüssigkeiten und eine verlangsamte Darmpassage haben [Sadik 2003]. Bekannt sind auch Unterschiede in der Enzymausstattung. So haben Männer eine deutlich höhere Aktivität der gastralen Alkoholdehydrogenase als Frauen, woraus die deutlich höhere Bioverfügbarkeit von Alkohol bei Frauen resultiert [Gandhi 2004]. Obwohl es geschlechtsspezifische physiologische Unterschiede gibt, scheint es bei der Resorption von Arzneimitteln durch die Haut und in der Lunge keine klinisch signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede zu geben [Dias 1999, Donovan 2005].

Unterschiede in der Verteilung von Arzneistoffen Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Verteilung von Arzneistoffen beruhen auf Unterschieden in der Körpergröße, in der Muskelmasse, im Fett- und Wassergehalt. Frauen haben einen deutlich höheren Fettanteil als Männer, während der männliche Körper mehr Muskelgewebe und mehr Wasser aufweist. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Verteilung [Thürmann 2005]. Lipophile Arzneimittel verbleiben bei gleicher Dosierung bei Frauen länger im Fettgewebe als bei Männern. Da sie erst aus dem Fettgewebe mobilisiert werden müssen, werden sie zeitverzögert abgebaut. Wirkungen und Nebenwirkungen halten länger an. Bei hydrophilen Arzneistoffen ist es gerade umgekehrt: Die Plasmakonzentration von wasserlöslichen Substanzen ist bei Männern niedriger als bei Frauen. Typische Beispiele für ein größeres Verteilungsvolumen und eine verlängerte Eliminationshalbwertzeit sind die lipophilen Pharmaka Diazepam und Midazolam. Sie wirken bei Frauen länger. Solche geschlechtsabhängigen Unterschiede wurden auch für Muskelrelaxanzien beschrieben. Werden sie nach Körpergewicht dosiert, kann man bei gleicher Dosierung eine signifikant tiefere Muskelblockade und längere Wirkdauer beobachten.

Unterschiede in der Plasmaeiweißbindung Es liegen ebenfalls Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Plasmaeiweißbindung von Arzneimitteln vor. Bei Frauen ist die Bindung mancher Arzneimitmittel an das α-saure-Glykoprotein etwas stärker. Die klinische Relevanz dieser Unterschiede ist bisher allerdings nicht belegt. Es müssen sicher mehrere Effekte zusammenkommen, bis ein geschlechtsspezifischer Unterschied tatsächlich klinisch relevant wird.

Unterschiede im Arzneimittelmetabolismus Relevante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen im Wesentlichen beim Arzneimittelmetabolismus. Die wichtigsten Phase-I-Enzyme für den Abbau von Arzneimitteln beim Menschen gehören zur Familie der Cytochrom-P450-Enzyme (CYP450). Die Variabilität der Funktion dieser CYP450-Enzyme ist eine Ursache dafür, dass bei gleicher Dosierung eines Medikaments Intensität und Dauer von Wirkungen und Nebenwirkungen sehr unterschiedlich sein können. Für mehrere dieser Enzyme sind geschlechtsspezifische Unterschiede beschrieben worden [Wolbold 2003]. Bei Frauen ist die mRNA-Konzentration von CYP3A4 und die tatsächliche Proteinkonzentration in der Leber durchschnittlich um den Faktor 2 höher als bei Männern. Die vermehrte Enzymexpression korreliert mit einer etwa 50 % höheren In-vitro Metabolisierungsrate von Verapamil, dessen N-Dealkylierung über CYP3A4 erfolgt. Entsprechend wird bei Frauen eine erhöhte In vivo-Clearance für Verapamil im Vergleich zu Männern gefunden [Krecic-Shepard 2000]. Gleiches gilt für Nifedipin [Krecic-Shepard 2000] und Methylprednisolon [Thürmann 1998], die ebenfalls CYP3A4- Substrate sind. Die β-Blocker Metoprolol Carvidolol oder Nebivolol werden überwiegend über CYP2D6 abgebaut. Frauen haben nach einer standardisierten Tagesdosis höhere maximale Plasmakonzentrationen als Männer [Lutzier 1999]. Da die Konzentrations-Wirkungs-Beziehung zwischen Plasmakonzentration und Senkung der Herzfrequenz bei Männern und Frauen gleich ist, treten bei Frauen bei gleicher Dosierung deutlich stärkere Nebenwirkungen auf. Dies ist besonders bedeutungsvoll, da die Plasmakonzentrationen durch orale Kontrazeptiva nochmals erhöht werden. Obwohl β-Blocker eine große therapeutische Breite haben und die Therapie in der Regel mit einer niedrigen Dosis beginnt, die je nach Wirkung und Verträglichkeit gesteigert wird, sind die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern. Bei β-Blockern mit CYP2D6 unabhängiger Metabolisierung wie Sotalol, Bisoprolol oder Atenolol bestehen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Plasmakonzentrationen und den Nebenwirkungen, sodass sie für Frauen besser geeignet sein könnten. Auch Phase-II-Metabolisierungsreaktionen variieren geschlechtsspezifisch. So scheint die Aktivität glukuronidierender Enzyme bei Frauen geringer zu sein als bei Männern [Anderson 2005]. Das würde erklären, warum ASS bei Frauen etwa 30–40 % langsamer metabolisiert wird als bei Männern. Ähnliche Befunde wurden auch für Paracetamol, Clofibrat und Phenprocoumon erhoben, die alle durch Glukuronidierung ausscheidungsfähig gemacht werden [Thürmann 1998, Miners 1983, Mönig 1990]. Unter den methylierenden Enzymen scheint v. a. die Aktivität der Thiopurin-S-Methyltransferase bei Frauen geringer zu sein als bei Männern. Dies könnte die Ursache für die höhere Knochenmarkstoxizität der Thiopurine Azathioprin und 6-Mercaptopurin bei Patientinnen sein [Schwartz 2003].

Unterschiede in der Pharmkodynamik Im Vergleich zur Pharmakokinetik gibt es weniger Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Pharmakodynamik. Grund dafür ist, dass pharmakodynamische Effekte sehr viel schwerer zu untersuchen sind. Einige Arzneimittel haben allerdings trotz identischer Plasmakonzentration geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirkungen. Als Ursache werden genetisch bedingte Unterschiede bei der Anzahl und Lokalisation von Bindungsstellen für Arzneimittel (Rezeptoren, Transporter, Ionenkanäle) vermutet. Das trifft z. B. für Opioide zu [Kest 2000]. Experimentelle Studien zeigten, dass das Bindungspotenzial an den Opioidrezeptor für Morphin, Fentanyl, Alfentanil und Remifentanil bei Frauen signifikant höher ist als bei Männern [Pleym 2003]. Die bessere Ansprechbarkeit von SSRI bei prämenopausalen Frauen ist ein Hinweis, das Östrogene die Seotoninrezeptoren beeinflussen [Vermeiden 2010, Young 2005]. Neue experimentelle Ergebnisse deuten weiterhin darauf hin, dass auch der Natriumtransport in Epithelzellen der Atemwege geschlechtsspezifische Unterschiede zeigt und dass auch hier die Östrogene modulierend wirken. Dies hätte Auswirkungen auf die Therapie von Atemwegserkrankungen [Kaltofen 2015, Laube 2016]. Diese geschlechtsspezifischen pharmakodynamischen Unterschiede von unterstreichen die Bedeutung einer differenzierten Dosierung.

Gendespezifische Fortschritte in der Arzneimitteltherapie

Zolpidem gehört zu den am häufigsten verordneten Schlafmitteln. Frauen scheinen den Wirkstoff deutlich langsamer abzubauen als Männer. Zwar treten auch bei Männern Plasmakonzentrationen auf, bei denen mit eingeschränktem Reaktionsvermögen zu rechnen ist, aber deutlich seltener als bei Frauen. Das ergab eine von der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) durchgeführte Untersuchung. Daher hat die FDA die zugelassene Dosis für Frauen bei schnell freisetzendem Zolpidem von 10 auf 5 mg reduziert. Ein weiteres Beispiel ist der in den USA nur bei Frauen, die unter einem schweren Reizdarmsyndrom mit Durchfall leiden, zugelassene 4-HT3-Antagonist Alosetron. Er wirkte in klinischen Studien bei Frauen, jedoch nicht bei Männern, was auf eine unterschiedliche Rezeptorausstattung deutet [Lievre 2002, Medication Guide 2010]. Neue Studien zeigen mittlerweile, dass das Medikament wohl auch für Männer geeignet ist, dann aber höher dosiert werden muss Auch in Deutschland gibt es ein Beispiel, wo geschlechtsspezifisch unterschiedliche Dosierungen vorgeschlagen werden. Minoxidil, welches v. a. durch den Medikamentennamen Regaine® bekannt ist, ist ein Wirkstoff, der sich bei der Behandlung des erblich bedingten Haarausfalls bewährt hat. Da diese Art des Haarverlusts genetisch bedingt ist, können die Ursachen selbst nicht behandelt werden, jedoch kann dem Fortschreiten des Haarausfalls entgegen gewirkt werden. Bei Männern empfiehlt sich die Behandlung mit einer 5 %igen Minoxidil-Konzentration, für Frauen gibt es die 2 %ige Minoxidil-Lösung.

Fazit Häufig gebrauchte Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Deshalb sind nicht nur epidemiologische Untersuchungen zur Geschlechterverteilung von Krankheiten notwendig, sondern v. a. auch Studien, die pharmakokinetische und pharmakodynamische Aspekte oder das Ansprechen einer Therapie berücksichtigen, u

Ausblick[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

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  1. 1. Klinge I: Gender perspectives in European research. Pharmacological Research 2008; 58: 183–189.

Lehrmaterialien[Bearbeiten]

Fallstudien[Bearbeiten]

Dias[Bearbeiten]

Videos[Bearbeiten]

Eine Messgröße dafür, wie schnell und in welchem Umfang ein Arzneimittel resorbiert wird und am Wirkort zur Verfügung steht.

(griech.: toxikón = Gift) Giftigkeit einer Substanz.

Die Einwirkung des Organismus auf ein eingenommenes Arzneimittel in Abhängigkeit von der Zeit.

Die Effekte des Arzneimittels am Zielort.

(Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) Wirkstoffgruppe der Antidepressiva, blockieren Serotonin-Transportproteine im ZNS, die für die Wiederaufnahme des Serotonins in die Präsynapse verantwortlich sind. Die Serotonin­konzentration im synaptischen Spalt wird so erhöht.

Sedativ und anxiolytisch wirkende Arzneistoffe.

Konzentration eines körpereigenen oder körperfremden Stoffes im Blutplasma.

Eine Messgröße bei der Auswertung eines EKGs. Sie entspricht dem Zeitintervall vom Anfang des QRS-Komplexes bis zum Ende der T-Welle.

Hormone, die die Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale steuern.

Prozess, bei dem körpereigene oder -fremde Stoffe durch lebende Zellen oder Gewebe aufgenommen werden.

Freier, normalerweise mit Speisebrei oder Stuhl ausgefüllter Raum innerhalb der Darmschlingen.

Abgabe von für den Organismus wichtigen Substanzen (beispielsweise Hormone, Verdauungsenzyme) durch spezialisierte Zellen.

(ADH) Ein Enzym, das die Reaktion von Alkoholen zu den entsprechenden Aldehyden oder Ketonen und auch die Rückreaktion dieser (Aldehyd zu Alkohol) katalysiert.

Medikamente zur Entspannung ("Relaxierung") der Skelettmuskulatur. Sie setzen den Muskeltonus herab.

(RDS) Gastroenterologisches Krankheitsbild, das durch diffuse abdominelle Beschwerden charakterisiert wird und oft auf psychosomatischen Faktoren beruht.