Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Fächer Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologie, Soziologie, Kinderheilkunde
Organsysteme
Hauptsymptome Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeitsstörung
Zusammenfassung Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist die am häufigsten diagnostizierte psychische Störung im Kindes- und Jugendalter. Symptomatisch können dabei Probleme in Bereichen wie Aufmerksamkeit, Selbstregulation und Impulsivität sowie eine ausgeprägte körperliche Unruhe sein. Dabei zeigen sich Jungen mit ADHS eher impulsiv und hyperaktiv, während betroffene Mädchen eher unaufmerksam sind. Komorbid entwickeln Jungen häufiger expansive Störungen (z. B. Störungen des Sozialverhaltens), bei Mädchen treten vermehrt affektive Störungen und Angsterkrankungen auf. Das hyperaktiv-impulsive Verhalten bei Jungen ist auffälliger und führt häufiger zu einer frühzeitigen Diagnose und therapeutischen Intervention. Dieser sogenannte "Überweiserbias" wird zusätzlich durch geschlechterspezifische Rollenerwartungen gestärkt: Identische Symptome werden bei Jungen oft als schwerwiegender bewertet als bei Mädchen. Folge ist, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen in klinischen Studien deutlich unterrepräsentiert sind und die Anzahl von Probanden bis zu zehn Mal höher ist als die von Probandinnen. Epidemiologische Studien ergeben, dass etwa vier bis zehn Prozent der Kinder und vier Prozent der Erwachsenen von einer ADHS-Symptomatik betroffen sind. Dabei muss in der Allgemeinpopulation von einem Geschlechterverhältnis von mindestens zwei zu eins zugunsten des männlichen Geschlechts ausgegangen werden. Für die Praxis wäre eine geschlechtersensible und weniger stereotype Behandlung notwendig, die eine frühzeitige Diagnose und Intervention bei Mädchen ermöglicht und falsch-positiven Befunden bei Jungen vorbeugt.[1]

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Epidemiologie[Bearbeiten]

Inzidenz/Prävalenz[Bearbeiten]

Laut Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) von 2007 sind 4.8 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland von einer diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung betroffen. Dabei wird die Störung bei Jungen mit 7.9 Prozent deutlich häufiger diagnostiziert als bei Mädchen mit 1,8 Prozent. Vom Vorschulalter (drei bis sechs Jahre) bis zum Alter von elf bis 13 Jahre steigt die Prävalenz von 1.5 auf 7.1 Prozent an. Im Laufe der Adoleszenz (14 bis 17 Jahre) sinkt die Anzahl der Erkrankten dann wieder ab (auf 5,6 Prozent).[2] Die Symptomatik manifestiert sich im Allgemeinen sehr früh (vor dem siebten Lebensjahr) und zeigt bei etwa 20 Prozent der Patienten und Patientinnen eine Persistenz im Erwachsenenalter.[3] Grafik 1 veranschaulicht die Lebenszeitprävalenz von Jungen und Mädchen verschiedener Alterskohorten. Zu sehen ist, dass die Erhöhung der Lebenszeitprävalenz vor allem auf das männliche Geschlecht zurückzuführen ist (besonders beim Übergang vom Vorschul- ins Grundschulalter). Zudem wurde bei etwa jedem zehnten Jungen in der Adoleszenz (elf bis 17 Jahre) jemals eine ADHS diagnostiziert. Dagegen war nur jedes 43. Mädchen dieser Altersgruppe jemals betroffen. ADHS scheint bei Kindern aus Familien mit geringem sozialen Status deutlich häufiger diagnostiziert zu werden als bei Kindern aus Familien mit mittlerem oder hohen sozialen Status. Bei Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund besteht die Tendenz, dass ADHS seltener auftritt als bei Kindern aus Familien ohne Migrationshintergrund.[4]


Grafik 1. Prävalenz diagnostizierter ADHS in verschiedenen Alterskohorten (Männer und Frauen)
[Quelle: GenderMed-Wiki, nach Schlack et al. (2007)]

Risikofaktoren und protektive Faktoren[Bearbeiten]

Pathophysiologie[Bearbeiten]

Klinik[Bearbeiten]

Symptome[Bearbeiten]

Lange Zeit wurde ADHS hauptsächlich mit hyperaktiven und impulsiven Verhaltensmustern assoziiert und damit vor allem als „typische“ Erkrankung des männlichen Geschlechts (v.a. von Jungen) eingestuft. Inzwischen existieren Forschungsarbeiten, die eine differenziertere Perspektive einnehmen und Geschlechterunterschiede bei ADHS analysieren.[5] Nachfolgende Tabelle fasst Geschlechterunterschiede bezüglich der Symptome einer ADHS zusammen.

Jungen Mädchen
Hauptsymptome Hyperaktivität/Impulsivität:

Erkrankte Jungen zeigen im Vergleich zu erkrankten Mädchen eine deutlich stärkere Symptomatik bezüglich hyperaktiven und impulsiven Verhaltensweisen. Der hohe Stellenwert dieser Symptome v.a. im ICD-10 kann zu einer Verzerrung des Geschlechterverhältnises bei ADHS führen. Zudem fällt oppositionelles und aggressives Verhalten stärker auf als Unaufmerksamkeit (z. B. im Schulalltag), was meist eine frühzeitigere Diagnose und Behandlung von Jungen im Vergleich zu Mädchen zufolge hat.[6]

Aufmerksamkeitsdefizit:

Mädchen mit einer ADHS-Erkrankung zeigen eher Aufmerksamkeitsschwierigkeiten als impulsive Verhaltensweisen. Da Defizite in der Aufmerksamkeit im Vergleich zu Hyperaktivität weniger „störend“ wirken, werden behandlungsrelevante Symptome häufiger übersehen als bei Jungen.[7]

Komorbiditäten Expansive Störungen:

Die hyperaktiv-impulsive Symptomatik bei Jungen wird assoziiert mit komorbiden expansiven Störungen (oppositionelles Trotzverhalten oder Störungen des Sozialverhaltens).[8] Jungen mit ADHS sind deutlich häufiger oppositionell und aggressiv, während Mädchen sich eher indirekt aggressiv verhalten(z. B. soziale manipulativ oder verbal aggressiv).[9] [10]


Lese-Rechtschreibschwäche:

ADHS und Lese-Rechtschreib-Schwäche sind häufig assoziiert. Komorbiditätsraten variieren dabei zwischen zehn und 50 Prozent. Lese- und Rechtschreibschwäche tritt als Teilleistungsstörung bei Jungen mit ADHS häufiger auf als bei Mädchen mit ADHS.[11]

Angststörungen:

Angststörungen treten bei Kindern mit ADHS vermehrt auf (30 bis 40 Prozent). Zu beobachten ist dieser Zusammenhang v.a. bei ausgeprägtem Aufmerksamkeitsdefizit und somit häufiger bei Mädchen.[12] Es ergibt sich eine komplexe Interaktion zwischen ADHS-Subtyp, Geschlecht und Art der Angststörung: Besonders jüngere, vorwiegend unaufmerksame Mädchen zeigen stärkere Trennungsängste. Mädchen und Jungen mit kombiniertem Subtyp erkranken dagegen häufiger an einer generalisierten Angststörung.[13]


Depressionen:

Depressionen treten bei ADHS-Patienten und Patientinnen deutlich häufiger auf als in der Gesamtbevölkerung. Besonders Mädchen mit ADHS haben im Vergleich zu Mädchen ohne ADHS ein fünffach höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken.[14] Wesentliche Unterschiede bezüglich der Subtypen wurden bisher nicht gefunden.


Substanzmissbrauch:

Es bestehen Hinweise, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen mit ADHS ein erhöhtes Risiko des Substanzmissbrauches aufweisen.[15] [16]

Schulleistung

Während die Schulleistung anhand objektiver Leistungstests zwischen den Geschlechtern nicht divergiert, ergibt sich bei der subjektiven Einschätzung durch den Lehrer/die Lehrerin, dass Schüler mit ADHS mehr schulische Probleme aufweisen als Schülerinnen mit ADHS.[17]

Diagnostik[Bearbeiten]

Management von Patienten und Patientinnen[Bearbeiten]

Therapie[Bearbeiten]

Interaktion zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin[Bearbeiten]

Behandlungserfolg/Outcome[Bearbeiten]

Psychosoziale Faktoren[Bearbeiten]

Prävention[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

  1. Konrad K, Günther T. Ursachen der Geschlechterunterschiede in der Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hypraktivitäts-Störung. In: Lauterbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editors. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  2. Schlack R, Hölling H, Kurth B, Huss M. Die Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Erste Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 2007; 50(5-6):827–35.
  3. Biederman J. A Prospective 4-Year Follow-up Study of Attention-Deficit Hyperactivity and Related Disorders. Arch Gen Psychiatry 1996; 53(5):437.
  4. Schlack R, Hölling H, Kurth B, Huss M. Die Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Erste Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 2007; 50(5-6):827–35.
  5. Konrad K, Günther T. Ursachen der Geschlechtsunterschiede in der Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitäts-Störung. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editors. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 223–40.
  6. Konrad K, Günther T. Ursachen der Geschlechtsunterschiede in der Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitäts-Störung. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editors. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 223–40.
  7. Konrad K, Günther T. Ursachen der Geschlechtsunterschiede in der Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitäts-Störung. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editors. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 223–40.
  8. Seidman LJ. Neuropsychological functioning in people with ADHD across the lifespan. Clinical Psychology Review 2006; 26(4).
  9. Maniadaki K, Sonuga Barke E, Kakouros E, Karaba R. Maternal emotions and self-efficacy beliefs in relation to boys and girls with AD/HD. Child Psychiatry and Human 2005; 35(3):245–63.
  10. Abikoff HB, Jensen PS, Arnold LL, Hoza B, Hechtman L, Pollack S. Observed Classroom behavior of children with ADHD: relationship to gender and comorbidity. Journal of Abnormal Child Psychology; 30:349–59.
  11. Seidman LJ. Neuropsychological functioning in people with ADHD across the lifespan. Clinical Psychology Review 2006; 26(4).
  12. Biederman J. Attention-deficit/hyperactivity disorder: a selective overview. Biological Psychiatry 2005; 57.
  13. Levy F, Hay DA, Bennett KS, McStephen M. Gender differences in ADHD subtype comorbidity. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 2005; 44:368–76.
  14. Biederman J. Attention-deficit/hyperactivity disorder: a selective overview. Biological Psychiatry 2005; 57.
  15. Quinn PO. Treating adolescent girls and women with ADHD: gender-specific issues. Journal of Clinical Psychology; 61:579–87.
  16. Biederman J, Mick E, Faraone SV, Braaten E, Doyle A, Spencer T, Wilens T, Frazier E, Johnson MA. Influence of gender on attention deficit hyperactivity disorder in children referred to a psychiatric clinic. American Journal of Psychiatry 2002; 159:36–42.
  17. Konrad K, Günther T. Ursachen der Geschlechtsunterschiede in der Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitäts-Störung. In: Lautenbacher S, Güntürkün O, Hausmann M, editors. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 223–40.

Lehrmaterialien[Bearbeiten]

Fallstudien[Bearbeiten]

Dias[Bearbeiten]

Videos[Bearbeiten]

(ADHS) Gehört zur Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend und äußert sich durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Selbstregulation sowie eventuell durch ausgeprägte körperliche Unruhe.

(Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) Gehört zur Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend und äußert sich durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Selbstregulation sowie eventuell durch ausgeprägte körperliche Unruhe.

Ein Teilgebiet der Medizin, das die Verteilung von Krankheiten in einer Bevölkerung und die damit zusammenhängenden Variablen untersucht.

Die Anzahl neu aufgetretener Krankheitsfälle innerhalb einer definierten Population in einem bestimmten Zeitraum.

Die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Zeitraum von der späten Kindheit über die Pubertät bis hin zum Erwachsenenalter.

Die Lehre von krankhaft veränderten Körperfunktionen sowie ihrer Entstehung und Entwicklung.

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.

(Substanzabusus) Missbräuchliche und medizinisch nicht indizierte (daher in den meisten Fällen falsch dosierte Anwendung) von Substanzen (Drogen, Medikamente).