Suizid: Unterschied zwischen den Versionen

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|Zusammenfassung=Männer suizidieren sich dreimal so häufig wie Frauen, wobei Frauen öfter einen Suizidversuch begehen. Während Frauen eher parasuizidales Verhalten zeigen, wählen Männer meist aggressivere Methoden. Dabei erfolgen 70 Prozent aller Selbstmorde im Rahmen einer depressiven Erkrankung. Die erhöhte Suizidrate bei geringerer Suizidversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als Gender Paradox diskutiert. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Suizidrate (Suizide auf 100 000 Personen der Allgemeinbevölkerung pro Jahr) mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während die Suizidrate bei Frauen zwischen 85 und 90 Jahren bei etwa 15 liegt, suizidieren sich deutlich mehr Männern der gleichen Altersgruppe (Suizidrate von 73.2). Insgesamt suizidierten sich im Jahr 2012 2603 Frauen und sogar 7287 Männer in Deutschland.
  
== Epidemiologie==
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==Ähnliche Artikel==
 
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* [[Depression]]
===Inzidenz/Prävalenz===
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Suizidzahlen werden in Deutschland bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts erfasst (Suizidversuche dagegen offiziell nicht). Seit den 1990er Jahren ist eine kontinuierliche Abnahme der Suizidzahlen zu verzeichnen mit einer kurzfristige Zunahme zwischen 2008 und 2011, die deutlich zu Lasten der Männer ging (als Ursache wird die Wirtschaftskrise vermutet).<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.</ref>
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|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[/Einführungsartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Einführungsartikel</u></span></big></big>]]
 
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Epidemiologische Geschlechterunterschiede sind seit Beginn dieser Erfassung bekannt und weltweit gesichert. Dabei suizidieren sich Männer bis zu drei Mal häufiger als Frauen (und verwenden deutlich härtere Methoden). Zum Beispiel suizidierten sich im  Jahr 2012 2603 Frauen und sogar 7287 Männer in Deutschland. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Suizidrate (Suizide auf 100 000 Personen der Allgemeinbevölkerung pro Jahr) mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während die Suizidrate bei  Frauen zwischen 85 und 90 Jahren bei etwa 15 liegt, suizidieren sich deutlich mehr Männern der gleichen Altersgruppe (Suizidrate von 73.2, vergleiche Tabelle 1).<ref>NASPRO. (2012). Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland. Suizide in Deutschland 2012: Suizidzahlen und -raten 1990-2012 in Deutschland.</ref> Beeinflussende Faktoren sind dabei meist soziale und emotionale Vereinsamung. Dass  Suizid im Alter nicht mehr nur Problem des männlichen Geschlechtes ist,  belegen Schmidtke et al. (2008). Sie erkennen, dass jeder zweite Suizid bei Frauen in Deutschland in der Altersgruppe der über 60-Jährigen begangen wird.<ref>Schmidtke, A., Sell, R., & Lohr, C. (2008). Epidemiology of suicide in older persons [Epidemiologie von Suizidalitat im Alter]. Zeitschrift fur Gerontologie und Geriatrie, 41(1), 3–13. doi:10.1007/s00391-008-0517-z</ref> <span></span> <span></span> 
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|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[/Fachartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Fachartikel</u></span></big></big>]]
 
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<b>Tabelle 1. Suizidraten auf 100 000 EinwohnerInnen zwischen 1990 und 2012 bei Männern und Frauen in unterschiedlichen Altersgruppen. [Quelle: NASPRO, 2012]</b>
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<table class="wikitable table table-bordered" style="text-align: center;"><tr><td><b>Altersgruppe</b></td><td><b>Suizidrate Männer</b></td><td><b>Suizidrate Frauen</b></td></tr><tr><td>20-25</td><td>11.9</td><td>3.2</td></tr><tr><td>60-65</td><td>22.9</td><td>7.1</td></tr><tr><td>85-90</td><td>73.2</td><td>15.1</td></tr></table>
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Suizidversuche werden dagegen eher bei jüngeren Menschen beobachtet. Das Geschlechterverhältnis ist hier umgekehrt, betroffen sind häufig jüngere Frauen. Beispielsweise geben Weissmann et al. (1999) eine Lebenszeitrate bei Suizidversuchen von 2.8 Prozent bei Männern und 4.1 Prozent bei Frauen in Westdeutschland an, wobei dieser Geschlechterunterschied in allen untersuchten Ländern bestätigt werden konnte.<ref>Weissman, M. M., Bland, R. C., Canino, G. J., Greenwald, S., Hwu, H. G., Joyce, P. R., . . . Yeh, E. K. (1999). Prevalence of suicide ideation and suicide attempts in nine countries. Psychological medicine, 29(1), 9–17.</ref>
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|style="border: 2px #003399 solid;" | [https://gendermedwiki.uni-muenster.de/editorial-board/education.php?articleId=108 <big><big><span><u>Lehrmaterial</u></span></big></big>]
 
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=== Risikofaktoren und protektive Faktoren===
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Der größte Risikofaktor für einen Suizid ist eine psychische Erkrankung. Vor allem [[Depression/Fachartikel | Depression]], aber auch [[Schizophrenie/Fachartikel | schizophrene]] oder [[Substanzgebrauchsstörungen/Fachartikel | Suchterkrankungen]] erhöhen das Risiko eines Suizides enorm. Dabei werden 90 Prozent aller Suizide mit einer psychischen Erkrankung assoziiert, meist mit einer Depression (bis 70 Prozent).<ref>Wahlbeck K. & Mäkinen M. (Eds). (2008). Prevention of depression and suicide. Consensus paper. Luxembourg: European Communities.</ref>  Obwohl [[Depression/Fachartikel | Depressionen]] bei Frauen ungefähr doppelt so häufig diagnostiziert werden wie bei Männern, liegt der Anteil derjenigen Männer die infolge einer [[Depression/Fachartikel | Depression]] Suizid begangen haben mit 60 bis 70 Prozent deutlich über dem Anteil an Frauen. Man kann davon ausgehen, dass [[Depression/Fachartikel | Depression]] bei Männern mit einem höheren Suizidrisiko einhergeht als dies bei Frauen der Fall ist.<ref>Schaller, E. & Wolfersdorf, M. (2009). Depression and suicide. Suicidal Behaviour: Assessment & Diagnosis. Sage Publications, New Delhi.</ref> In einer Studie von 2007 wurden 314 Patienten und Patientinnen mit Depression oder bipolarer Störung zwei Jahre nach Abschluss der Behandlung untersucht. In diesem Zeitraum hatten 16.6 Prozent der Betroffenen Suizid begangen oder es zumindest versucht. Die AutorInnen konnten zwischen den Geschlechtern teilweise unterschiedliche Risikofaktoren identifizieren (vergleiche Tabelle 2).<ref>Oquendo, M. A., Bongiovi-Garcia, M. E., Galfalvy, H., Goldberg, P. H., Grunebaum, M. F., Burke, A. K., & J John Mann, M. D. (2007). Sex differences in clinical predictors of suicidal acts after major depression: a prospective study. American Journal of Psychiatry.</ref> 
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|style="border: 2px #003399 solid;" | [[/Quiz |<big><big><span><u>Quiz</u></span></big></big>]]
 
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<b>Tabelle 2. Risikofaktoren für einen Suizid bei Männern und Frauen. [Quelle: Oquendo et al. (2007)]</b>
 
<table class="wikitable table table-bordered"><tr><td><b>Männer</b></td><td><b>Frauen</b></td></tr><tr><td><ul style="box-sizing: inherit; margin: 0.3em 0px 0px 1.6em; line-height: 1.5; padding: 0px; font-family: Lato, Helvetica, Arial, sans-serif; font-size: 16px;"><li style="box-sizing: inherit;">Suizidale Handlungen in der Familie <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">früherer Drogenkonsum <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">frühe Trennung der Eltern <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">Rauchen <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">Borderline-Persönlichkeitsstörung</li></ul></td><td><ul style="box-sizing: inherit; margin: 0.3em 0px 0px 1.6em; line-height: 1.5; padding: 0px; font-family: Lato, Helvetica, Arial, sans-serif; font-size: 16px;"><li style="box-sizing: inherit;">eigene Suizidversuche <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">Hostilität <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">subjektive depressive Symptome <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">Rauchen <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">Borderline-Persönlichkeitsstörung <br style="box-sizing: inherit;"></li><li style="box-sizing: inherit;">wenige eigene Gründe für das Weiterleben</li></ul></td></tr></table>
 
Nach Dumais et al. (2005) scheint besonders bei jüngeren männlichen Patienten (zwischen 18 und 40 Jahren) das Risiko eines Suizids durch Impulsivität und Aggression erhöht zu werden. Dabei führen diese disinhibitorischen Faktoren zu Veränderungen der serotonergen Aktivität und fördern die Umsetzung von Suizidgedanken in konkrete Handlungen.<ref>Dumais, A.; Lesage, A. D.; Alda, N.; Rouleau, G.; Dumont, M.; Chawky, N. et al. (2005). Risk factors for suicide completion in major depression: A case control study of impulsive and aggressive behaviours in men. American Journal of Psychiatry, 162, 2116-2124.</ref>
 
 
 
Hinsichtlich [[Schizophrenie/Fachartikel |schizophrener Erkrankungen]] liegt das höchste Suizidrisiko bei Männern jüngeren Alters: Dabei sind zusätzliche Einflussfaktoren wie  ein guter Bildungsabschluss, eine paranoid-halluzinatorische Symptomatik, gutes Ansprechen auf (neuroleptische) Therapie, das Wissen um die Erkrankung und um einen möglichen Verlauf sowie ein deutlicher Leidensdruck für suizidales Verhalten charakterisitisch.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.</ref>
 
 
 
==Gender Paradox==
 
 
 
Die erhöhte Suizidrate bei geringerer Suizidversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als ''Gender Paradox'' diskutiert.<ref>Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.</ref> Paradox erscheint dabei besonders, dass der Suizidversuch als stärkster Prädiktor für künftige Suizide gilt und Frauen demnach eine höhere Suizidrate als Männer aufweisen müssten.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.</ref> Nachfolgende Tabelle (Tabelle 3) stellt Erklärungsansätze zum ''Gender Paradox'' dar.
 
 
 
<b>Tabelle 3. Erklärungsansätze des ''Gender Paradox''.</b>
 
<table class="wikitable table table-bordered"><tr><td><b>Suizidfördernde Faktoren bei Männern</b></td><td><b>Erklärung</b></td></tr><tr><td><b>Verwendung härterer Suizidmethoden</b><br></td><td>Auch wenn bei Suizidversuchen kein Geschlechterunterschied hinsichtlich der Absicht zu Sterben zu bestehen scheint, wählen Männer durchschnittlich aggressivere Methoden. Die Überlebenswahrscheinlichkeit wird dadurch verringert.<ref>Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.</ref><br></td></tr><tr><td><b>Weniger Hilfesuchverhalten</b><br></td><td>Psychische Erkrankungen werden bei Männern deutlich seltener diagnostiziert als bei Frauen. Sie zeigen nicht nur geringeres Hilfesuchverhalten, sondern verbalisieren ihr Leiden auch seltener und haben eine niedrigere Behandlungsbereitschaft.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref><br></td></tr><tr><td><b>Dysfunktionale Bewältigungsstrategien</b><br></td><td> Männer versuchen häufiger mit Hilfe von Alkohol zu bewältigen.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050 Zudem reagieren sie in psychischen Krisen mit deutlich aggressiverem Verhalten.Hyde, J. S. (2014). Gender similarities and differences. Annual review of psychology, 65, 373–398. doi:10.1146/annurev-psych-010213-115057</ref> Durch beide Verhaltensweisen wird die Wahrscheinlichkeit eines Suizides gesteigert. <br></td></tr><tr><td><b>Anfälligkeit in Krisen und bei Trennungen</b><br></td><td>Trennungen oder Tod der Partnerin sowie allein lebend zu sein, stehen bei Männern stärker als bei Frauen im Zusammenhang mit Suizid.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref> Grund könnte sein, dass Männer weniger emotional stützende Alternativressourcen haben, weniger flexibel in ihrer Rolle sind und bei Trennungen häufiger auch ihre Kinder sowie ihr Zuhause verlieren.<ref>Scourfield, J., & Evans, R. (2015). Why Might Men Be More at Risk of Suicide After a Relationship Breakdown? Sociological Insights. American journal of men's health, 9(5), 380–384. doi:10.1177/1557988314546395</ref><br></td></tr><tr><td><b>Geringerer Schutzfaktor "Elternschaft</b><br></td><td>Elternschaft als Schutzfaktor greift bei Männern weniger gut als bei Frauen.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref> Unter Umständen geht Muttersein im Vergleich zu Vatersein mit einem höheren Gefühl der Verbundenheit einher. Das Gefühl der Verbundenheit stellt dabei einen entscheidenden Schutzfaktor gegen Suizid dar.<ref>Payne Sarah, Swami Viren, and Stanistreet Debbi L.. Journal of Men's Health. November 2013, 5(1): 23-35. doi:10.1016/j.jomh.2007.11.002.</ref><br></td></tr><tr><td><b>Männliche Stereotype</b><br></td><td>Mit der sozial geprägten Geschlechterrolle ist ein Suizid bei Männern leichter vereinbar als ein Suizidversuch, was die Durchführung suizidaler Handlungen prägt.<ref>Payne Sarah, Swami Viren, and Stanistreet Debbi L.. Journal of Men's Health. November 2013, 5(1): 23-35. doi:10.1016/j.jomh.2007.11.002. Scourfield, J., & Evans, R. (2015). Why Might Men Be More at Risk of Suicide After a Relationship Breakdown? Sociological Insights. American journal of men's health, 9(5), 380–384.doi:10.1177/1557988314546395</ref>  Auch werden Misserfolge im Beruf bei Männern stärker als bei Frauen mit sozialem Versagen assoziiert . Es ist davon auszugehen, dass die Folgen der Wirtschaftskrise von 2008 (Verlust des Arbeitsplatzes sowie finanzieller Ressourcen) hauptsächlich bei Männern im Arbeitsalter mit einer erhöhten Suizidrate korreliert war.<ref>Reeves, A., McKee, M., & Stuckler, D. (2014). Economic suicides in the Great Recession in Europe and North America. The British journal of psychiatry : the journal of mental science, 205(3), 246–247. doi:10.1192/bjp.bp.114.144766</ref><br></td></tr></table>
 
<span style="color: inherit; font-family: inherit; font-size: 30px;">Suizid und Suizidalität bei Medizinern und Medizinerinnen</span>
 
 
 
In der Gesundheitsversorgung häufig unberücksichtigt bleibt das psychische Wohlergehen vom medizinischen Fachpersonal. So ergibt sich bei Medizinerinnen und Medizinern eine höhere Suizidrate  als in der Allgemeinbevölkerung.<ref>Reimer, C., Trinkaus, S., & Jurkat, H. B. (2005). Suizidalität bei Ärztinnen und Ärzten. Psychiatrische Praxis, 32(08), 381-385.</ref> Nach den Ergebnissen von 14 internationalen Studien  zeigt sich für diese Berufsgruppe eine um das 1,3 bis 3,4-fach höhere Suizidrate; bei Medizinerinnen im Vergleich zur weiblichen Allgemeinbevölkerung ist diese Rate sogar um das 2,5 bis 5,7-fache erhöht.<ref>Lindeman S, Läärä E, Hakko H, Lönnqvist J. A Systematic Review on Gender Specific Suicide Mortality in Medical Doctors.  British Journal of Psychiatry. 1996;  168 274-279</ref> Ganz anders als bei der Allgemeinbevölkerung zeigen sich bei Ärztinnen und Ärzten keine Geschlechterdifferenzen in der Suizidhäufigkeit: Medizinerinnen suizidieren sich etwa genauso häufig wie ihre männlichen Kollegen. In einer deutschen Studie von 1986 gaben die Hälfte der befragten Medizinerinnen und Mediziner an, in ihrem Leben bereits Suizidabsichten gehabt zu haben, zwei Drittel hielten es für möglich, sich in  Zukunft zu suizidieren.<ref>Reimer C, Zimmermann R, Balck F. Suizidalität im Urteil von klinisch tätigen Ärzten.  Nervenarzt. 1986;  57 100-107</ref> In einer norwegischen Studie von 2000 gab jede/r zehnte/r MedizinerIn an, schon einmal ernsthafte Suizidabsichten gehabt zu haben, Medizinerinnen berichteten dabei signifikant häufiger von Suizidgedanken als Mediziner.<ref>Hem E, Grønvold N T, Aasland O G, Ekeberg O. The prevalence of suicidal ideation and suicidal attempts among Norwegian physicians. Results from a cross-sectional survey of a nationwide sample.  Eur Psychiatry. 2000;  15 (3) 183-189</ref>
 
 
 
Generell ist die Lebenszeitprävalenz depressiver Störungen bei Medizinerinnen und Medizinern genauso hoch oder höher als in der Allgemeinbevölkerung (und besonders hoch zu Beginn der Assistenzzeit).<ref>Gautam M. Depression and anxiety. In: Goldman LS, Myers M, Dickstein LJ (eds) The Handbook of Physician Health: Essential Guide to Understanding the Health Care Needs of Physicians. Chicago, Ill; American Medical Association 2000: 80-94</ref> Dabei ergibt sich für Medizinerinnen eine besondere Depressionsgefährdung.<ref>Firth-Cozens J. Depression in doctors. In: Robertson MM, Katona CLE (eds) Depression and physical illness. New York; Wiley 1997: 95-111</ref> <ref>Hsu K, Marshall V. Prevalence of depression and distress in a large sample of Canadian residents, interns and fellows.  Am J Psychiatry. 1987;  144 1561-1566</ref> Verantwortlich scheint unter anderem die extrem hohe Arbeitsbelastung, aber auch soziale Deprivation  zu sein.<ref>Reimer, C., Trinkaus, S., & Jurkat, H. B. (2005). Suizidalität bei Ärztinnen und Ärzten. Psychiatrische Praxis, 32(08), 381-385.</ref> Besonders bei Medizinerinnen mit Kindern kann die ständige Doppelbelastung und das Gefühl, der Rolle als Mutter und Berufstätige nicht gerecht werden zu können, zu Frustration und starken Erschöpfungszuständen führen.<ref>Arnetz B B, Hörte L G, Hedberg A, Theorell T, Allander E, Malker H. Suicide patterns among physicians related to other academics as well as to the general population. Acta psychiatrica Scandinavica. 1987;  75 139-143</ref> <ref>Sonneck G, Wagner R. Suicide and burnout of physicians.  Omega. 1996;  33 (3) 255-263</ref> Außerdem werden der Mangel eines adäquaten weiblichen Rollenmodells sowie fehlende familiäre und berufliche Unterstützung als Risikofaktoren für die Suizidalität bei Ärztinnen vermutet.<ref>Black D. When physicians commit suicide.  Iowa Medicine. 1992;  2 58-61</ref> <br>
 
 
 
Auch Substanzmissbrauch  und -abhängigkeit sind wichtige Risikofaktoren für suizidale Handlungen. Eine erhöhte Suchtgefährdung unter Ärztinnen und Ärzten kann als bestätigt angesehen werden,<ref>Bämayr A, Feuerlein W. Incidence of suicide in physicians and dentists in Upper Bavaria.  Soc Psychiatry. 1986;  21 (1) 39-48</ref> <ref>Blondell R D. Impaired physicians.  Primary Care. 1993;  20 (1) 209-219</ref> zehn bis 15 Prozent der MedizinerInnen scheinen im Laufe ihres Lebens einen problematischen Umgang mit Alkohol und anderen Drogen zu entwickeln.<ref>Bohigan G M, Croughan J L, Sanders K. Substance abuse and dependence in physicians: an overview of the effects of alcohol and drug abuse.  Missouri Medicine. 1994;  91 (5) 233-239</ref><br>
 
 
 
==Ausblick==
 
 
 
Einer der größten Risikofaktoren eines Suizides ist das Vorhandensein einer [[Depression/Fachartikel | Depression]]. Gegenwärtig besteht noch immer eine gesellschaftliche ''Depressionsblindheit'' bei Männern und damit zusammenhängend eine deutliche Unterdiagnostizierung. Um dem entgegen zu wirken, sind fundierte Kenntnisse von Geschlechterunterschieden in der Phänomenologie von Depression notwendig.<ref>Wolfersdorf, M. (2009). Männersuizid: Warum sich "erfolgreiche" Männer umbringen - Gedanken zur Psychodynamik. Blickpunkt der Mann, (7), 38–41.</ref> <ref>Moller-Leimkühler, A. M. (2009). Men, depression and "male depression" [Manner, Depression und "mannliche Depression"]. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 77(7), 412-9; quiz 420. doi:10.1055/s-2008-1038257</ref> <span><a href="javascript:"></a></span>
 
 
 
Geschlechtersensible Suizidpräventionen sind selten zu finden. Ein Zugang für präventive Maßnahmen bei Männern könnten Präventionsprogramme am Arbeitsplatz sein.<ref>Gullestrup, J., Lequertier, B., & Martin, G. (2011). MATES in construction: impact of a multimodal, community-based program for suicide prevention in the construction industry. International journal of environmental research and public health, 8(11), 4180–4196. doi:10.3390/ijerph8114180</ref> <a href="javascript:"></a> Generell ist ein Umdenken männlicher Geschlechterrollen nötig, um die Akzeptanz psychischer Krankheiten bei Männern zu fördern und das Hilfesuchverhalten zu erhöhen.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.</ref>
 
 
 
== Externe Links ==
 
 
 
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div></div>
 
 
==Lizenz==
 
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Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode
 
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Zuletzt geändert: 2017-05-31 11:51:53
 
Zuletzt geändert: 2017-05-31 11:51:53

Version vom 28. Juli 2017, 10:22 Uhr

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Organsysteme
Hauptsymptome
Zusammenfassung Männer suizidieren sich dreimal so häufig wie Frauen, wobei Frauen öfter einen Suizidversuch begehen. Während Frauen eher parasuizidales Verhalten zeigen, wählen Männer meist aggressivere Methoden. Dabei erfolgen 70 Prozent aller Selbstmorde im Rahmen einer depressiven Erkrankung. Die erhöhte Suizidrate bei geringerer Suizidversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als Gender Paradox diskutiert. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Suizidrate (Suizide auf 100 000 Personen der Allgemeinbevölkerung pro Jahr) mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während die Suizidrate bei Frauen zwischen 85 und 90 Jahren bei etwa 15 liegt, suizidieren sich deutlich mehr Männern der gleichen Altersgruppe (Suizidrate von 73.2). Insgesamt suizidierten sich im Jahr 2012 2603 Frauen und sogar 7287 Männer in Deutschland.

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