Substanzgebrauchsstörungen

Fächer Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologie und Soziologie
Organsysteme Psyche
Hauptsymptome Craving, Toleranzentwicklung, Entzugssymptome, Kontrollverlust, Vernachlässigung anderer Interessen, Anhaltender Konsum
Zusammenfassung In Deutschland werden von Männern die meisten Substanzen häufiger und in größerer Menge

konsumiert als von Frauen. Allerdings zeigt sich in jüngeren Kohorten die Tendenz, dass dieser Geschlechtsunterschied zu verschwinden beginnt, weshalb zukünftig mit einer erhöhten Rate an weiblichen Abhängigen zu rechnen ist. Dieser Wandel erfordert ein spezielles Bewusstsein sowohl für die besonderen Bedürfnisse, die Mädchen und Frauen dazu bewegt, Substanzen zu sich zu nehmen, als auch für die pathophysiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Pubertät ist dabei die Phase, in der sich die Geschlechtsunterschiede ausprägen: Als prägende Risikofaktoren ergeben sich für Jungen vermehrt höhere Werte in Impulsivität und Sensation Seeking, welche durch Testosteron vermittelt werden, bei Mädchen sorgen weibliche Geschlechtshormone für eine höhere Vulnerabilität von depressiven sowie ängstlichen Symptomen, die sie mit Substanzen überdecken möchten. Die weiblichen Geschlechtshormone werden auch als ursächlich für den bei Frauen zu beobachtenden telescoping effect gesehen, der bewirkt, dass Frauen eine Abhängigkeit schneller entwickeln und typische Phasen des Drogenkonsums früher sowie in beschleunigter Weise ablaufen. Für die meisten toxischen Effekte der Substanzen sind Frauen auch vulnerabler, d. h. trotz geringeren Konsums treten medizinische Konsequenzen früher und stärker auf. Darüber hinaus haben sich ebenfalls bei der Pharmakotherapie Geschlechtsunterschiede der Wirkung einzelner Medikamente herausgestellt, denen teilweise (wie etwa stärkere Nebenwirkungen bei Frauen) durch eine Anpassung der Dosis an das Geschlecht bzw. wenigstens an das Körpergewicht entgegengewirkt werden kann. Gesellschaftlich wird eine Abhängigkeitserkrankung noch als „männliche“ Störung angesehen (ähnlich wie Depression als „weibliche“ Erkrankung), weshalb viele Frauen es vermeiden, sich in Behandlung zu begeben, aber auch in der Medizin gilt der Abhängigkeitsverlauf bei Männern als Standard, weshalb es vonnöten ist, ein Umdenken anzustimmen. Zustimmen

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In Deutschland sind etwa 31 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen in ihrem Leben mindestens einmal von irgendeiner Substanz abhängig.[1] Dabei gilt für die meisten Substanzen: Männer sind deutlich öfter als Frauen abhängig [2] und konsumieren meist auch eine größere Menge. Eine Ausnahme bildet die Medikamentenabhängigkeit: So ergibt sich zum Beispiel für Schmerzmittel, Schlafmittel und Beruhigungsmittel eine höhere Abhängigkeit für das weibliche Geschlecht. [3] Zudem gibt es Hinweise darauf, dass sich die Häufigkeit verschiedener Abhängigkeiten (insbesondere beim Rauchen) zwischen den Geschlechtern annähert: In jüngeren Generationen sind die Geschlechtsunterschiede am geringsten, in älteren Generationen am höchsten. Damit lässt sich ein kultureller Wandel vermuten, der mit einem erhöhten Substanzkonsum und -missbrauch insbesondere bei Frauen einhergeht.[4]

Obwohl Männer im Vergleich zu Frauen fast alle Drogen mehr und häufiger konsumieren und öfter Substanzgebrauchsstörungen aufweisen, sind es paradoxerweise Frauen, die eine Abhängigkeit schneller entwickeln und typische Phasen des Drogenkonsums (z. B. geringeres Einstiegsalter, früherer Eintritt in die Rehabilitation, kürzere Zeit der Drogenabstinenz) auch früher bzw. schneller durchlaufen.[5] Diese erhöhte Empfänglichkeit wird damit erklärt, dass Frauen durch die Aktivität des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen stärker von der positiven, also belohnenden Wirkung von Drogen betroffen sind.[6] Dementsprechend variiert auch die subjektive Wirkung von Drogen bei Frauen je nach Zyklusphase.[7] So steigt das Östrogen in der ersten Zyklusphase (der sogenannten Follikelphase) stark an, womit auch das Verlangen nach der jeweiligen Substanz deutlich zunimmt. Durch den hormonellen Einfluss in der zweiten Zyklusphase (der sogenannten Lutealphase) ist das gesteigerte Verlangen dann wieder gemindert. Auch die langfristige Einnahme der Antibabypille und der damit zusammenhängende Einfluss auf den natürlichen Hormonkreislauf stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Abhängigkeit dar.[8] Bei Jungen sorgt während der Pubertät das männliche Geschlechtshormon Testosteron dafür, dass sie im Durchschnitt impulsiver und interessierter an Aufregung versprechenden Tätigkeiten werden als Personen weiblichen Geschlechts, was als ein Grund für höhere Abhängigkeitswerte angenommen wird.[9] Es ist jedoch wichtig, den Einfluss von Geschlechtshormonen nicht als isolierten Risikofaktor zu begreifen, sondern stets im Zusammenspiel mit sozialen und anderen biologischen Faktoren zu sehen.[10] [11]

Mit dem Einsetzen der Pubertät überholen Mädchen Jungen hinsichtlich von depressiven oder ängstlichen Beschwerden. [12] [13] Empfindungen jener Art dienen somit insbesondere bei Mädchen und Frauen als Auslöser des Bedrüfnisses, Drogen zu konsumieren, um negative Gefühle zu überdecken. [14] [15] Jungen und Männer geben hingegen öfter Spaß und Lust als Motivation für ihren Konsum an.

Frauen, die ein Abhängigkeitsproblem aufweisen, suchen weniger häufig spezifische Einrichtungen zur Behandlung ihrer Erkrankung auf, sondern begeben sich in Obhut eines Allgemeinmediziners oder einer Allgemeinmedizinerin, was u. a. mit dem sozialen Stigma, Abhängigkeit wäre eine „männliche Störung“, zusammenhängt. [16] Da Frauen in medizinischer Behandlung darüber hinaus häufiger ängstliche und depressive Leiden berichten, erhöht dies wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Diagnose, in welcher die Abhängigkeit womöglich nicht richtig berücksichtigt wird.


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Literatur[Bearbeiten]

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  1. Schmidt, C. O., Watzke, A. B., Schulz, A., Baumeister, S. E., Freyberger, H. J. & Grabe, H. J. (2013) Die Lebenszeitprävalenz psychischer Störungen in Vorpommern. Welchen Einfluss haben frühere psychische Auffälligkeiten auf die Survey-Teilnahme und Prävalenzschätzungen? Ergebnisse der SHIP-Studie. Psychiatrische Praxis, 40, 192–199
  2. Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.
  3. Pabst, A., Kraus, L., De Matos, E. G., & Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321–331.
  4. Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.
  5. Bisagno, V., & Cadet, J. L. (2014). Stress, sex, and addiction: potential roles of corticotropinreleasingfactor, oxytocin, and arginine-vasopressin. Behavioural Pharmacology, 25(5-6), 445–457.
  6. Gillies, G. E., Virdee, K., McArthur, S., & Dalley, J. W. (2014). Sex-dependent diversity in ventral tegmental dopaminergic neurons and developmental programing: A molecular, cellular and behavioral analysis. Neuroscience, 282, 69–85.
  7. Becker, J. B., & Hu, M. (2008). Sex differences in drug abuse. Frontiers in Neuroendocrinology, 29(1), 36–47.
  8. Lenz, B., Müller, C. P., Stoessel, C., Sperling, W., Biermann, T., Hillemacher, T., … Kornhuber, J. (2012). Sex hormone activity in alcohol addiction: Integrating organizational and activational effects. Progress in Neurobiology, 96(1), 136–163.
  9. Shulman, E. P., Harden, K. P., Chein, J. M., & Steinberg, L. (2015). Sex differences in the developmental trajectories of impulse control and sensation-seeking from early adolescence to early adulthood. Journal of Youth and Adolescence, 44(1), 1–17.
  10. Lenz, B., Müller, C. P., Stoessel, C., Sperling, W., Biermann, T., Hillemacher, T., … Kornhuber, J. (2012). Sex hormone activity in alcohol addiction: Integrating organizational and activational effects. Progress in Neurobiology, 96(1), 136–163.
  11. Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in
    substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042.
  12. Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78
  13. Latimer, W. W., Stone, A. L., Voight, A., Winters, K. C., & August, G. J. (2002). Gender differences in psychiatric comorbidity among adolescents with substance use disorders. Experimental and Clinical Psychopharmacology, 10(3), 310–315.
  14. Agabio, R., Campesi, I., Pisanu, C., Gessa, G. L., & Franconi, F. (2016). Sex differences in substance use disorders: focus on side effects. Addiction Biology, 21(5), 1030–1042
  15. Kuhn, C. (2015). Emergence of sex differences in the development of substance use and abuse during adolescence. Pharmacology & Therapeutics, 153, 55–78.
  16. Becker, J. B., McClellan, M., & Reed, B. G. (2016). Sociocultural context for sex differences in addiction. Addiction Biology, 21(5), 1052–1059.

Anfälligkeit eines Menschen, an bestimmen (meist psychischen) Krankheiten zu erkranken. Bergriff wird i. d. R. in der Psychologie bzw. Psychiatrie verwendet. In anderen medizinischen Fachgebieten spricht man von Prädisposition.

Beschreibt den beschleunigten Verlauf vom Initialkonsum einer Substanz über das Einsetzen der Abhängigkeit bis zur ersten Behandlung bei Frauen im Vergleich zu Männern. Ursächlich scheinen verschiedene biologische, sozioökonomische, psychologische und kulturelle Einflussfaktoren.

Zwanghaftes Bedürfnis bzw. unwiderstehlicher Drang nach einem bestimmten Stimulus (Reiz), z. B. einer chemischen Substanz (Droge).

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.

Die erste Hälfte des Menstruationszyklus (erster bis c. a. vierzehnter Tag), während der die Follikel im Eierstock heranwachsen und vermehrt Östrogene produzieren, wodurch sich die Gebärmutterschleimhaut wieder aufbaut.

(oder Sekretionsphase) Die zweite Phase des weiblichen Zyklus, die unmittelbar auf den Eisprung folgt und mit dem Beginn der nächsten Menstruation endet (c. a. 15. bis 24. Zyklustag).

Zwanghaftes Bedürfnis bzw. unwiderstehlicher Drang nach einem bestimmen Stimulus (Reiz), z. B. einer chemischen Substanz (Droge).

Biologisches Geschlecht