Pharmakologische Grundlagen: Unterschied zwischen den Versionen

(Unterschiede in der Pharmkodynamik)
 
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|Zusammenfassung=Häufig gebrauchte Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Die individuelle Ansprechbarkeit hängt von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren ab. Bioverfügbarkeit, Verteilung, Metabolisierung und Elimination spielen eine wesentliche Rolle. Relevante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen im Wesentlichen beim Arzneimittelmetabolismus. Die geschlechtsspezifische Variabilität der Funktion einiger CYP450-Enzyme ist Ursache dafür, dass bei gleicher Dosierung eines Medikaments Intensität und Dauer von Wirkungen und Nebenwirkungen sehr unterschiedlich sein können, so wie es für einige Beta-Blocker und Diuretika beschreiben ist. Auch Phase-II-Metabolisierungsreaktionen variieren geschlechtsspezifisch. So scheint die Aktivität glukuronidierender Enzyme bei Frauen geringer zu sein als bei Männern.  Das würde erklären, warum Acetylsalicylsäure bei Frauen etwa 30–40% langsamer metabolisiert wird als bei Männern. Ähnliche Befunde wurden für Paracetamol, Clofibrat und Phenprocoumon erhoben, die alle durch Glukuronidierung ausscheidungsfähig gemacht werden. Unter den methylierenden Enzymen scheint vor allem die Aktivität der Thiopurin S-Methyltransferase bei Frauen geringen zu sein als bei Männern. Dies könnte die Ursache für die höhere Toxizität der Thiopurine Azathioprin und 6-Mercaptopurin bei Patientinnen sein. Im Vergleich zur Pharmakokinetik gibt es weniger Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Pharmakodynamik. Grund dafür ist, dass pharmakodynamische Effekte sehr viel schwerer zu untersuchen sind. Einige Arzneimittel haben allerdings trotz identischer Plasmakonzentrationen geschlechtsspezifische unterschiedliche Wirkungen. Besonders bei psychischen Erkrankungen sind diese Unterschiede von zunehmend großer Bedeutung, da hier die Geschlechtshormone die Ansprechbarkeit der Rezeptoren beeinflussen. Pharmakologische Aspekte sollten zukünftig stärker berücksichtigt werden, sodass sowohl Frauen als auch Männer individuell die bestmögliche Arzneimitteltherapie erhalten.
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==Bedeutung geschlechtsspezifischer Unterschiede für die Pharmakotherapie==
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==Lizenz==
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Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode
  
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von Arzneimitteln sind in der
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==Autoren==
Medizin bekannt, allerdings ist das Interesse gering, Konsequenzen für die Praxis zu
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Julia Schreitmüller
ziehen und sie haben bislang kaum Eingang in die praktische Medizin gefunden.<ref>Klinge I: Gender perspectives in European research. Pharmacological Research 2008; 58: 183–189</ref> <ref>Regitz-Zagrosek V: Therapeutic implications of the gender-specific aspects of cardiovascular disease. Nature Reviews Drug Discovery 2006; 5: 425–438</ref>
 
Da Hormonstatus und psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar eine große Rolle spielen, sind  geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimitteltherapie zu berücksichtigen. Das betrifft v. a. die Frage der richtigen Dosierung, um eine Pharmakotherapie mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu implementieren. Regulationsbehörden fordern deshalb, dass pharmakologische und klinische Studien, insbesondere die Testung neuer Arzneimittel, geschlechtsspezifisch durchgeführt werden. Bisher ist sehr viel mehr über die Pharmakologie von Arzneimitteln bei  Männern als bei Frauen bekannt, da Frauen traditionell in  klinischen Studien unterrepräsentiert sind.<ref>Müllner M, Vamvakas S, Rietschel M, van Zwieten-Boot BJ. Are women appropriately represented and assessed in clinical trials submitted for marketing authorization? A review of the database of the European Medicines Agency. Int J Clin Pharmacol Ther. 2007;45:477-484.</ref>
 
  
'''Frauen reagieren anders auf einige Arzneimittel. Dazu gehören Psychopharmaka, Schmerzmittel und Herz-Kreislauf-Medikamente.'''
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Zuletzt geändert: 2022-04-26 13:24:18
 
 
Verordnungsmengen von Arzneimitteln fallen erwartungsgemäß unterschiedlich nach
 
Alter und Geschlecht aus.<ref>BARMER GEK Arzneimittelreport 2016 Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Band 39. </ref> 30 bis 40 % aller Patienten, die älter als 65 Jahre sind, nehmen mindestens 4 Arzneimittel ein.
 
Arzneimitteltherapie erfolgt also hauptsächlich bei Patienten, die altersbedingt ein überdurchschnittliches Risiko für Nebenwirkungen der Behandlung aufweisen sowie unterdurchschnittlich häufig im Rahmen von Arzneimittelstudien untersucht worden sind. Das bedeutet, dass aus Studien ableitbare Evidenz gerade für die Patienten fehlt, die hauptsächlich mit den Arzneimitteln behandelt werden. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung führen auch zu unterschiedlichen Profilen von Arzneimittelnebenwirkungen (NW). Verschiedene Untersuchungen belegen, dass Frauen häufiger von unerwünschten Arzneimittelwirkungen betroffen sind als Männer.<ref>Martin RM, Biswas PN, Freemantie SN, Pearce GL, Mann RD: Age and sex distribution of suspected adverse drug reactions to newly marketed drugs in general practice in England: analysis of 48 cohort studies. British Journal of Pharmacology 1998; 46: 505–511</ref>
 
 
 
===Psychopharmaka===
 
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung werden bei Psychopharmaka besonders deutlich. Sowohl bei den selektiven Serotoninwiederaufnahme-Hemmern (SSRI) als auch bei den trizyklischen
 
Antidepressiva sind die Unterschiede in den Tagesdosen überdeutlich. Prämenopausale Frauen sprechen besser auf SSRI an als Männer, wohingegen postmenopausal trizyklische Antidepressiva bei beiden Geschlechtern ähnlich gut wirken. Bei Frauen werden aufgrund der unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie Gewichtszunahme und hypotensiver Störungen
 
häufiger Therapieabbrüche beobachtet,<ref>Ebner N, Fischer G. Kapitel 5 Psychiatrie. In: Rieder A, Lohoff B (Hrsg) . Gender Medizin – geschlechtsspezifische Aspekte für die klinische Praxis. Springer-Verlag, Wien New York 2004.</ref> Männer klagen oftmals aufgrund der Einnahme von SSRI über Erektions- und Ejakulationsstörungen.<ref>Clayton A, Keller A, McGarvey EL. Burden of phase specific sexual dysfunction with SSRIs. J Affect Disord 2006;91:27–32.</ref> Bei den Benzodiazepinen oder Nicht-Benzodiazepin-Agonisten (Zolpidem, Zopicolon, Zaleplnon) ergeben sich ähnliche Verteilungen.
 
 
 
===Schmerzmittel===
 
Statische Erhebungen zeigen, dass 85 % der Anwender von Coxiben Frauen sind [Salomon 2008, Dominik 2003]. Auch für ASS sind geschlechtsspezifische Wirkungen bekannt [Ridker 2005]. Zahlreiche Studien belegen, dass Morphin bei Frauen stärker analgetisch wirkt als bei Männern.<ref>Pleym, H.; Spigset, O.; Kharasch, E. D.; Dale, O. (2003): Gender differences in drug effects: implications for anesthesiologists. In: Acta Anaesthesiol Scand 47 (3), S. 241–259. DOI: 10.1034/j.1399-6576.2003.00036.x.</ref> So benötigen Männer etwa 40 % mehr Morphin als Frauen, um einen analgetischen Effekt zu erzielen. Aus diesen Daten wird ersichtlich, dass eine geschlechtsspezifische Dosisanpassung des Morphins, d. h. eine reduzierte Dosis bei Frauen ein Schritt in der geschlechtsspezifischen Pharmakotherapie sein könnte. Eine Dosisreduktion ist auch deshalb sinnvoll und notwendig, da Frauen bei gleicher Morphindosis stärker an Nebenwirkungen wie Atemdepression, Übelkeit und Erbrechen leiden als Männer.
 
 
 
===Herz-Kreislauf-Mittel===
 
In der Arzneimitteltherapie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind inzwischen ebenfalls
 
viele geschlechtsspezifische Unterschiede bekannt.<ref>Regitz-Zagrosek V, Schubert C, Krüger S: Sex differences in cardiovascular drug targeting. Internist 2008;49: 1383–1386.</ref> <ref>Simpson M, McNulty J: Different needs: Women’s drug use and treatment in the UK International Journal of Drug Policy 2008;19:169–175.</ref> <ref>Thürmann P. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und-dynamik von Arzneimitteln. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforsch- Gesundheitsschutz 5 .2005 48:536–540.</ref> So hat eine Metaanalyse gezeigt, dass sich das Risiko für einen Herzinfarkt durch die medikamentöse Prophylaxe mit ASS bei Männern zwar um 23 % senken lässt, bei Frauen jedoch nur um statistisch nicht signifikante 5 %. Hinsichtlich des Schlaganfalls ergibt sich die umgekehrte Situation. Hier profitieren Frauen von einer signifikanten Risikoreduktion durch einen Thrombozytenaggregations-Hemmer, Männer dagegen nicht. Diese Ergebnisse haben in den USA bereits teilweise Eingang in die Leitlinien gefunden. So wird ASS bei Frauen zur  Primärprävention des Schlaganfalls, bei Männern zur Primärprävention des Myokardinfarkts empfohlen. Eine Übersicht über die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der antithrombotischen Therapie gibt Tab. 1. Bereits seit 2002 war durch eine retrospektive Analyse bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine erhöhte Sterblichkeit von Frauen unter Digitalistherapie bekannt.<ref>Rathore SS, Wang Y., Krumholz HM: Sex-based Differences in the Effect of Digoxin for the Treatment of Heart Failure. New England Journal of Medicine 2002;347:1403–1411.</ref> Eine mögliche Erklärung ist eine erhöhte Plasmakonzentration durch eine bei Frauen niedrigere glomeruläre Filtrationsrate. Die Nebenwirkungen einiger Herz-Kreislauf-Medikamente, wie z. B. ACE-Hemmer oder β-Blocker sind bei Frauen statistisch häufiger. Durch ACE-Hemmer induzierter Reizhusten oder Herz-Rhythmus-Störungen durch Arzneimittel bedingte Verlängerung des QT-Intervalls treten häufiger bei Frauen auf.<ref>Lehmann MH, Hardy S, Archibald D, Quart B, MacNeil DJ: Sex difference in risk of torsade de pointes with d, l-sotalol. Circulation 1996;94:2535–2541.</ref> Für die geschlechtsspezifischen Unterschiede im QT-Intervall dürften eher Androgene als Östrogene verantwortlich sein, da es bei Männern während und nach der Pubertät zu einer Verkürzung des QT-Intervalls kommt.<ref>Rautaharju PM, Zhou SH, Wong S, Calhoun HP, Berenson GS, Prineas R, Davignon A. Sex differences in the evolution of the electrocardiographic QT interval with age. Can J Cardiol. 1992;8:690-695.</ref>
 
 
 
===Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik===
 
 
 
Warum Frauen auf einige Arzneimittel anders reagieren als Männer und im Allgemeinen
 
häufiger unerwünschte Arzneimittelwirkungen erleiden, lassen sich durch pharmakodynamische und v. a. unterschiedliche pharmakokinetische Faktoren teilweise erklären.<ref>Harris RZ, Benet LZ, Schwartz JB. Gender effects in pharmacokinetics and pharmacodynamics. Drugs. 1995;50:222-239.</ref> <ref>Tanaka E. Gender-related differences in pharmacokinetics and their clinical significance. J Clin Pharm Ther. 1999;24:339-346.</ref><ref>Schwartz JB. The influence of sex on pharmacokinetics. Clin Pharmacokinet. 2003;42:107-121.</ref> <ref>Gandhi M, Aweeka F, Greenblatt RM, Blaschke TF. Sex differences in pharmacokinetics and pharmacodynamics. Annu Rev Pharmacol Toxicol. 2004;44:499-523.</ref> Die Bioverfügbarkeit des Arzneimittels, seine Verteilung, die Metabolisierung und Elimination spielen eine wesentliche Rolle. Bioäquivalenzstudien, in denen sich für zahlreiche Medikamente geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik fanden, unterstützen die Bedeutung der Geschlechtsspezifität.<ref>Chen ML, Lee SC, Ng MJ, Schuirmann DJ, Lesko LJ, Williams RL. Pharmacokinetic analysis of bioequivalence trials: implications for sex-related issues in clinical pharmacology and biopharmaceutics. Clin Pharmacol Ther. 2000;68:510-521.</ref>
 
 
 
===Unterschiede in der Bioverfügbarkeit===
 
Die Bioverfügbarkeit  eines Arzneimittels wird durch die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Resorption in den Blutkreiskauf bestimmt. Sie erfolgt bei den meisten Arzneimittel im Darm, wobei ein aktiver Rücktransport in das Darmlumen den systemisch verfügbaren Anteil verringert. Magensäuresekretion oder Magenentleerungszeit sowie gastrointestinale Durchblutung und Größe der intestinalen Resorptionsfläche sind Faktoren, die geschlechtsspezifisch variieren. Auch die Ernährungsgewohnheiten von Männer und Frauen unterscheiden sich, was mögliche Auswirkungen auf die Aufnahme von Arzneimitteln haben kann. Allerdings wurden bisher keine Unterschiede weder in der Magensäuresekretion oder in der gastralen und intestinalen Sekretion zwischen den Geschlechtern gefunden.<ref>Dressman JB, Berardi RR, Dermentzoglou LC, Russell TL, Schmaltz SP, Barnett JL, Jarvenpaa KM. Upper gastrointestinal (GI) pH in young, healthy men and women. Pharm Res. 1990;7:756-761.</ref> <ref>Lindahl A, Ungell AL, Knutson L, Lennernäs H. Characterization of fluids from the stomach and proximal jejunum in men and women. Pharm Res. 1997;14:497-502</ref> Ob es auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beeinflussung der gastrointestinalen Motilität gibt, ist bisher nicht geklärt. Während im Tierexperiment keine geschlechtsspezifischen  Unterschiede gefunden wurden <ref>Voß U, Leverenz A, Nieber K. Treatment of Irritabel Bowel Syndrom: Sex and Gender specific acpects. In: Sex and Gender Differences in Pharmacology. Regitz-Zagrosek (Hg.) Handbook of Experimental Pharmacology 214. Springer Heidelberg New York Dordrecht London 2012.</ref> weisen beim Menschen die Befunde auf einen direkten Einfluss der Geschlechtshormone hin. Einige  Befunde sprechen dafür, dass Frauen eine verzögerte Magenentleerung für Flüssigkeiten und eine verlangsamte Darmpassage haben.<ref>Sadik R, Abrahamsson H, Stotzer PO. Gender differences in gut transit shown with a newly developed radiological procedure. Scand J Gastroenterol. 2003;38:36-42.</ref> Bekannt sind auch Unterschiede in der Enzymausstattung. So haben Männer eine deutlich höhere Aktivität der gastralen Alkoholdehydrogenase als Frauen, woraus die deutlich höhere Bioverfügbarkeit von Alkohol bei Frauen resultiert.<ref>Gandhi M, Aweeka F, Greenblatt RM, Blaschke TF. Sex differences in pharmacokinetics and pharmacodynamics. Annu Rev Pharmacol Toxicol. 2004;44:499-523.</ref> Obwohl es geschlechtsspezifische physiologische Unterschiede gibt, scheint es bei der Resorption von Arzneimitteln durch die Haut und in der Lunge keine klinisch signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede zu geben.<ref>Dias VC, Tendler B, Oparil S, Reilly PA, Snarr P, White WB. Clinical experience with transdermal clonidine in African-American and Hispanic-American patients with hypertension: evaluation from a 12-week prospective, open-label clinical trial in community-based clinics. Am J Ther. 1999;6:19-24.</ref> <ref>Donovan MD. Sex and racial differences in pharmacological response: effect of route of administration and drug delivery system on pharmacokinetics. J Womens Health (Larchmt). 2005;14:30-37.</ref>
 
 
 
===Unterschiede in der Verteilung von Arzneistoffen===
 
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Verteilung von Arzneistoffen beruhen auf
 
Unterschieden in der Körpergröße, in der Muskelmasse, im Fett- und Wassergehalt.
 
Frauen haben einen deutlich höheren Fettanteil als Männer, während der männliche
 
Körper mehr Muskelgewebe und mehr Wasser aufweist. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Verteilung.<ref>Thürmann P. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und-dynamik von Arzneimitteln. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforsch- Gesundheitsschutz 5 .2005 48:536–540.</ref> Lipophile Arzneimittel verbleiben bei gleicher Dosierung bei Frauen länger im Fettgewebe als bei Männern. Da sie erst aus
 
dem Fettgewebe mobilisiert werden müssen, werden sie zeitverzögert abgebaut.
 
Wirkungen und Nebenwirkungen halten länger an. Bei hydrophilen Arzneistoffen ist
 
es gerade umgekehrt: Die Plasmakonzentration von wasserlöslichen Substanzen ist bei
 
Männern niedriger als bei Frauen. Typische Beispiele für ein größeres Verteilungsvolumen und eine verlängerte Eliminationshalbwertzeit sind die lipophilen Pharmaka Diazepam und Midazolam. Sie wirken bei Frauen länger. Solche geschlechtsabhängigen Unterschiede wurden auch für Muskelrelaxanzien beschrieben.
 
Werden sie nach Körpergewicht dosiert, kann man bei gleicher Dosierung eine signifikant tiefere Muskelblockade und längere Wirkdauer beobachten.
 
 
 
===Unterschiede in der Plasmaeiweißbindung===
 
Es liegen ebenfalls Hinweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Plasmaeiweißbindung von Arzneimitteln vor. Bei Frauen ist die Bindung mancher Arzneimitmittel an das  α-saure-Glykoprotein etwas stärker. Die klinische Relevanz dieser Unterschiede ist bisher allerdings nicht belegt. Es müssen sicher mehrere Effekte zusammenkommen, bis ein geschlechtsspezifischer Unterschied tatsächlich klinisch relevant wird.
 
 
 
===Unterschiede im Arzneimittelmetabolismus===
 
Relevante geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen im Wesentlichen beim
 
Arzneimittelmetabolismus. Die wichtigsten Phase-I-Enzyme für den Abbau von Arzneimitteln beim Menschen gehören zur Familie der Cytochrom-P450-Enzyme (CYP450). Die Variabilität der Funktion dieser CYP450-Enzyme ist eine Ursache dafür, dass bei gleicher Dosierung eines Medikaments Intensität und Dauer von Wirkungen und Nebenwirkungen sehr unterschiedlich sein können. Für mehrere dieser Enzyme sind geschlechtsspezifische Unterschiede beschrieben worden.<ref>Wolbold R, Klein K, Burk O, Nüssler AK, Neuhaus P, Eichelbaum M, Schwab M, Zanger UM. Sex is a major determinant of CYP3A4 expression in human liver. Hepatology. 2003;38:978-988.</ref> Bei Frauen ist die mRNA-Konzentration von CYP3A4 und die tatsächliche Proteinkonzentration in der Leber durchschnittlich um den Faktor 2 höher als bei Männern. Die vermehrte Enzymexpression korreliert mit einer etwa 50 % höheren In-vitro Metabolisierungsrate von Verapamil, dessen N-Dealkylierung über CYP3A4 erfolgt. Entsprechend wird bei Frauen eine erhöhte In vivo-Clearance für Verapamil im Vergleich zu Männern gefunden.<ref>Krecic-Shepard ME, Barnas CR, Slimko J et al. Gender-specific effects on verapamil pharmacokinetics and pharmacodynamics in humans. J Clin Pharmacol 2000; 40:219–230.</ref> Gleiches gilt für Nifedipin <ref>Krecic-Shepard ME, Park K, Barnas C et al. Race and sex influence clearance of nifedipine: results of a population study. Clin Pharm Ther 2000;68:130–142.</ref>  und Methylprednisolon, <ref>Thürmann PA, Hompesch BC (1998) Influence of gender on the pharmacokinetics and pharmacodynamics of drugs. Int J Clin Pharmacol Ther 36:
 
586–590</ref> die ebenfalls CYP3A4-Substrate sind. Die β-Blocker Metoprolol Carvidolol oder Nebivolol werden
 
überwiegend über CYP2D6 abgebaut. Frauen haben nach einer standardisierten
 
Tagesdosis höhere maximale Plasmakonzentrationen als Männer.<ref>Luzier AB, Killian A, Wilton JH et al. Gender-related effects on metoprolol pharmacokinetics and pharmacodynamicsin healthy volunteers. Clin Pharm Ther 1999;66:594–601.</ref> Da die Konzentrations-Wirkungs-Beziehung zwischen Plasmakonzentration und Senkung
 
der Herzfrequenz bei Männern und Frauen gleich ist, treten bei Frauen bei gleicher
 
Dosierung deutlich stärkere Nebenwirkungen auf. Dies ist besonders bedeutungsvoll,
 
da die Plasmakonzentrationen durch orale Kontrazeptiva nochmals erhöht werden.
 
Obwohl β-Blocker eine große therapeutische Breite haben und die Therapie in der Regel mit einer niedrigen Dosis beginnt, die je nach Wirkung und Verträglichkeit gesteigert wird, sind die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern.
 
Bei β-Blockern mit CYP2D6 unabhängiger Metabolisierung wie Sotalol,
 
Bisoprolol oder Atenolol bestehen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in den
 
Plasmakonzentrationen und den Nebenwirkungen, sodass sie für Frauen besser geeignet sein könnten.
 
Auch Phase-II-Metabolisierungsreaktionen variieren geschlechtsspezifisch. So
 
scheint die Aktivität glukuronidierender Enzyme bei Frauen geringer zu sein als bei
 
Männern [Anderson 2005]. Das würde erklären, warum ASS bei Frauen etwa 30–40 %
 
langsamer metabolisiert wird als bei Männern. Ähnliche Befunde wurden auch für Paracetamol, Clofibrat und Phenprocoumon erhoben, die alle durch Glukuronidierung
 
ausscheidungsfähig gemacht werden.<ref>Miners JO, Attwood J, Birkett DJ. Influence of sex and oral contraceptive steroids on paracetamol metabolism. Br J Clin Pharmacol 1983;16:503–509.</ref> <ref>Mönig H, Baese C, Heidemann HT et al. Effect of oral contraceptive steroids on the pharmacokinetics of phenprocoumon. Br J Clin Pharmacol 1990;30:115–118. </ref> <ref>Thürmann PA, Hompesch BC. Influence of gender on the pharmacokinetics and pharmacodynamics of drugs. Int J Clin Pharmacol Ther 1998;36:586–590.</ref>
 
Unter den methylierenden Enzymen scheint v. a. die Aktivität der Thiopurin-S-Methyltransferase bei Frauen geringer zu sein als bei Männern. Dies könnte die Ursache für die höhere Knochenmarkstoxizität der Thiopurine Azathioprin und 6-Mercaptopurin
 
bei Patientinnen sein.<ref>Schwartz JB. Gender-specific implications for cardiovascular medication use in the elderly optimizing therapy for older women. Cardiol Rev. 2003;11:275-298.</ref>
 
 
 
===Unterschiede in der Pharmkodynamik===
 
Im Vergleich zur Pharmakokinetik gibt es weniger Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Pharmakodynamik. Grund dafür ist, dass pharmakodynamische Effekte sehr viel schwerer zu untersuchen sind. Einige Arzneimittel haben allerdings trotz identischer Plasmakonzentration
 
geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirkungen. Als Ursache werden genetisch bedingte Unterschiede bei der Anzahl und Lokalisation von Bindungsstellen für Arzneimittel (Rezeptoren, Transporter, Ionenkanäle) vermutet. Das trifft z. B. für Opioide zu. <ref>Kest B, Sarton E, Dahan A. Gender differences in opioid-mediated analgesia: animal and human studies. Anesthesiology. 2000;93:539-547.</ref> Experimentelle Studien zeigten, dass das Bindungspotenzial an den Opioidrezeptor für Morphin, Fentanyl, Alfentanil und Remifentanil
 
bei Frauen signifikant höher ist als bei Männern.<ref>Pleym, H.; Spigset, O.; Kharasch, E. D.; Dale, O. (2003): Gender differences in drug effects: implications for anesthesiologists. In: Acta Anaesthesiol Scand 47 (3), S. 241–259. DOI: 10.1034/j.1399-6576.2003.00036.x.</ref> Die bessere Ansprechbarkeit von SSRI bei prämenopausalen Frauen ist ein Hinweis, das Östrogene die Serotoninrezeptoren beeinflussen.<ref>Vermeiden, M.; van den Broek, W W; Mulder, P G H; Birkenhäger, T. K. (2010): Influence of gender and menopausal status on antidepressant treatment response in depressed inpatients. In: Journal of psychopharmacology (Oxford, England) 24 (4), S. 497–502. DOI: 10.1177/0269881109105137</ref>
 
Neue experimentelle Ergebnisse deuten weiterhin darauf hin, dass auch der Natriumtransport in Epithelzellen der Atemwege geschlechtsspezifische Unterschiede zeigt und dass auch hier die Östrogene modulierend wirken. Dies hätte Auswirkungen auf die Therapie von Atemwegserkrankungen.<ref>Kaltofen, Till; Haase, Melanie; Thome, Ulrich H.; Laube, Mandy (2015): Male Sex is Associated with a Reduced Alveolar Epithelial Sodium Transport. In: PloS one 10 (8), S. e0136178. DOI: 10.1371/journal.pone.0136178.</ref> <ref>Laube, Mandy; Stolzing, Alexandra; Thome, Ulrich H.; Fabian, Claire (2016): Therapeutic potential of mesenchymal stem cells for pulmonary complications associated with preterm birth. In: The international journal of biochemistry & cell biology 74, S. 18–32. DOI: 10.1016/j.biocel.2016.02.023.</ref>
 
Diese geschlechtsspezifischen pharmakodynamischen Unterschiede von unterstreichen die Bedeutung einer differenzierten Dosierung.
 
 
 
===Genderspezifische Fortschritte in der Arzneimitteltherapie===
 
Zolpidem gehört zu den am häufigsten verordneten Schlafmitteln. Frauen scheinen den Wirkstoff deutlich langsamer abzubauen als Männer. Zwar treten auch bei Männern Plasmakonzentrationen auf, bei denen mit eingeschränktem Reaktionsvermögen
 
zu rechnen ist, aber deutlich seltener als bei Frauen. Das ergab eine von der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) durchgeführte Untersuchung. Daher hat die FDA die zugelassene Dosis für Frauen bei schnell freisetzendem Zolpidem von 10 auf 5 mg reduziert. Ein weiteres Beispiel ist der in den USA nur bei Frauen, die unter einem schweren Reizdarmsyndrom mit Durchfall leiden, zugelassene 4-HT3-Antagonist Alosetron. Er wirkte in klinischen Studien bei Frauen, jedoch nicht bei Männern, was auf eine unterschiedliche Rezeptorausstattung deutet [Lievre 2002, Medication Guide 2010]. Neue Studien zeigen mittlerweile, dass das Medikament wohl auch für Männer geeignet ist, dann aber höher dosiert werden muss Auch in Deutschland gibt es ein Beispiel, wo geschlechtsspezifisch unterschiedliche Dosierungen vorgeschlagen werden. Minoxidil, welches v. a. durch den Medikamentennamen Regaine® bekannt ist, ist ein
 
Wirkstoff, der sich bei der Behandlung des erblich bedingten Haarausfalls bewährt hat.
 
Da diese Art des Haarverlusts genetisch bedingt ist, können die Ursachen selbst nicht
 
behandelt werden, jedoch kann dem Fortschreiten des Haarausfalls entgegen gewirkt
 
werden. Bei Männern empfiehlt sich die Behandlung mit einer 5 %igen Minoxidil-Konzentration, für Frauen gibt es die 2 %ige Minoxidil-Lösung.
 
 
 
== Ausblick ==
 
Häufig gebrauchte Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Deshalb sind nicht nur epidemiologische Untersuchungen zur Geschlechterverteilung von Krankheiten notwendig, sondern v. a. auch Studien, die pharmakokinetische und pharmakodynamische Aspekte oder das Ansprechen einer Therapie berücksichtigen.
 
 
 
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">
 
Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
 
<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div>
 
</div>
 
 
 
== Lehrmaterialien ==
 
=== Fallstudien ===
 
=== Dias ===
 
* [https://gendermedwiki.gecko.hs-heilbronn.de/mediawiki/images/9/9f/Folienmaster_Gendermed_Nieber.pdf Foliensatz Pharmakologische Grundlagen (Autorin: Prof. Dr. Karen Nieber) ]
 
 
 
=== Videos ===
 

Aktuelle Version vom 26. April 2022, 12:24 Uhr

Zusammenfassung Häufig gebrauchte Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich. Die individuelle Ansprechbarkeit hängt von pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren ab. Bioverfügbarkeit, Verteilung, Metabolisierung und Elimination spielen eine wesentliche Rolle. Relevante geschlechtsabhängige Unterschiede bestehen im Wesentlichen beim Arzneimittelmetabolismus.Pharmakologische Aspekte sollten zukünftig stärker berücksichtigt werden, sodass sowohl Frauen als auch Männer individuell die bestmögliche Arzneimitteltherapie erhalten.

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Lizenz[Bearbeiten]

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren[Bearbeiten]

Julia Schreitmüller

Zuletzt geändert: 2022-04-26 13:24:18

Eine Messgröße dafür, wie schnell und in welchem Umfang ein Arzneimittel resorbiert wird und am Wirkort zur Verfügung steht.