Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität/Einführungsartikel: Unterschied zwischen den Versionen

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Die deutlich höhere Selbstmordrate bei geringerer Selbstmordversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als ''Gender Paradox'' diskutiert.<ref>Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.</ref> Paradox erscheint dabei besonders, dass der Selbstmordversuch als stärkster Vorhersagewert für zukünftige Selbstmorde gilt und Frauen demnach eine höhere Selbstmordrate als Männer aufweisen müssten.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit.</ref> Eine Erklärung für dieses Paradox ist  sicherlich in sozialen Geschlechterstereotypien zu finden. Mit der sozial geprägten Geschlechterrolle ist ein Selbstmord bei Männern deutlich leichter vereinbar als ein "missglückter Selbstmord" im Sinne eines Selbstmordversuches.<ref>Payne Sarah, Swami Viren, and Stanistreet Debbi L.. Journal of Men's Health. November 2013, 5(1): 23-35. doi:10.1016/j.jomh.2007.11.002.</ref> <ref>Scourfield, J., & Evans, R. (2015). Why Might Men Be More at Risk of Suicide After a Relationship Breakdown? Sociological Insights. American journal of men's health, 9(5), 380-384.doi:10.1177/1557988314546395</ref> Zusätzlich wählen Männer durchschnittlich härtere Selbstmordmethoden, die wahrscheinlicher auch zum Tod führen.<ref>Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.</ref>  Auch zeigen psychisch erkrankte Männer ein deutlich geringeres Hilfesuchverhalten als erkrankte Frauen, verbalisieren ihr Leiden seltener und besitzen allgemein eine niedrigere Behandlungsbereitschaft.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref> Notwendig ist also ein Umdenken männlicher Geschlechterrollen, um die Akzeptanz psychischer Krankheiten bei Männern zu fördern, das Hilfesuchverhalten zu erhöhen und letztlich dem Selbstmord präventiv begegnen zu können.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.</ref>
 
Die deutlich höhere Selbstmordrate bei geringerer Selbstmordversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als ''Gender Paradox'' diskutiert.<ref>Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.</ref> Paradox erscheint dabei besonders, dass der Selbstmordversuch als stärkster Vorhersagewert für zukünftige Selbstmorde gilt und Frauen demnach eine höhere Selbstmordrate als Männer aufweisen müssten.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit.</ref> Eine Erklärung für dieses Paradox ist  sicherlich in sozialen Geschlechterstereotypien zu finden. Mit der sozial geprägten Geschlechterrolle ist ein Selbstmord bei Männern deutlich leichter vereinbar als ein "missglückter Selbstmord" im Sinne eines Selbstmordversuches.<ref>Payne Sarah, Swami Viren, and Stanistreet Debbi L.. Journal of Men's Health. November 2013, 5(1): 23-35. doi:10.1016/j.jomh.2007.11.002.</ref> <ref>Scourfield, J., & Evans, R. (2015). Why Might Men Be More at Risk of Suicide After a Relationship Breakdown? Sociological Insights. American journal of men's health, 9(5), 380-384.doi:10.1177/1557988314546395</ref> Zusätzlich wählen Männer durchschnittlich härtere Selbstmordmethoden, die wahrscheinlicher auch zum Tod führen.<ref>Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.</ref>  Auch zeigen psychisch erkrankte Männer ein deutlich geringeres Hilfesuchverhalten als erkrankte Frauen, verbalisieren ihr Leiden seltener und besitzen allgemein eine niedrigere Behandlungsbereitschaft.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref> Notwendig ist also ein Umdenken männlicher Geschlechterrollen, um die Akzeptanz psychischer Krankheiten bei Männern zu fördern, das Hilfesuchverhalten zu erhöhen und letztlich dem Selbstmord präventiv begegnen zu können.<ref>Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.</ref>
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Version vom 9. November 2016, 14:03 Uhr


Geschlechterunterschiede in der Häufigkeit von Selbstmorden (Suiziden) sind weltweit gesichert: So begehen Männer bis zu drei Mal häufiger Selbstmord als Frauen. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Selbstmordrate mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während sich ungefähr 15 Prozent der Frauen zwischen 85 und 90 Jahren suizidieren, sind es bei Männern der gleichen Altersgruppe sogar über 70 Prozent.[1] Ursachen liegen oft in der sozialen und emotionalen Vereinsamung. Selbstmordversuche werden dagegen eher bei jüngeren Menschen beobachtet. Das Geschlechterverhältnis ist hier umgekehrt: Betroffen sind häufiger jüngere Frauen als jüngere Männer.[2]

Der größte Risikofaktor für Selbstmord ist eine psychische Erkrankung. Vor allem Depression, aber auch schizophrene oder Suchterkrankungen erhöhen das Risiko eines Selbstmordes enorm. Dabei werden 90 Prozent aller Selbstmorde mit einer psychischen Erkrankung assoziiert, meist mit einer Depression (bis zu 70 Prozent).[3] Obwohl Depressionen bei Frauen ungefähr doppelt so häufig diagnostiziert werden wie bei Männern, liegt der Anteil derjenigen Männer die infolge einer Depression Selbstmord begangen haben mit 60 bis 70 Prozent deutlich über dem Anteil an Frauen. Man kann davon ausgehen, dass Depression bei Männern mit einem höheren Selbstmordrisiko einhergeht als dies bei Frauen der Fall ist.[4]

Die deutlich höhere Selbstmordrate bei geringerer Selbstmordversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als Gender Paradox diskutiert.[5] Paradox erscheint dabei besonders, dass der Selbstmordversuch als stärkster Vorhersagewert für zukünftige Selbstmorde gilt und Frauen demnach eine höhere Selbstmordrate als Männer aufweisen müssten.[6] Eine Erklärung für dieses Paradox ist sicherlich in sozialen Geschlechterstereotypien zu finden. Mit der sozial geprägten Geschlechterrolle ist ein Selbstmord bei Männern deutlich leichter vereinbar als ein "missglückter Selbstmord" im Sinne eines Selbstmordversuches.[7] [8] Zusätzlich wählen Männer durchschnittlich härtere Selbstmordmethoden, die wahrscheinlicher auch zum Tod führen.[9] Auch zeigen psychisch erkrankte Männer ein deutlich geringeres Hilfesuchverhalten als erkrankte Frauen, verbalisieren ihr Leiden seltener und besitzen allgemein eine niedrigere Behandlungsbereitschaft.[10] Notwendig ist also ein Umdenken männlicher Geschlechterrollen, um die Akzeptanz psychischer Krankheiten bei Männern zu fördern, das Hilfesuchverhalten zu erhöhen und letztlich dem Selbstmord präventiv begegnen zu können.[11]

Literatur[Bearbeiten]

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  1. NASPRO. (2012). Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland. Suizide in Deutschland 2012: Suizidzahlen und -raten 1990-2012 in Deutschland.
  2. Weissman, M. M., Bland, R. C., Canino, G. J., Greenwald, S., Hwu, H. G., Joyce, P. R., . . . Yeh, E. K. (1999). Prevalence of suicide ideation and suicide attempts in nine countries. Psychological medicine, 29(1), 9–17.
  3. Wahlbeck K. & Mäkinen M. (Eds). (2008). Prevention of depression and suicide. Consensus paper. Luxembourg: European Communities.
  4. Schaller, E. & Wolfersdorf, M. (2009). Depression and suicide. Suicidal Behaviour: Assessment & Diagnosis. Sage Publications, New Delhi.
  5. Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.
  6. Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit.
  7. Payne Sarah, Swami Viren, and Stanistreet Debbi L.. Journal of Men's Health. November 2013, 5(1): 23-35. doi:10.1016/j.jomh.2007.11.002.
  8. Scourfield, J., & Evans, R. (2015). Why Might Men Be More at Risk of Suicide After a Relationship Breakdown? Sociological Insights. American journal of men's health, 9(5), 380-384.doi:10.1177/1557988314546395
  9. Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.
  10. Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050
  11. Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.