Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität: Unterschied zwischen den Versionen

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Geschlechterunterschiede in der Häufigkeit von Selbstmorden (Suiziden) sind weltweit gesichert: So begehen Männer bis zu drei Mal häufiger Selbstmord als Frauen. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Selbstmordrate mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während sich ungefähr 15 Prozent der Frauen zwischen 85 und 90 Jahren suizidieren, sind es bei Männern der gleichen Altersgruppe sogar über 70 Prozent.<ref>NASPRO. (2012). Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland. Suizide in Deutschland 2012: Suizidzahlen und -raten 1990-2012 in Deutschland.</ref> Ursachen liegen oft  in der sozialen und emotionalen Vereinsamung.  Selbstmordversuche werden dagegen eher bei jüngeren Menschen beobachtet. Das Geschlechterverhältnis ist hier umgekehrt: Betroffen sind häufig jüngere Frauen.<ref>Weissman, M. M., Bland, R. C., Canino, G. J., Greenwald, S., Hwu, H. G., Joyce, P. R., . . . Yeh, E. K. (1999). Prevalence of suicide ideation and suicide attempts in nine countries. Psychological medicine, 29(1), 9–17.</ref>
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Geschlechterunterschiede in der Häufigkeit von Selbstmorden (Suiziden) sind weltweit gesichert: So begehen Männer bis zu drei Mal häufiger Selbstmord als Frauen. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Selbstmordrate mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während sich ungefähr 15 Prozent der Frauen zwischen 85 und 90 Jahren suizidieren, sind es bei Männern der gleichen Altersgruppe sogar über 70 Prozent.<ref>NASPRO. (2012). Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland. Suizide in Deutschland 2012: Suizidzahlen und -raten 1990-2012 in Deutschland.</ref> Ursachen liegen oft  in der sozialen und emotionalen Vereinsamung.  Selbstmordversuche werden dagegen eher bei jüngeren Menschen beobachtet. Das Geschlechterverhältnis ist hier umgekehrt: Betroffen sind häufiger jüngere Frauen als jüngere Männer.<ref>Weissman, M. M., Bland, R. C., Canino, G. J., Greenwald, S., Hwu, H. G., Joyce, P. R., . . . Yeh, E. K. (1999). Prevalence of suicide ideation and suicide attempts in nine countries. Psychological medicine, 29(1), 9–17.</ref>
  
 
Der größte Risikofaktor für Selbstmord ist eine psychische Erkrankung. Vor allem [[Depression]], aber auch [[Schizophrenie | schizophrene]] oder Suchterkrankungen erhöhen das Risiko eines Selbstmordes enorm. Dabei werden 90 Prozent aller Suizide mit einer psychischen Erkrankung assoziiert, meist mit einer Depression (bis 70 Prozent).<ref>Wahlbeck K. & Mäkinen M. (Eds). (2008). Prevention of depression and suicide. Consensus paper. Luxembourg: European Communities.</ref>  Obwohl [[Depression | Depressionen]] bei Frauen ungefähr doppelt so häufig diagnostiziert werden wie bei Männern, liegt der Anteil derjenigen Männer die infolge einer [[Depression]] Selbstmord begangen haben mit 60 bis 70 Prozent deutlich über dem Anteil an Frauen. Man kann davon ausgehen, dass [[Depression]] bei Männern mit einem höheren Selbstmordrisiko einhergeht als dies bei Frauen der Fall ist.<ref>Schaller, E. & Wolfersdorf, M. (2009). Depression and suicide. Suicidal Behaviour: Assessment & Diagnosis. Sage Publications, New Delhi.</ref> Grund dafür scheint unter anderen zu sein, dass psychisch erkrankte Männer deutlich geringeres Hilfesuchverhalten zeigen, ihr Leiden seltener verbalisieren und allgemein eine niedrigere Behandlungsbereitschaft besitzen.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref>
 
Der größte Risikofaktor für Selbstmord ist eine psychische Erkrankung. Vor allem [[Depression]], aber auch [[Schizophrenie | schizophrene]] oder Suchterkrankungen erhöhen das Risiko eines Selbstmordes enorm. Dabei werden 90 Prozent aller Suizide mit einer psychischen Erkrankung assoziiert, meist mit einer Depression (bis 70 Prozent).<ref>Wahlbeck K. & Mäkinen M. (Eds). (2008). Prevention of depression and suicide. Consensus paper. Luxembourg: European Communities.</ref>  Obwohl [[Depression | Depressionen]] bei Frauen ungefähr doppelt so häufig diagnostiziert werden wie bei Männern, liegt der Anteil derjenigen Männer die infolge einer [[Depression]] Selbstmord begangen haben mit 60 bis 70 Prozent deutlich über dem Anteil an Frauen. Man kann davon ausgehen, dass [[Depression]] bei Männern mit einem höheren Selbstmordrisiko einhergeht als dies bei Frauen der Fall ist.<ref>Schaller, E. & Wolfersdorf, M. (2009). Depression and suicide. Suicidal Behaviour: Assessment & Diagnosis. Sage Publications, New Delhi.</ref> Grund dafür scheint unter anderen zu sein, dass psychisch erkrankte Männer deutlich geringeres Hilfesuchverhalten zeigen, ihr Leiden seltener verbalisieren und allgemein eine niedrigere Behandlungsbereitschaft besitzen.<ref>Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050</ref>

Version vom 7. November 2016, 13:14 Uhr

Fächer Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologie und Soziologie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Zusammenfassung Männer suizidieren sich dreimal so häufig wie Frauen, wobei Frauen öfter einen Suizidversuch begehen. Während Frauen eher parasuizidales Verhalten zeigen, wählen Männer meist aggressivere Methoden. Dabei erfolgen 70 Prozent aller Suizide im Rahmen einer depressiven Erkrankung.[1] Die erhöhte Suizidrate bei geringerer Suizidversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als Gender Paradox diskutiert.[2] Bei beiden Geschlechtern nimmt die Suizidrate mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während sich ungefähr 15 Prozent der Frauen zwischen 85 und 90 Jahren suizidieren, sind es bei Männern der gleichen Altersgruppe sogar 73 Prozent.[3]
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Geschlechterunterschiede in der Häufigkeit von Selbstmorden (Suiziden) sind weltweit gesichert: So begehen Männer bis zu drei Mal häufiger Selbstmord als Frauen. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Selbstmordrate mit zunehmendem Alter zu, bei Männern jedoch deutlich stärker: Während sich ungefähr 15 Prozent der Frauen zwischen 85 und 90 Jahren suizidieren, sind es bei Männern der gleichen Altersgruppe sogar über 70 Prozent.[4] Ursachen liegen oft in der sozialen und emotionalen Vereinsamung. Selbstmordversuche werden dagegen eher bei jüngeren Menschen beobachtet. Das Geschlechterverhältnis ist hier umgekehrt: Betroffen sind häufiger jüngere Frauen als jüngere Männer.[5]

Der größte Risikofaktor für Selbstmord ist eine psychische Erkrankung. Vor allem Depression, aber auch schizophrene oder Suchterkrankungen erhöhen das Risiko eines Selbstmordes enorm. Dabei werden 90 Prozent aller Suizide mit einer psychischen Erkrankung assoziiert, meist mit einer Depression (bis 70 Prozent).[6] Obwohl Depressionen bei Frauen ungefähr doppelt so häufig diagnostiziert werden wie bei Männern, liegt der Anteil derjenigen Männer die infolge einer Depression Selbstmord begangen haben mit 60 bis 70 Prozent deutlich über dem Anteil an Frauen. Man kann davon ausgehen, dass Depression bei Männern mit einem höheren Selbstmordrisiko einhergeht als dies bei Frauen der Fall ist.[7] Grund dafür scheint unter anderen zu sein, dass psychisch erkrankte Männer deutlich geringeres Hilfesuchverhalten zeigen, ihr Leiden seltener verbalisieren und allgemein eine niedrigere Behandlungsbereitschaft besitzen.[8]

Die deutlich höhere Selbstmordrate bei geringerer Selbstmordversuchsrate bei Männern im Vergleich zu Frauen wird wissenschaftlich als Gender Paradox diskutiert.[9] Paradox erscheint dabei besonders, dass der Selbstmordversuch als stärkster Vorhersagewert für zukünftige Selbstmorde gilt und Frauen demnach eine höhere Selbstmordrate als Männer aufweisen müssten.[10] Einfluss auf dieses Paradox haben sicherlich soziale Geschlechterstereotype. Mit der sozial geprägten Geschlechterrolle ist ein Selbstmord bei Männern deutlich leichter vereinbar als ein Selbstmordversuch.[11] [12] Zusätzlich wählen Männer durchschnittlich härtere Selbstmordmethoden, die wahrscheinlicher auch zum Tod führen.[13] Generell ist ein Umdenken männlicher Geschlechterrollen nötig, um die Akzeptanz psychischer Krankheiten bei Männern zu fördern und das Hilfesuchverhalten zu erhöhen.[14]

Ähnliche Artikel[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

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  1. Gößwald A, Lange M, Kamtsiuris P, Kurth B. DEGS: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland. Bundesgesundheitsbl. 2012; 55(6-7):775–80.
  2. Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.
  3. NASPRO. (2012). Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland. Suizide in Deutschland 2012: Suizidzahlen und -raten 1990-2012 in Deutschland.
  4. NASPRO. (2012). Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland. Suizide in Deutschland 2012: Suizidzahlen und -raten 1990-2012 in Deutschland.
  5. Weissman, M. M., Bland, R. C., Canino, G. J., Greenwald, S., Hwu, H. G., Joyce, P. R., . . . Yeh, E. K. (1999). Prevalence of suicide ideation and suicide attempts in nine countries. Psychological medicine, 29(1), 9–17.
  6. Wahlbeck K. & Mäkinen M. (Eds). (2008). Prevention of depression and suicide. Consensus paper. Luxembourg: European Communities.
  7. Schaller, E. & Wolfersdorf, M. (2009). Depression and suicide. Suicidal Behaviour: Assessment & Diagnosis. Sage Publications, New Delhi.
  8. Schrijvers, D. L., Bollen, J., & Sabbe, B. G. C. (2012). The gender paradox in suicidal behavior and its impact on the suicidal process. Journal of affective disorders, 138(1-2), 19–26. doi:10.1016/j.jad.2011.03.050
  9. Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.
  10. Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit.
  11. Payne Sarah, Swami Viren, and Stanistreet Debbi L.. Journal of Men's Health. November 2013, 5(1): 23-35. doi:10.1016/j.jomh.2007.11.002.
  12. Scourfield, J., & Evans, R. (2015). Why Might Men Be More at Risk of Suicide After a Relationship Breakdown? Sociological Insights. American journal of men's health, 9(5), 380-384.doi:10.1177/1557988314546395
  13. Canetto SS, Sakinofsky I. The Gender Paradox in Suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior 1998; 28(1):1–23.
  14. Wolfersdorf, M., & Plöderl, M. (2016). Geschlechterunterschiede bei Suizid und Suizidalität. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Eds.), Programmbereich Gesundheit. Handbuch Geschlecht und Gesundheit. Männer und Frauen im Vergleich (2nd ed.). Bern: Hogrefe.

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.