Geschlechtersensible Medizin - politischer und wissenschaftlicher Diskurs/Fachartikel: Unterschied zwischen den Versionen

(Gesundheitspolitische Handlungsempfehlungen des Instituts für GenderGesundheit e. V.)
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Im Februar 2017 legte das Institut für GenderGesundheit e. V.  (IGG e. V.) einen Zehn-Punkte-Katalog mit gesundheitspolitischen Forderungen für eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung vor. Damit eine geschlechtersensible medizinische Behandlung möglich sei, so das Institut, müssen sich die bisher nicht paritätisch gestalteten Systemstrukturen grundlegend ändern. Aus einer Umfrage im Netzwerk des Bundeskongress Gender-Gesundheit wurden folgende Forderungen abgeleitet:
 
Im Februar 2017 legte das Institut für GenderGesundheit e. V.  (IGG e. V.) einen Zehn-Punkte-Katalog mit gesundheitspolitischen Forderungen für eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung vor. Damit eine geschlechtersensible medizinische Behandlung möglich sei, so das Institut, müssen sich die bisher nicht paritätisch gestalteten Systemstrukturen grundlegend ändern. Aus einer Umfrage im Netzwerk des Bundeskongress Gender-Gesundheit wurden folgende Forderungen abgeleitet:
 
 
 
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Version vom 7. März 2017, 08:50 Uhr


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Gesundheitspolitische Hintergründe[Bearbeiten]

Gendermedizin oder geschlechtersensible Medizin entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten aus der Frauen- und zum Teil auch aus der Männergesundheitsforschung heraus.[1] Im Zuge der zweiten Frauenbewegung bildete sich in den 1970er Jahren eine Frauengesundheitsbewegung mit der Forderung nach weiblicher Selbstbestimmung auch in medizinischen Fragen. In den 1990er Jahren kritisierte die Frauengesundheitsbewegung dann vor allem den Ausschluss von Probandinnen aus klinischen Studien.

Das Jahr 1975 benannten die Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Frau. In diesem Jahr wurde auch die erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko durchgeführt. Das erste eigenständige Dokument der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Frauengesundheit wurde 1994 auf der Women's Health Counts, einer Konferenz über die Gesundheit von Frauen in Mittel- und Osteuropa, verabschiedet: Die sogenannte Wiener Erklärung zu Frauengesundheit (Vienna Statement on Investing in Women’s Health). In dieser Erklärung wurden allgemeine Grundsätze zur Gesundheit von Frauen mit sechs vorrangigen Handlungsbereichen formuliert (vergleiche Tabelle 1).[2]

Tabelle 1: Wiener Erklärung zur Frauengesundheit (1994) mit sechs Handlungsbereichen.
[Quelle: Bericht der Enquetekommission des Landtags Nordrhein-Westfalen (2013)]

Wiener Erklärung zur Frauengesundheit: Vorrangige Handlungsbereiche
  • Senkung der Müttersterblichkeit und Erhöhung der Sicherheit von Müttern
  • Förderung von sexueller und reproduktiver Gesundheit
  • Einführung frauenfreundlicher Kostenstrategien
  • Unterstützung von Programmen zur Förderung gesunder Lebensweisen
  • Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
  • Verbesserungen für Frauen, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten

Auf diese Handlungsbereiche aufbauend wurde im Zuge der Wiener Erklärung auch ein politisches Bekenntnis zur Frauengesundheitspolitik auf nationaler Ebene entwickelt. Damit zusammenhängend wurden in vielen Ländern zum Beispiel Frauengesundheitszentren errichtet und Frauengesundheitsberichte veröffentlicht. Inzwischen liegen geschlechtersensible Gesundheitsdaten für verschiedene Populationen vor (z. B. für einzelne Länder, für Großstädte, etc.).[3] Die politischen Handlungsempfehlungen der Erklärung sind Tabelle 2 zu entnehmen.

Tabelle 2. Politisches Bekenntnis der Wiener Erklärung zur Frauengesundheit (1994). [Quelle: Bericht der Enquetekommission des Landtags Nordrhein-Westfalen (2013)]

Wiener Erklärung zur Frauengesundheit: Politische Handlungsempfehlungen
  • Einrichtung eines Frauengesundheitsbüros, das sich mit der Entwicklung einer sektorübergreifenden Frauengesundheitspolitik und eines Aktionsplans befasst
  • Schaffung eines nationalen Frauengesundheitsforums
  • Schaffung einer Zuverlässigen Informationsgrundlage für eine ressortübergreifende Politik der Frauengesundheit und Aufbau entsprechender geschlechtsdifferenzierter Monitoring- und Berichtssysteme zur sozioökonomischen und gesundheitlichen Lage von Frauen
  • regelmäßige Veröffentlichung von öffentlichen Frauengesundheitsberichten
  • Ausbau der Forschungstätigkeit im Bereich der Frauengesundheit mit der Entwicklung multidisziplinärer Forschungsstrategien
  • Erstellung von Länderberichten zur Frauengesundheit im Rahmen der Frauengesundheitsinitiative des Regionalbüros der WHO

1995 wurde bei der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking ein Aktionsplan beschlossen, der unter anderem Themen der Frauengesundheit enthielt.[3] Darüber hinaus verpflichteten sich die Staaten, die Rechte der Frauen zu schützen, die Armut von Frauen zu bekämpfen, Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung zu verfolgen und geschlechterspezifische Unterschiede im Bildungssystem abzubauen. Zudem sollte die Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen der Gesellschaft (d. h. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) gefördert werden.[4] Damit kann die vierte Weltfrauenkonferenz als Plattform für das sogenannte Gender Mainstreaming gesehen werden, das schließlich 1997 von der WHO implementiert und 1999 mit dem Amsterdamer Vertrag auf europäischer Ebene in rechtsverbindlicher Form festgehalten wurde. Im selben Jahr erkannte die Bundesrepublik mit einem Beschluss des Bundeskabinettes Gender Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip an. Mit dem Begriff des Gender Mainstreamings werden Initiativen zur Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen umrissen. Im Gesundheitssystem verknüpft dieses Mainstreaming zwei wichtige Ziele: Die Reduktion sozialer Ungleichheit und die Verbesserung von Qualität und Effizienz des Versorgungssystems.[1]

Auf internationaler Ebene wurde in den darauf folgenden Jahren Frauengesundheit vor allem vor dem Hintergrund von Armut, Mangelernährung und reproduktiver Gesundheit behandelt. Das WHO-Regionalbüro in Europa setzte dagegen andere Schwerpunkte. Besonders berücksichtigt wurden hier Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheitsforschung und Migration. Zu erwähnen sind diesbezüglich zum Beispiel die Madrider Erklärung Mainstreaming gender equity in health - The need to move foreward von 2001 und die internationale Konferenz Gender & Health in Wien 2002.[2] Mit der Madrider Erklärung wurden die Mitgliedsstaaten der WHO Europa aufgerufen, Geschlechterunterschiede in der Morbidität und Mortalität und im Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem stärker zu berücksichtigen. Unumstritten war hierfür die Notwendigkeit geschlechtersensibler Studien, die zu diesem Zeitpunkt nur in Rudimenten vorlagen.[5]

Aktuellere Entwicklungen[Bearbeiten]

Dank der genannten gesundheitspolitischen Fortschritte konnte sich in den letzten 20 Jahren das Forschungs- und Praxisfeld der Geschlechtergesundheit maßgeblich weiterentwickeln und besonders in den nachfolgenden Bereichen konsolidieren:

1. Intensivierung der interdisziplinären Forschung
Während in der Vergangenheit das Thema Geschlecht und Gesundheit meist aus einer psychosozialen Perspektive betrachtet wurde, hat sich dies mittlerweile geändert: Geschlecht, Gesundheit und Krankheit werden immer mehr als medizinisches Thema behandelt. Gegenwärtig gilt als selbstverständlich, dass Gendermedizin alle Aspekte von biologischem (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender) sowie deren Interaktion umfasst. Deshalb ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen humanwissenschaftlichen und medizinisch-naturwissenschaftlichen Fachbereichen unumgänglich.

2. Systematische Aufschlüsselung der Kategorie Geschlecht
Zu Beginn der geschlechtersensiblen Gesundheitsforschung wurde dem Faktor Geschlecht eine Schlüsselrolle als differenzierende Variable zugesprochen. Inzwischen besteht das Bewusstsein, dass spezifische Gruppen von Frauen und Männern sich durchaus in ihrem Gesundheitszustand ähnlicher sein können als unterschiedliche Gruppen innerhalb eines Geschlechts. Dabei spielen unter anderem Variablen wie Alter, Lebensform, Sozioökonomischer Status, sexuelle Orientierung und mögliche Behinderung eine entscheidende Rolle. Diese Perspektiverweiterung ermöglichte auch ein gewisses Aufbrechen der Dichotomisierung in weiblich und männlich. Eine wichtiger Schritt war hierfür die Änderung des Personenstandgesetztes von 2013. Der Zwang zur Festlegung des Geschlechtes als entweder männlich oder weiblich wurde dabei vom Deutschen Ethikrat als ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eingeordnet. Gefordert wurde das Recht auf Gleichbehandlung von intersexuellen Menschen. In der Gendermedizin sollte zukünftig nicht nur die Gesundheitsversorgung von Frauen und Männer adäquat berücksichtigt, sondern auch Personen mit Trans- oder Intersexualität nicht außen vorgelassen werden. Das bisherige zweigeschlechtliche Ordnungssystem muss in der Medizin weiter aufgeweicht werden, um im Sinne einer individualisierter Medizin die optimale Versorgung aller Menschen gewährleisten zu können.

3. Entwicklung einer geschlechtersensiblen Gesundheitsberichterstattung und Versorgungspraxis
Im Jahr 2005 wurde der erste Prototyp eines geschlechtesensiblen Gesundheitsberichtes veröffentlicht. Dieser bereitete die vorhandenen Daten geschlechtervergleichend auf und bettete sie in einen theoretischen Rahmen ein. Darauf folgend wurden vom Robert-Koch-Institut Handreichungen ausgearbeitet, die dazu verhelfen sollten in zukünftigen Gesundheitsberichten die Variable Geschlecht einzubeziehen. So existieren derzeit kaum noch Datenhalter, die ihre Daten ohne eine geschlechtersensible Analyse zur Verfügung stellen. Auch im Bereich von Interventionen wird Geschlecht langsam stärker berücksichtigt. Zum Beispiel definiert das Schweizer Qualitätssystem quint-essenz die Geschlechterperspektive als ein entscheidendes Qualitätsmerkmal der Gesundheitsförderung.

4. Erweiterung der Berichterstattung zur Männergesundheit
Im Zuge der Frauengesundheitsbewegung wurden Aspekte der Männergesundheit vernachlässigt und damit auch die Berichterstattung zur Männergesundheit zunächst nicht etabliert. Elf Jahre nach der ersten Publikation eines umfassenden Frauengesundheitsberichtes erschien schließlich 2014 der Bericht zur gesundheitlichen Lage der Männer in Deutschland vom Robert-Koch-Institut. Besonders berücksichtigt wurde hierbei die Bedeutung von Erwerbstätigkeit bzw. Arbeitslosigkeit für das gesundheitliche Wohlergehen. Zudem wurden konkrete Handlungsfelder für eine männerspezifische Prävention und Gesundheitsförderung abgeleitet.[5]

Integration in die Lehre[Bearbeiten]

Um eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung ermöglichen zu können, ist die Implementierung der Gendermedizin in der medizinischen Lehre unumgänglich. So begründete 2003 die Kardiologin Prof.in Dr.in Dr.in Vera Regitz-Zagrosek das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité in Berlin. Regitz-Zagrosek gab zudem 2011 zusammen mit Dr.in med. Sabine Oertelt-Prigione das erste Lehrbuch unter dem Titel Sex and Gender Aspects in Clinical Medicine heraus. Einen eigenen Lehrstuhl für Gendermedizin gibt es in Deutschland derzeit nicht. Die Berliner Charité ist landesweit das einzige Universitätsinstitut für Geschlechterforschung in der Medizin und zudem die einzige Universität, die Geschlechterforschung im regulären Curriculum für Medizinstudierende aufgenommen hat. Darüber hinaus wurde hier (wie auch an anderen Universitäten) ein Modul Gendermedizin für Masterstudierende und Medizinstudierende eingeführt, welches auch als Fortbildung für ÄrztInnen und im Bereich Public Health angeboten wird.[6] In Österreich existieren bereits an zwei Medizinischen Universitäten eigene Lehrstühle für Gendermedizin: 2010 erhielt Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer den ersten Lehrstuhl an der Medizinischen Universität Wien, 2014 erhielt Prof.in Dr.in Margarethe Hochleitner den zweiten an der Medizinischen Universität Innsbruck. In Österreich ist seit 2010 auch der Erwerb eines Master of Science in Gender Medicine möglich.[7] Die Widerstände durch die meinungsbildenden VertreterInnen einer androzentrierten Schulmedizin waren und sind bei der Institutionalisierung der Gendermedizin beträchtlich. Aktuell ist Gendermedizin in der Lehre nur punktuell vertreten. Gendermedizin muss zukünftig als Fach existent werden, damit spezifische Forschungsansätze und Therapiekonzepte vorangetrieben und letztlich die medizinische Versorgung geschlechtersensibel erfolgen kann. Prof.in Dr.in Margarethe Hochleitner macht diesbezüglich deutlich: Es reicht bei weitem nicht aus, Gendermedizin als ein freiwilliges Extramodul im Studium oder als abendliche Ringvorlesung zu integrieren. Vielmehr müssen die Lehrenden sensibilisiert, ausgebildet und auch evaluiert werden. Dabei vertritt sie die Meinung, dass Inhalte von Gendermedizin zum Prüfungsstoff gehören müssen, damit sie gelernt und später auch angewendet werden können.[8]

Gesundheitspolitische Handlungsempfehlungen des Instituts für GenderGesundheit e. V.[Bearbeiten]

Im Februar 2017 legte das Institut für GenderGesundheit e. V. (IGG e. V.) einen Zehn-Punkte-Katalog mit gesundheitspolitischen Forderungen für eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung vor. Damit eine geschlechtersensible medizinische Behandlung möglich sei, so das Institut, müssen sich die bisher nicht paritätisch gestalteten Systemstrukturen grundlegend ändern. Aus einer Umfrage im Netzwerk des Bundeskongress Gender-Gesundheit wurden folgende Forderungen abgeleitet:

Gesundheitspolitische Handlungsempfehlungen des Instituts für GenderGesundheit e. V.
  • Eine sanktionsbewehrte Geschlechterquote in den Gremien der Kassen-Selbstverwaltung
  • Geschlechterspezifische Projektausschreibung im Innovationsfonds – besonders zur Versorgungsforschung
  • Prüfungsrelevantes Modul Geschlechtersensible Medizin in der studentischen Lehre an den medizinischen Fakultäten
  • Vereinbarkeitskonzepte als Teil der Qualitätsberichte von Versorgungseinrichtungen
  • Familienfreundliche Aus- und Weiterbildungskonzepte für ärztliche und nichtärztliche Gesundheitsberufe
  • Förderung von Teilzeitkonzepten in der ambulanten Versorgung
  • Geschlechterquote bei medizinischen Lehrstühlen
  • Geschlechtergerechte Forschungspolitik in der Medizin
  • Geschlechtersensibilität als Qualitätsmerkmal in Pflegeeinrichtungen
  • Kontinuierliche Berichterstattung der Selbstverwaltungsgremien zu Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtersensibler Versorgung

Status quo und Ausblick[Bearbeiten]

Geschlechtergerechte Prävention, Diagnose, Versorgung und Nachsorge sind ohne Zweifel unabdingbar und die gewonnenen Erkenntnisse dazu werden, wenn sorgfältig erhoben, die moderne Medizin weiter bringen. Nicht von ungefähr entsteht allerdings die Frage, wer denn die Möglichkeiten hat, auch in der Lehre für die Medizinstudierenden eine geschlechtssensible Medizin zu verankern. Die 34 staatlich geförderten medizinischen Fakultäten in Deutschland stehen vor dieser Aufgabe. Aber ist man sich in den Dekanaten für Lehre und Studium, die noch mehrheitlich von Männern besetzt werden, dessen eigentlich bewusst? Der Deutsche Ärztinnenbund hat 2015 mit vier präzisen Fragen nachgefragt. Das Ergebnis ist -nicht unerwartet- recht bescheiden: 80 % der Fakultäten haben sich mit diesem gesellschaftlich so wichtigen Thema noch nicht befasst! Die Ergebnisse im Detail können im Deutschen Ärzteblatt („Themen der Zeit“ Dezember 2016, Heft 51-52) nachgelesen werden. Die Frage, warum man denn so starr und unbeweglich ist, darf wohl gestellt werden.

Die Gendermedizin bekam in den USA den ersten Schub. Marianne Legato legte bereits 2004 ein über 1000 Seiten starkes Fachbuch (Principles of Gender-Specific Medicine) dazu vor. Ein paar Jahre brauchte es dann, bis die Erkenntnis-begründet aus soliden Forschungsergebnissen- dass es keine geschlechtsneutrale Gesundheit und Krankheit gibt, begann, sich in Deutschland durchzusetzen. Allerdings kamen Impulse dazu zunächst von Frauen meist aus dem außeruniversitären Bereich. Frauen , die auch mehrheitlich die Veranstaltungen zur Gendermedizin gestalteten und besuchten. Allmählich fand sich dort auch ein männliches Publikum ein und es ist anzunehmen dass sich zunehmend auch Männer für das Fach Gendermedizin interessieren und qualifizieren werden. Dass durch Förderung des BMBF 2016/2017 Gelder in die geschlechtsbezogene klinische Forschung fließen werden, ermutigt. Die Tatsache, dass übrigens auch in der tierexperimentellen Forschung das Geschlecht des untersuchten Versuchstieres berücksichtigt werden muss, ist inzwischen in den USA bei der Vergabe von Forschungsgeldern eine Bedingung, in Europa wird es noch eine Weile dauern, bis Tierversuchsanträge dieser Tatsache Rechnung tragen müssen, wenn sie genehmigt werden sollen.

Folgende These lässt sich vertreten: die Gendermedizin wird sich weiter entwickeln und etablieren, aber sehr langsam. Es liegt u. a. auch daran, dass in den deutschen medizinischen Fakultäten zu wenig Frauen in den Dekanaten vertreten sind (eine Dekanin war es unter 34 Männern im Jahr 2015, und nur eine Handvoll Prodekaninnen für Lehre und Studium). Und was ist mit den einzelnen klinischen Fächern? Wer bekleidet hier die Spitzenpositionen, die die Verantwortung für das haben, was in diesem Fach in Anlehnung an den Lernzielkatalog gelehrt wird? Es ist kaum zu glauben, aber wahr: hier findet man im deutschen Durchschnitt nur 10 % Frauen, d. h. 90 % männliche Entscheidungsträger bestimmen, was in ihrem Fach wichtig ist und unterstützt wird. Wenn diese Ungleichheiten beseitigt sind, wird auch die Gendermedizin einen weiteren kräftigen Schub erhalten.[9]

Externe Links[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

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  1. Kuhlmann, E. Gendertheorien. In: Kolip P, Hurrelmann K, editors. Handbuch Geschlecht und Gesundheit: Männer und Frauen im Vergleich. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. Bern: Hogrefe; 2016. p. 34–44 (Programmbereich Gesundheit).
  2. Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung in NRW: Bericht der Enquetekommission des Landtags Nordrhein-Westfalen. Springer-Verlag, 2013.
  3. Hochleitner, M. (2013). Gender Medizin–Was ist das? Stand: 06.12.2016.
  4. Erklärung und Aktionsplattform auf der Vierten UN-Weltfrauenkonferenz in Peking. 15. September 1995, deutsche Übersetzung, Website der UN.
  5. Kolip P, Hurrelmann K. Handbuch Geschlecht und Gesundheit: Männer und Frauen im Vergleich. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. Bern: Hogrefe; 2016. (Programmbereich Gesundheit).
  6. Krüger, Anja. Gendermedizin. "Die Charité ist Vorreiter". Ärzte Zeitung, 07.03.2014.
  7. Universitätslehrgang Gender Medicine. Medizinische Universität Wien, abgerufen am 13.12.2016.
  8. Kaczmarczyk, Gabriele. Das Geschlecht macht den Unterschied. Eine Einführung in die Gender-Medizin. FrauenRat 6. 2014.
  9. Ludwig S. Dettmer S., Peters H., Kaczmarczyk, G. (2016) Themen der Zeit. Geschlechtsspezifische Medizin in der Lehre: Noch in den Kinderschuhen. Deutsches Ärzteblatt 113 (51-52).
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