Quelltext der Seite Geschlechtersensible Medizin - politischer und wissenschaftlicher Diskurs/Fachartikel

==Status quo und Ausblick==

Geschlechtergerechte Pr&auml;vention, Diagnose, Versorgung und Nachsorge sind ohne Zweifel unabdingbar und die gewonnenen Erkenntnisse dazu werden, wenn sorgf&auml;ltig erhoben, die moderne Medizin weiter bringen.<br />
Nicht von ungef&auml;hr entsteht allerdings die Frage, wer denn die M&ouml;glichkeiten hat, auch in der Lehre f&uuml;r die Medizinstudierenden eine geschlechtssensible Medizin zu verankern. Die 34 staatlich gef&ouml;rderten medizinischen Fakult&auml;ten in Deutschland stehen vor dieser Aufgabe. Aber ist man sich in den Dekanaten f&uuml;r Lehre und Studium, die noch mehrheitlich von M&auml;nnern besetzt werden, dessen eigentlich bewusst? Der Deutsche &Auml;rztinnenbund hat 2015 &nbsp;mit vier pr&auml;zisen Fragen nachgefragt. Das Ergebnis ist -nicht unerwartet- recht bescheiden: 80 % der Fakult&auml;ten haben sich mit diesem gesellschaftlich so wichtigen Thema noch nicht befasst! Die Ergebnisse im Detail k&ouml;nnen im Deutschen &Auml;rzteblatt (&bdquo;Themen der Zeit&ldquo; Dezember 2016, Heft 51-52) nachgelesen werden. Die Frage, warum man denn so starr und unbeweglich ist, darf wohl gestellt werden.

Die Gendermedizin bekam &nbsp;in den USA den ersten Schub. Marianne Legato legte bereits 2004 ein &uuml;ber 1000 Seiten starkes Fachbuch (Principles of Gender-Specific Medicine) dazu vor. Ein paar Jahre brauchte es dann, bis die Erkenntnis-begr&uuml;ndet aus soliden Forschungsergebnissen- dass es keine geschlechtsneutrale Gesundheit und Krankheit gibt, begann, sich in Deutschland durchzusetzen. Allerdings kamen Impulse dazu zun&auml;chst von Frauen meist aus dem au&szlig;eruniversit&auml;ren Bereich. Frauen , die auch mehrheitlich die Veranstaltungen zur Gendermedizin gestalteten und besuchten. Allm&auml;hlich fand sich dort auch ein m&auml;nnliches Publikum ein und es ist anzunehmen dass sich zunehmend auch M&auml;nner f&uuml;r das Fach Gendermedizin interessieren und qualifizieren werden. Dass durch F&ouml;rderung des BMBF 2016/2017 Gelder in die geschlechtsbezogene klinische Forschung flie&szlig;en werden, ermutigt. Die Tatsache, dass &uuml;brigens auch in der tierexperimentellen Forschung das Geschlecht des untersuchten Versuchstieres ber&uuml;cksichtigt werden muss, ist inzwischen in den USA bei der Vergabe von Forschungsgeldern eine Bedingung, in Europa wird es noch eine Weile dauern, bis Tierversuchsantr&auml;ge dieser Tatsache Rechnung tragen m&uuml;ssen, wenn sie genehmigt werden sollen.&nbsp;

Folgende These l&auml;sst sich vertreten: die Gendermedizin wird sich weiter entwickeln und etablieren, aber sehr langsam. Es liegt u. a. auch daran, dass in den deutschen medizinischen Fakult&auml;ten zu wenig Frauen in den Dekanaten vertreten sind (eine Dekanin war es unter 34 M&auml;nnern im Jahr 2015, und nur eine Handvoll Prodekaninnen f&uuml;r Lehre und Studium). Und was ist mit den einzelnen klinischen F&auml;chern? Wer bekleidet hier die Spitzenpositionen, die die Verantwortung f&uuml;r das haben, was in diesem Fach in Anlehnung an den Lernzielkatalog gelehrt wird? &nbsp;Es ist kaum zu glauben, aber wahr: hier findet man im deutschen Durchschnitt nur 10 % Frauen, d. h. 90 % m&auml;nnliche Entscheidungstr&auml;ger bestimmen, was in ihrem Fach wichtig ist und unterst&uuml;tzt wird. Wenn diese Ungleichheiten beseitigt sind, wird auch die Gendermedizin einen weiteren kr&auml;ftigen Schub erhalten.<ref>Ludwig S. Dettmer S., Peters H., Kaczmarczyk, G. (2016) Themen der Zeit. Geschlechtsspezifische Medizin in der Lehre: Noch in den Kinderschuhen. Deutsches &Auml;rzteblatt 113 (51-52).</ref>