Geschlechtersensible Medizin - politischer und wissenschaftlicher Diskurs: Unterschied zwischen den Versionen

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|Zusammenfassung=1998 wurde vom Statistischen Bundesamt der erste Gesundheitsbericht für Deutschland herausgegeben.<ref>Statistisches Bundesamt. Gesundheitsbericht für Deutschland. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt; 1998.</ref> Dieser wies ein klares Defizit auf: Nur sehr wenige der aufbereiteten Daten wurden nach Geschlecht differenziert, obgleich die Frauengesundheitsforschung und -praxis bis zu diesem Zeitpunkt schon auf eine mehr als 20-jährige Tradition zurückschauen konnte. Die Defizite in der Berichterstattung verstärkten den nationalen Diskurs rund um Geschlecht und Medizin und schon wenige Jahre später (im Jahr 2001) wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der ''Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen'' herausgegeben. Diesem Bericht liegt ein bio-psycho-soziales Verständnis von Geschlecht und Gesundheit bzw. Krankheit zugrunde und er gilt damit bis heute als ein wichtiger Meilenstein der Gendermedizin:<ref>BMFSFJ - Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Bericht zur gesundheitlichen Lage von Frauen. Bonn: Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend; 2001.</ref> Der deutsche Diskurs hatte nun Anschluss an die internationale Gesundheitspolitik gefunden und bereits 2002 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Region Europa eine Deklaration, die die Bedeutung von Geschlecht auf die Gesundheitsforschung hervorhob.<ref>WHO Euro - WHO Regional Office for Europe. Mainstreaming gender equity in health: The need to move forward. Madrid Statement. Copenhagen; 2002.</ref> Obgleich die Gendermedizin gegenwärtig noch lange nicht ausreichend in die medizinische Theorie und Praxis implementiert wurde, hat sich dennoch seit 2002 das Themenfeld „Geschlecht und Gesundheit“ maßgeblich weiterentwickelt: Es findet nun eine Stärkung und Intensivierung der interdisziplinären Forschung statt ebenso wie eine systematische Aufschlüsselung der Kategorie Geschlecht.<ref>Kolip P, Hurrelmann K. Handbuch Geschlecht und Gesundheit: Männer und Frauen im Vergleich. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. Bern: Hogrefe; 2016. (Programmbereich Gesundheit).</ref>
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|Zusammenfassung=1998 wurde vom Statistischen Bundesamt der erste Gesundheitsbericht für Deutschland herausgegeben. Dieser wies ein klares Defizit auf: Nur sehr wenige der aufbereiteten Daten wurden nach Geschlecht differenziert, obgleich die Frauengesundheitsforschung und -praxis bis zu diesem Zeitpunkt schon auf eine mehr als 20-jährige Tradition zurückschauen konnte. Die Defizite in der Berichterstattung verstärkten den nationalen Diskurs rund um Geschlecht und Medizin und schon wenige Jahre später (im Jahr 2001) wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen herausgegeben. Diesem Bericht liegt ein bio-psycho-soziales Verständnis von Geschlecht und Gesundheit bzw. Krankheit zugrunde und er gilt damit bis heute als ein wichtiger Meilenstein der geschlechtersensiblen Medizin: Der deutsche Diskurs hatte nun Anschluss an die internationale Gesundheitspolitik gefunden und bereits 2002 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Region Europa eine Deklaration, die die Bedeutung von Geschlecht auf die Gesundheitsforschung hervorhob. Obgleich die geschlechtersensible Medizin gegenwärtig noch lange nicht ausreichend in die medizinische Theorie und Praxis implementiert wurde, hat sich dennoch seit 2002 das Themenfeld „Geschlecht und Gesundheit“ maßgeblich weiterentwickelt: Es findet nun eine Stärkung und Intensivierung der interdisziplinären Forschung statt ebenso wie eine systematische Aufschlüsselung der Kategorie Geschlecht.
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Wissenschaftliche Studien zeigen: Frauen erkranken deutlich häufiger an Depressionen als Männer. Innerhalb eines Jahres wurde bei etwa 13 Prozent aller Frauen und etwa sechs Prozent aller Männer  im Alter von 18 bis 64 Jahren eine depressive Erkrankung diagnostiziert.<ref>Jacobi F, Höfler M, Siegert J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Twelve-month prevalence, comorbidity and correlates of mental disorders in Germany: The Mental Health Module of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1-MH). Int. J. Methods Psychiatr. Res. 2014; 23(3):304–19.</ref> Diese Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit können international stabil belegt werden. Auch findet die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien bei Frauen höhere Rückfall- und Chronifizierungsraten als bei Männern.<ref>Kuehner C. Gender differences in unipolar depression. Acta Psychiatrica Scandinavica 2003; 108(3):163–74.</ref> Interessant ist, dass sich die Depressionshäufigkeit zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht erst mit Eintritt in die Pubertät zu unterscheiden beginnt.<ref>Essau CA, Petermann U. Depression bei Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für klinische Psychologie, Psychopathologie; 43:18–33.</ref> Während der Pubertät steigt die Anzahl an Depressionen insgesamt an, wobei der Anstieg deutlich stärker bei Mädchen zu beobachten ist. Bereits im Alter von 18 Jahren sind Frauen im Vergleich zu Männern doppelt so häufig von Depressionen betroffen.<ref>Oldehinkel AJ, Wittchen HU, Schuster P. Prevalence, 20-month incidence and outcome of unipolar depressive disorders in a community sample of adolescents. Psychological Medicine 1999; 29(3):655–68.</ref> Außerdem ist zu beobachten, dass depressive Symptome bei Jugendlichen immer häufiger vorkommen.  Als Ursache hierfür werden weniger genetische Faktoren vermutet, als vielmehr psychosoziale Faktoren wie mangelnde elterliche Fürsorge, fehlende soziale Bindungen sowie gesellschaftlicher Leistungsdruck.<ref>Fombonne E. Increased rates of psychosocial disorders in youth. European archives of psychiatry and clinical neuroscience 1998; 248(1):14–21.</ref>
 
Warum Frauen im Vergleich zu Männern ein höheres Risiko haben, an einer Depression zu erkranken, kann biologische und psychosoziale Gründe haben. Aus biologischer Sicht spielen vor allem die sogenannten hormonellen Umstellungsphasen eine wichtige Rolle: So wird beispielsweise vermutet, dass der Anstieg der Geschlechtshormone in der Pubertät bei Mädchen im direkten Zusammenhang mit negativen Emotionen steht.<ref>Angold A, Costello EJ, Erkanli A, Worthman CM. Pubertal changes in hormone levels and depression in girls. Psychological Medicine 1999; 29(5):1043–53.</ref> Dabei spielen natürlich nicht nur Hormone als biologische Faktoren eine wichtige Rolle, sondern auch soziale und kulturellen Aspekte(z. B. Identitätssuche).<ref>Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.</ref> Auch in der Zeit nach der Entbindung, während der sogenannten Postpartumphase, steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Eine Postpartumdepression wird definiert als eine Depression, die innerhalb von vier Wochen nach der Geburt beginnt. Während bis zu 70 Prozent der Frauen nach einer Geburt einzelne depressive Symptome entwickeln,  scheinen ungefähr 13 Prozent in dieser Zeit tatsächlich von einer Depression betroffen. Ursache ist unter anderen, dass in den ersten drei bis vier  Tagen nach der Geburt das weibliche Östrogenlevel enorm abfällt.<ref>J. Sacher, A. A. Wilson, S. Houle, P. Rusjan, S. Hassan, P. M. Bloomfield, D. E. Stewart, J. H. Meyer Elevated Brain Monoamine Oxidase A Binding in the Early Postpartum Period Archives of General Psychiatry 67(5):468-474 (2010)</ref> Ebenfalls steigt in der Zeit der Menopause (bzw. ein bis zwei Jahre vor und nach der Menopause) das Risiko an einer Depression zu erkranken. Die hormonellen Veränderungen während dieser Phase können besonders im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen zu einer depressiven Symptomatik führen.<ref>Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.</ref> Die Effektivität von Östrogenersatztherapien bei depressiven Symptomen bleibt aber noch inkonsistent.<ref>Amin Z. Effect of Estrogen-Serotonin Interactions on Mood and Cognition. Behavioral and Cognitive Neuroscience Reviews 2005; 4(1):43–58.</ref>
 
Psychosoziale Einflussfaktoren auf die Depressionshäufigkeit sind zum Beispiel Unterschiede im Bewältigungsverhalten zwischen Männern und Frauen.  So bewältigen Frauen eher mit Fokus auf ihre Emotionen und haben eine höhere Grübelneigung, die dann häufig zu einer deutlichen Verschlimmerung der depressiven Symptome führt. Männer bewältigen dagegen eher, indem sie sich gedanklich oder verhaltensmäßig ablenken, was oft depressionsreduzierend wirkt.  Zurückzuführen sind diese unterschiedlichen Bewältigungsstile vor allem auf geschlechterspezifische Sozialisationsprozesse.<ref>Nolen-Hoeksema S. The Response Styles Theory. In: Papageorgiou C, Wells A, editors. Rumination: Nature, theory & treatment for nagative thinking in depression. Chichester: Wiley; 2003.</ref>
 
  
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Zuletzt geändert: 2020-08-06 14:50:57

Aktuelle Version vom 6. August 2020, 14:50 Uhr

Zusammenfassung 1998 wurde vom Statistischen Bundesamt der erste Gesundheitsbericht für Deutschland herausgegeben. Dieser wies ein klares Defizit auf: Nur sehr wenige der aufbereiteten Daten wurden nach Geschlecht differenziert, obgleich die Frauengesundheitsforschung und -praxis bis zu diesem Zeitpunkt schon auf eine mehr als 20-jährige Tradition zurückschauen konnte. Die Defizite in der Berichterstattung verstärkten den nationalen Diskurs rund um Geschlecht und Medizin und schon wenige Jahre später (im Jahr 2001) wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen herausgegeben. Diesem Bericht liegt ein bio-psycho-soziales Verständnis von Geschlecht und Gesundheit bzw. Krankheit zugrunde und er gilt damit bis heute als ein wichtiger Meilenstein der geschlechtersensiblen Medizin: Der deutsche Diskurs hatte nun Anschluss an die internationale Gesundheitspolitik gefunden und bereits 2002 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Region Europa eine Deklaration, die die Bedeutung von Geschlecht auf die Gesundheitsforschung hervorhob. Obgleich die geschlechtersensible Medizin gegenwärtig noch lange nicht ausreichend in die medizinische Theorie und Praxis implementiert wurde, hat sich dennoch seit 2002 das Themenfeld „Geschlecht und Gesundheit“ maßgeblich weiterentwickelt: Es findet nun eine Stärkung und Intensivierung der interdisziplinären Forschung statt ebenso wie eine systematische Aufschlüsselung der Kategorie Geschlecht.

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