Geschlechtersensible Medizin über die Lebensspanne/Fachartikel

 

Kindheit und Jugend[Bearbeiten]

Grundlegende Unterschiede existieren zwischen Mädchen und Jungen in Bereichen wie Physiologie, Hormone, Entwicklung sowie Nutzung des Gesundheitssystems. Obgleich enorm relevant, wurden diese Unterschiede von Theorie und Praxis bisher oft nicht berücksichtigt. In den letzten Jahren ist nun der Fokus auf gesundheitsbezogene Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gewachsen und neues Wissen wird zunehmend verfügbar.[1]

Biologische Entwicklung[Bearbeiten]

Bis zum Ende der sechsten Schwangerschaftswoche sind die Anlagen der Keimdrüsen und Genitalien beider Geschlechter morphologisch identisch. Erst dann werden die SRY-Gene (geschlechtsbestimmende Region auf dem Y-Chromosom) sowie die SOX9-Gene auf Chromosom 17 aktiv. Zusammen sorgen sie dann für die Entwicklung eines männlichen Embryos. In Abwesenheit des SRY-Proteins entwickeln sich anstelle der Hoden Ovarien (siehe auch: Chromosomale Grundlage: XX und XY). Unter dem Einfluss von Testosteron kommt es bereits beim Fötus zu einer spezifischen Gehirnentwicklung. Zum Beispiel entwickelt sich die rechte Gehirnhälfte bei Jungen besser als die linke. Durchschnittlich entwickeln sich Jungen langsamer als Mädchen. Das männliche Gehirn ist mit 25 Jahren ausgereift, während dies bei Frauen bereits circa zwei Jahre früher der Fall ist. Das männliche Immunsystem ist etwas schwächer, was besonders in den ersten zwei Lebensjahren dazu führt, dass Jungen durchschnittlich öfter erkranken als Mädchen. Körperlicher Wachstum verläuft bei Jungen langsamer und irregulärer als bei Mädchen. Jungen haben häufig Wachstumsschübe, während Mädchen stetiger wachsen. Ähnlich verläuft die emotionale und kognitive Entwicklung bei Jungen langsamer und irregulärer als bei Mädchen. Bezüglich der Sprachentwicklung liegen Jungen zwölf bis 18 Monate hinter Mädchen. Zudem ermöglicht der höher entwickelte Frontalkortex bei Mädchen eine bessere Impulskontroll. Mädchen kommen zwischen neun und 14 Jahre in die Pubertät, während bei Jungen der Pubertätsbeginn zwischen zehn und 17 Jahren liegt. Die sexuelle Entwicklung führt nicht nur zur Fertilität, sondern vor allem auch zu radikalen körperlichen Veränderungen, die tiefgreifende physische und psychosoziale Auswirkungen mit sich bringen. 
Geschlechtsspezifische Forschung hat gezeigt, dass die Gehirnentwicklung von Jungen und Mädchen sich bereits pränatal unterscheidet und damit das biologische Geschlecht einen enormen Einfluss besitzt. Dennoch wird die Gehirnentwicklung maßgeblich durch Lernprozesse während der Erziehung gefördert und geprägt. So ist die Möglichkeit nicht ausschließbar, dass eine geschlechterstereotype Behandlung von Kindern in einem solchen Ausmaß beeinflusst, dass geschlechterspezifische Unterschiede in der Gehirnentwicklung entstehen können.[2]

Körperliche Beschwerden[Bearbeiten]

Körperliche Symptome sind insbesondere bei Mädchen der Hauptgrund für das Aufsuchen einer Ärztin oder eines Arztes. Dabei umfassen gesundheitliche Probleme vor allem Spannungskopfschmerzen, Migräne, Magenbeschwerden, Obstipation und Erschöpfung. Die wahrgenommene Gesundheit verschlechtert sich je älter Kinder werden: Bei 96 Prozent der unter zwölfjährigen bewerten die Eltern bzw. BetreuerInnen die Gesundheit des Kindes als gut, die zwölf bis 18-jährigen (Jugendliche) berichten zu 92 Prozent und die 18 bis 25-jährigen (junge Erwachsene) zu 90 Prozent von guter Gesundheit. Mädchen bewerten ihre Gesundheit etwas weniger positiv als Jungen, wobei diese Differenz mit dem Alter zunimmt.[3]

Psychosoziale Probleme [Bearbeiten]

Einer niederländischen Studie zufolge sind junge Menschen generell glücklich.[4] Dabei sind GrundschülerInnen durchschnittlich glücklicher als SchülerInnen weiterführender Schulen. Während der Adoleszenz sind mehr Mädchen als Jungen unglücklich.HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014. Verhaltensprobleme manifestieren sich bei Jungen anders als bei Mädchen. Jungen verhalten sich häufiger störend bezüglich ihrer Umwelt: Sie sind impulsiver und verbal lauter. Mädchen richten ihre Probleme eher gegen sich selbst. Sie werden häufiger depressiv, entwickeln Essstörungen oder zeigen selbstverletzendes Verhalten. Mädchen mit psychischen Problemen suchen sich häufiger professionelle Hilfe (meistens bei der Hausärztin oder dem Hausarzt) als Jungen mit psychischen Problemen.[5]
 
30 Prozent der über 16-jährigen Jungen trinken mehr als zehn alkoholische Getränke an einem Tag in der Woche, aber nur neun Prozent der Mädchen zeigen ein solches Trinkverhalten. Alkoholkonsum bei Mädchen nimmt aktuell zu, wobei sie weniger gut in der Lage sind, mit den Auswirkungen des Konsums umzugehen. Die Anzahl von Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren, die aufgrund von Alkoholvergiftungen stationär aufgenommen wurde, ist im Zeitraum von 2000 bis 2010 um 101 Prozent angestiegen. Bei Jungen lag dieser Anstieg bei 66 Prozent.[6] Problematisches Spielverhalten tritt hauptsächlich bei Jungen auf (sieben Prozent im Vergleich zu 0.9 Prozent bei Mädchen). Problematischer Gebrauch von sozialen Medien ist dagegen verbreiteter bei Mädchen (8.6 Prozent im Vergleich zu 3.7 Prozent bei Jungen).[7] Dabei korreliert problematischer Mediengebrauch mit schlechter Schulleistung, einer reduzierten sozialen Interaktion (Interaktion über das Internet nicht miteinbezogen) und depressiver Verstimmung.[8]
Die Prävalenz von ADHS und Autismus ist bei Jungen höher als bei Mädchen und aufgrund dessen werden diese Störungen bei Mädchen häufiger übersehen. Die Autismus-Spektrum-Störung manifestiert sich zwischen den Geschlechtern unterschiedlich. Mädchen nutzen oft Kompensationsmechanismen bezüglich sozialer Interaktion und Kommunikation. Verhaltensbeobachtung gewährleistet dann nur einen unzulänglichen Einblick in die bestehende Problematik. Folge ist, dass Eltern, LehrerInnen und oft auch Psychologen/Psychologinnen und PsychiaterInnen weniger wahrscheinlich milde Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung bei Mädchen erkennen. Jungen mit ADHS zeigen impulsives und „schwieriges“ Verhalten. Mädchen werden als überaktiv und übermäßig gesprächig, aber nicht notwendigerweise als „schwierig“ betrachtet, sodass professionelle Hilfe nicht immer in Anspruch genommen wird.[9]
Den vollständigen Artikel zu ADHS finden Sie hier.

Wenn sie nur mit einem biologischen Elternteil aufwachsen, steigt das Risiko eines sexuellen Missbrauchs bei Jungen und Mädchen. Wobei Mädchen grundsätzlich häufiger betroffen sind als Jungen (besonders wenn sie mit einem Stiefvater zusammenleben). Zudem tritt sexueller Missbrauch häufiger in Familien auf, in denen die Mutter tatsächlich oder emotional abwesend ist (z. B. aufgrund psychischer oder physischer Krankheit).[10]

Erwachsenenalter und soziale Partizipation[Bearbeiten]

Unsere Erwachsenenjahre sind geprägt von gesellschaftlicher Partizipation. Neben der Familiengründung (in allen möglichen Variationen) sind die meisten Menschen involviert in bezahlte und/oder freiwillige Arbeit. Viele (geschlechterspezifischen) Gesundheitsprobleme können sich im Erwachsenenalter manifestieren. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Integration und Gesundheit. Arbeit (inklusive Freiwilligenarbeit) hat generell einen positiven Effekt auf Gesundheit. Dennoch können berufsbedingte Krankheiten entstehen oder bestehende Erkrankungen verschlimmern sich aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen. Umgekehrt hat die individuelle Gesundheit Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt (und auf andere Formen sozialer Interaktion).[11]

Beruf und Geschlecht [Bearbeiten]

Bestimmte Berufe werden deutlich häufiger von Männern ausgeführt, während andere typischerweise von Frauen besetzt werden. Männer arbeiten öfter in Bereichen, die schwere körperliche Arbeit umfassen (z. B. im Bauwesen). Aber auch Frauen sind in Berufen tätig, die körperlich belastend sind (z. B. Gesundheitspflege oder Gebäudereinigung).[12]

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Männer tendenziell eher in körperlich fordernden und Frauen eher in emotional fordernden Berufen arbeiten. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Berufen, in denen sie geringes Mitspracherecht haben (bezüglich inhaltlicher und zeitlicher Aspekte).[13] Mehr Frauen als Männer arbeiten in gering bezahlten Bereichen und werden zudem häufig für die gleiche Arbeit schlechter entlohnt als Männer. Deutlich mehr Frauen werden Opfer sexueller Belästigung oder sexuellen Missbrauchs während der Arbeitszeit. Frauen engagieren sich öfter in Ehrenämtern und der informellen Pflege. Sie kümmern sich stärker als Männer um ihre Kinder, Verwandten, Freunde und Freundinnen oder Nachbarn und Nachbarinnen.[14]

Beruf und Gesundheit [Bearbeiten]

Die Tatsache, dass Frauen eher unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden und geringere subjektive Gesundheitswerte haben, hat einen negativen Einfluss auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt und andere soziale Gebiete. Forschungen zu Gesundheit und Arbeit haben herausgefunden, dass der Einfluss geringer Gesundheit besonders groß ist bei Frauen türkischen und marokkanischen Ursprungs. Dabei kann schlechte Gesundheit in unterschiedlicher Weise negativen Einfluss auf das Berufsleben nehmen: Personen können von der Berufstätigkeit völlig ausgeschlossen sein (Arbeitsunfähigkeit), häufig krankgeschrieben oder frühzeitig berentet werden. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, wobei vor allem bei älteren Frauen schlechte Gesundheitswerte ursächlich sind. Forschungen haben ergeben, dass vor allem ältere, gut ausgebildete Frauen (in allen Bereichen der Arbeit) besonders häufig von Müdigkeit und Erschöpfung bezüglich ihrer Berufstätigkeit berichten. Frauen, die weniger als 25 Stunden pro Woche arbeiten, berichten seltener von diesen Problemen, als Frauen, die mehr als 25 Stunden oder ganztags arbeiten. Es lässt sich folgern, dass Frauen Teilzeit arbeiten, um die Gesamtbelastung (bezüglich Berufstätigkeit, Versorgung von Kindern und Haushalt sowie informeller Pflege) zu begrenzen und ihre Gesundheit zu schützen. Die laufenden Veränderungen im Versorgungssystem werden möglicherweise zu einem steigenden Bedarf an informeller Pflege führen und damit wird besonders der Druck auf Frauen erhöht, die deutlich häufiger diese Aufgabe übernehmen. Obgleich Teilzeitarbeit häufig mit Mutterschaft erklärt wird, scheint dieses Arbeitsprofil momentan die durchschnittliche Norm für alle Frauen zu sein.[15]

Generell sollten Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vor allem in Führungspositionen) besser vertreten sein. Aktuell sind Frauen immer noch stärker von der Doppelbelastung durch Familie und Berufstätigkeit betroffen als Männer. Zudem sind sie im Vergleich zu Familienvätern häufiger und länger aufgrund der Kinderversorgung vom Arbeitsmarkt abwesend. Frauen sind häufiger krankgeschrieben als Männer, wobei diese Differenz zwischen dem 25 und 35 Lebensjahr am größten ist. Ursächlich sind vor allem Krankheitsausfälle aufgrund von Schwangerschaft oder Komplikationen während der Geburt. Die höhere Rate von Krankheitstagen bei Frauen (unabhängig vom Alter) erklärt sich zudem aus der Tatsache, dass ein relativ hoher Anteil von Frauen im pädagogischen und Gesundheitsbereich tätig ist. Die durchschnittlichen Krankheitstage sind hier berufsbedingt relativ hoch.[16] Die Prävalenz psychischer Erkrankungen wie Angststörungen und Depression ist bei Frauen höher als bei Männern und ist häufig Grund für Krankschreibungen.[17] Da Frauen sich relativ spät in den Arbeitsmarkt integrieren konnten (in den 1980er Jahren), ist das aktuelle Durchschnittsalter von berufstätigen Frauen geringer als von Männern.[18] Es ist davon auszugehen, dass die Krankheitstage von Frauen mit Zunahme des Altersdurchschnitts in den nächsten Jahren weiter steigen werden.[19]

Altersmedizin[Bearbeiten]

Eine wichtige Herausforderung für das Gesundheitssystem ist das „gesunde Altern“. Obwohl Frauen durchschnittlich länger leben, verbringen sie genauso viele Jahre in guter Gesundheit wie Männer (siehe auch: Lebenserwartung). Das heißt, während der Jahre, die Frauen länger leben, leiden sie häufig unter chronischen Krankheiten und berichten von einer geringen krankheitsbezogene Lebensqualität mit deutlichen Funktionseinschränkungen. Ein enormer Anteil des Gesundheitsbudgets wird für chronische Erkrankungen bei älteren Frauen ausgegeben. Im höheren und hohen Erwachsenenalter unterscheiden sich Männer und Frauen nicht nur bezüglich der Art ihrer Erkrankungen, sondern auch in der Anzahl der gesundheitlichen Einschränkungen. Dabei sind Frauen deutlich häufiger von Multimorbidität (simultanes Auftreten mehrerer Erkrankungen) betroffen.[20] Doch selbst wenn Frauen und Männer unter der gleichen Anzahl gesundheitlicher Einschränkungen leiden, scheinen die Beschwerden, die Frauen beschreiben, schwerwiegender zu sein. Dabei kann tatsächlich eine schwerwiegenderes  Problem ursächlich sein, und/oder andere Faktoren (zum Beispiel das soziale Geschlecht) beeinflussen die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit.[21] Bisher besteht diesbezüglich wenig Forschungserkenntnis.

Belegt werden kann ein höherer Frauenanteil bei somatischen Erkrankungen in der Gruppe der über 75-jährigen. Zu erklären ist dies unter anderen mit einer höheren Lebenserwartung bei Frauen. Betrachtet man in dieser Altersgruppe (≥ 75 Jahre) die Prävalenzzahlen chronischer Krankheiten, sind 41 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen dauerhaft erkrankt. Je älter eine Person, desto wahrscheinlicher berichtet sie von einer oder mehreren chronischen Beeinträchtigungen. Krankheiten, in deren Folge Frauen durchschnittlich häufiger versterben als Männer, sind psychiatrische und verhaltensrelevante Störungen (v. a. Demenz), Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes (z. B. Dekubitus) sowie Erkrankungen der Muskeln und Gelenke (Osteoporose, Osteoarthrose und Arthritis). [22] Das Östrogendefizit nach der Menopause ist der häufigste Grund für Gesundheitseinschränkungen bei Frauen wie der Verlust der Knochendichte, kardiovaskuläre Erkrankungen (inklusive Hämorrhagien des Gehirns), kognitive Störungen, Alzheimer Demenz, Depression und Inkontinenz.[23] Da das gesamte weibliche Körpersystem sich vom männlichen grundlegend unterscheidet, sollte von frauen- und männerspezifischen Alterungsprozessen ausgegangen werden. So ist die weibliche Ovarialfunktion nicht begrenzt auf die Reproduktionsfähigkeit, sondern spielt eine Schlüsselrolle für den Gesamtzustand bezüglich Gesundheit und Wohlergehen während des ganzen Lebens von der Embryonalphase bis zum Tod.[24]

Standen vor rund 50 Jahren vor allem Infektionskrankheiten im Blickfeld medizinischer Betrachtung, hat sich in den letzten Jahrzehnten der Forschungsschwerpunkt von Akutkrankheiten weg und hin zu Erkrankungen mit chronischem Charakter verschoben. Aufgrund erheblicher Fortschritte in der medizinischen Grundversorgung hat die Bedeutung von Infektionskrankheiten bezüglich ihrer hohen Sterblichkeitsrate enorm abgenommen. Zeitgleich mit dieser Entwicklung erhöht sich aufgrund von Veränderungen der weltweiten Altersdemographie die Prävalenz chronischer Erkrankungen zunehmend und damit der Anspruch an langfristige Behandlungsmaßnahmen mit multifaktoriellen Therapieansätzen.[25] Insbesondere Demenz ist ein wachsendes Problem der älteren Generation. Verschiedene Studienergebnisse belegen diesbezüglich eine ähnliche Prävalenzrate bei Männern und Frauen. Dennoch scheinen Erbfaktoren vor allem bei dementiellen Erkrankungen von Männern eine große Rolle zu spielen, während bei Frauen das Östrogenlevel einen wichtigen Faktor darstellt. Männer mit Demenz haben eine kürzere Lebensspanne und eine höhere Mortalitätsrate als Frauen. Armut ist ein entscheidender Risikofaktor für gesundheitliche Probleme vor allem bei älteren Frauen. Frauen erhalten geringere Rentenbeträge. Dabei bekommen vor allem Frauen mit Migrationshintergrund häufig keine betriebliche Rente und haben zudem keinen vollen Anspruch auf staatliche Rente. Sie sind dann von Sozialhilfe abhängig. Dieses häufig übersehene finanzielle Problem steigert sich unter anderem durch den Aspekt, dass immer mehr Migranten und Migrantinnen an Demenz erkranken und auf ständige Unterstützung angewiesen sind.[26] 

Lebenserwartung[Bearbeiten]

Weltweit unterscheiden sich Männer und Frauen hinsichtlich ihrer Lebenserwartung. In 186 von 191 Staaten sterben Männer früher als Frauen. Obgleich die menschliche Lebenserwartung jedes Jahr anwächst, leben Frauen durchschnittlich immer noch länger als Männer. Zweifelsohne sind die Ursachen für diesen sexuellen Dimorphismus multifaktoriell und wurde bereits aus soziologischer wie auch biologischer Perspektive untersucht.  Der Unterschied in der Lebenserwartung variiert dabei beträchtlich. In den meisten Industrieländern besitzen Frauen im Vergleich zu Männern eine um sechs bis acht Jahre höhere Lebenserwartung. In Schweden beträgt diese mittlere Differenz jedoch nur vier Jahre. Dagegen leben Männer in Russland durchschnittlich 13 Jahre kürzer als Frauen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei kulturelle Unterschiede, die die Geschlechterrollen maßgeblich beeinflussen und die Lebenserwartung erhöhen oder senken können (in Russland gehört übermäßiger Alkoholkonsum zur stereotyp männlichen Rolle dazu).[27] Aber auch biologische Faktoren (Gene und Geschlechtshormone) verhindern eine Anpassung der männlichen an die weibliche Lebenserwartung.[28]
 
Konkrete Gründe für die durchschnittlich höhere Lebenserwartung bei Frauen werden in zahlreichen Studien exploriert. Viele Erklärungen beziehen sich auf  das Gesundheitsverhalten (z. B. Nikotin- und Alkoholkonsum), einen risikoreicheren Lebensstil, körperlich schädlichere Arbeit, die Höhe des Stresslevels und der Gewalttätigkeit auf Seiten der Männer. Sie berücksichtigen damit vor allem die soziale Komponente von Geschlecht. Im Zuge der weiblichen Emanzipation hat sich die Lebensweise von Frauen verändert (z. B. das Rauchverhalten und schädlichere und stressreichere Arbeit) und damit sollten Unterschiede bezüglich der Lebenserwartung zumindest teilweise verschwinden. Neben external-sozialen Faktoren spielen jedoch Unterschiede im biologischen Geschlecht eine wichtige Rolle: Dabei scheinen sowohl genetische Faktoren als auch Geschlechtshormone involviert zu sein. Ein entscheidender genetischer Faktor ist die Inaktivierung eines der zwei X-Chromosomen in den weiblichen Zellen. Als Positivfolge kann es bei dysfunktionalen Gene zur Repression und bei günstigen Genen zur Expression kommen. Bezüglich der Geschlechtshormone scheint das Östrogenlevel den weiblichen Körper in einem besseren Zustand zu halten und unter anderen zu einer längeren Funktionstüchtigkeit des Immunsystems zu führen. Dabei können Geschlechtshormone auf zwei Wegen Einfluss nehmen: Durch strukturelle Effekte, die während kritischer Perioden in der Entwicklung des menschlichen Körpers stattfinden (wie in der fetalen Entwicklung, der frühen Kindheit und der Pubertät). Sowie durch zeitliche Effekte, die aufgrund eines Anstieges hormoneller Level auftreten und nachlassen, sobald die Hormonkonzentration absinkt. Diese hormonellen Unterschiede führen letztlich zu einem günstigeren Ergebnis für Frauen in Bereichen wie der Immunfunktion, der oxidativen Stressreaktion und dem antioxidativen Status, dem Lipoproteinmetabolismus, der Fettspeicherung sowie der Stressantwort via HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse). Eine Kombination dieser Faktoren kann dann eine Determinante für die höhere Lebenserwartung bei Frauen bilden.Von einer Annäherung der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen ist nicht auszugehen.[29] Vielmehr ist mit einer zunehmenden Feminisierung der Altersgesellschaft zu rechnen, die weitreichende Folgen für die Gesellschaft haben wird.[30]

 

Literatur[Bearbeiten]

 

 

Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
  1. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  2. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  3. HH HR, SA M. Gezond opgroeien: Verkenning jeugdgezondheid: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu RIVM; 2014.
  4. Vollebergh W, Looze Md. HBSC 2013: Gezondheid, welzijn en opvoeding van jongeren in Nederland. Utrecht: Universiteit Utrecht; 2014.
  5. Reijneveld SA, Wiegersma PA, Ormel J, Verhulst FC, Vollebergh WAM, Jansen, Danielle E. M. C. et al. Adolescents’ Use of Care for Behavioral and Emotional Problems: Types, Trends, and Determinants. PLoS ONE 2014; 9(4):e93526.
  6. Valkenberg H, en Veiligheid SC. Alcoholvergiftigingen en ongevallen met alcohol bij jongeren van 10 tot en met 24 jaar. Asterdam; 2006.
  7. van Rooij AJ, Schoenmakers TM. Monitor Internet en Jongeren 2010-2012: Het (mobiele) gebruik van sociale media en games door jongeren [The (mobile) use of social media and games by adolescents]. Rotterdam: Center for Behavioral Internet Science & IVO; 2013.
  8. 18. Kuss DJ, Griffiths MD. Online Social Networking and Addiction—A Review of the Psychological Literature. IJERPH 2011; 8(12):3528–52.
  9. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  10. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  11. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  12. Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.
  13. WILLNESS CR, STEEL P, LEE K. A META-ANALYSIS OF THE ANTECEDENTS AND CONSEQUENCES OF WORKPLACE SEXUAL HARASSMENT. Personnel Psychology 2007; 60(1):127–62.
  14. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  15. Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.
  16. Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.
  17. Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309–21.
  18. Fauser, Bartholomeus Clement Johannes Maria, Lagro-Janssen, Antoinette Leonarda Maria, Bos, Anna Margaretha Elisabeth, Hessels F. Handboek vrouwspecifieke geneeskunde: Prelum uitgevers; 2013.
  19. Verdonk P, Hooftman WE, van Veldhoven, Marc J. P. M., Boelens LRM, Koppes LLJ. Work-related fatigue: The specific case of highly educated women in the Netherlands. Int Arch Occup Environ Health 2010; 83(3):309–21.
  20. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  21. Whitson HE, Landerman LR, Newman AB, Fried LP, Pieper CF, Cohen HJ. Chronic medical conditions and the sex-based disparity in disability: the Cardiovascular Health Study. The journals of gerontology. Series A, Biological sciences and medical sciences 2010; 65(12):1325–31.
  22. Merens A, van den Brakel, M. Emancipatiemonitor 2014. Den Haag: SCP/CBS; 2014 Dec 16.
  23. Jaspers L, Daan NMP, van Dijk GM, Gazibara T, Muka T, Wen K et al. Health in middle-aged and elderly women: A conceptual framework for healthy menopause. Maturitas 2015; 81(1):93–8.
  24. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  25. Ehlert U, editor. Verhaltensmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2003. (Springer-Lehrbuch).
  26. The Netherlands Organisation for Health Research and Development. Gender and Health: Knowledge Agenda. Den Haag; 2015.
  27. Kindler-Röhrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146–52.
  28. Janssen SM, Lagro-Janssen, Antoine L M. Physician's gender, communication style, patient preferences and patient satisfaction in gynecology and obstetrics: a systematic review. Patient education and counseling 2012; 89(2):221–6.
  29. Seifarth JE, McGowan CL, Milne KJ. Sex and life expectancy. Gender medicine 2012; 9(6):390–401.
  30. Müller-Werdan U. Geschlechterunterschiede in der Altersmedizin. Berlin: Charité Universitätsmedizin Berlin; 2015.

Lizenz[Bearbeiten]

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren[Bearbeiten]

Julia Schreitmüller

Zuletzt geändert: 2021-02-26 10:16:45

Zeitraum von der späten Kindheit über die Pubertät bis hin zum Erwachsenenalter.

Störungen der Nahrungsaufnahme oder des Körpergewichts, die nicht in organischen Ursachen begründet sind. Essstörungen können sich dabei in verschiedenen Krankheitsbildern manifestieren.

Die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt.

(Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) Gehört zur Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend und äußert sich durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Selbstregulation sowie eventuell durch ausgeprägte körperliche Unruhe.

Gelenkentzündungen, die häufig zusammen mit Schmerzen, Schwellungen und Rötungen auftreten.

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.

Biologisches Geschlecht