Essstörungen/Einführungsartikel: Unterschied zwischen den Versionen

 
(8 dazwischenliegende Versionen von 4 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
  
 +
Lange Zeit wurde Anorexie bei M&auml;nnern nicht erkannt oder f&auml;lschlicherweise als [[Schizophrenie/Einf&uuml;hrungsartikel | Schizophrenie]] eingeordnet. Die Fehlwahrnehmung der eigenen K&ouml;rperproportionen (K&ouml;rperschemast&ouml;rung) wurde dabei im Kontext eines wahnhaften Verhaltens verstanden. Tats&auml;chlich weisen nur sehr wenige Erkrankungen einen so enormen Geschlechterunterschied auf, wie er bei Anorexie (Magersucht) und Bulimie (Ess-Brechsucht) zu beobachten ist. Dabei entwickelt sich dieser Geschlechterunterschied erst mit Beginn der Pubert&auml;t. W&auml;hrend im Kindesalter M&auml;dchen und Jungen noch nahezu gleich h&auml;ufig vom Verdacht einer Essst&ouml;rung betroffen sind, geh&ouml;ren im Erwachsenenalter bis zu 90 Prozent der Erkrankten dem weiblichen Geschlecht an. Dagegen ergibt sich bei der sogenannten Binge Eating Disorder (nicht zu kontrollierende Essanf&auml;lle ohne Erbrechen oder andere gegensteuernde Ma&szlig;nahmen) ein deutlich anderes Geschlechterverh&auml;ltnis: Hier scheint der Geschlechterunterschied viel geringer und manche Studien gehen sogar von einer gleichen Erkrankungsh&auml;ufigkeit beider Geschlechtern aus.<ref>Jacobi F, H&ouml;fler M, Strehle J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Psychische St&ouml;rungen in der Allgemeinbev&ouml;lkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH) (Originalien). Der Nervenarzt 2014; 85(1):77&ndash;87.</ref><br />
 +
Auch wenn die Anzahl derjenigen M&auml;nner, die sich wegen einer Essst&ouml;rung in professionelle Behandlung begeben, zunimmt,<ref>Braun DL, Sunday SR, Huang A, Halmi KA. More males seek treatment for eating disorders. Int. J. Eat. Disord. 1999; 25(4):415&ndash;24.</ref> liegen immer noch zu wenige Erkenntnisse zu Anorexie und Bulimie beim m&auml;nnlichen Geschlecht vor. Aktuell bleibt unklar, ob das &nbsp;zunehmende Hilfesuchverhalten essgest&ouml;rter M&auml;nner tats&auml;chlich auf einen Erkrankungsanstieg zur&uuml;ckgef&uuml;hrt werden kann oder ob die allm&auml;hlich steigende Pr&auml;senz in Wissenschaft und Medien urs&auml;chlich ist.<ref>Carlat DJ, Camargo CA. Review of bulimia nervosa in males. The American journal of psychiatry 1991; 148(7):831&ndash;43.</ref>
  
Lange Zeit wurde Anorexie bei Männern nicht erkannt oder fälschlicherweise als [[Schizophrenie | Schizophrenie]] eingeordnet. Die Fehlwahrnehmung der eigenen Körperproportionen (Körperschemastörung) wurde dabei im Kontext eines wahnhaften Verhaltens verstanden. Tatsächlich weisen nur sehr wenige Erkrankungen einen so enormen Geschlechterunterschied auf, wie er bei Anorexie (Magersucht) und Bulimie (Ess-Brechsucht) zu beobachten ist. Dabei entwickelt sich dieser Geschlechterunterschied erst mit Beginn der Pubertät. Während im Kindesalter Mädchen und Jungen noch nahezu gleich häufig vom Verdacht einer Essstörung betroffen sind, gehören im Erwachsenenalter bis zu 90 Prozent der Erkrankten dem weiblichen Geschlecht an. Dagegen ergibt sich bei der sogenannten Binge Eating Disorder (nicht zu kontrollierende Essanfälle ohne Erbrechen oder andere gegensteuernde Maßnahmen) ein deutlich anderes Geschlechterverhältnis: Hier scheint der Geschlechterunterschied viel geringer und manche Studien gehen sogar von einer gleichen Erkrankungshäufigkeit beider Geschlechtern aus.<ref>Jacobi F, Höfler M, Strehle J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH) (Originalien). Der Nervenarzt 2014; 85(1):77–87.</ref>
+
Als wichtiger Risikofaktoren f&uuml;r die Entwicklung einer Essst&ouml;rung wird restriktives Essverhalten (eingeschr&auml;nktes Essverhalten in Form &uuml;berm&auml;&szlig;igen Di&auml;tierens, Aufnahme kalorienarmer Nahrung, Fasten, etc.) diskutiert. Restriktives Essverhalten steht im Zusammenhang mit geringem Selbstwertgef&uuml;hl und einer schlechten Wahrnehmung des eigenen K&ouml;rpers. Es wird deutlich h&auml;ufiger von M&auml;dchen und Frauen gezeigt. Aber auch M&auml;nner berichten zunehmend &uuml;ber die Unzufriedenheit mit dem eigenen K&ouml;rper und &auml;u&szlig;ern bereits in fr&uuml;hen Jahren den Wunsch, Gewicht ab- oder zuzunehmen. Restriktives Essverhalten f&uuml;hrt zu einem gest&ouml;rten Hunger-S&auml;ttigungs-Mechanismus im Gehirn und somit zu einem gest&ouml;rten Essverhalten.<ref>Herpertz S, Zwaan M de, Zipfel S. Handbuch Essst&ouml;rungen und Adipositas: Springer Berlin Heidelberg; 2008. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=fNEPgBXy5HcC.</ref>&nbsp;
Auch wenn die Anzahl derjenigen Männer, die sich wegen einer Essstörung in professionelle Behandlung begeben, zunimmt,<ref>Braun DL, Sunday SR, Huang A, Halmi KA. More males seek treatment for eating disorders. Int. J. Eat. Disord. 1999; 25(4):415–24.</ref> liegen immer noch zu wenige Erkenntnisse zu Anorexie und Bulimie beim männlichen Geschlecht vor. Aktuell bleibt unklar, ob das  zunehmende Hilfesuchverhalten essgestörter Männer tatsächlich auf einen Erkrankungsanstieg zurückgeführt werden kann oder ob die allmählich steigende Präsenz in Wissenschaft und Medien ursächlich ist.<ref>Carlat DJ, Camargo CA. Review of bulimia nervosa in males. The American journal of psychiatry 1991; 148(7):831–43.</ref>
 
  
Als wichtiger Risikofaktoren für die Entwicklung einer Essstörung wird restriktives Essverhalten (eingeschränktes Essverhalten in Form übermäßigen Diätierens, Aufnahme kalorienarmer Nahrung, Fasten, etc.) diskutiert. Restriktives Essverhalten steht im Zusammenhang mit geringem Selbstwertgefühl und einer schlechten Wahrnehmung des eigenen Körpers. Es wird deutlich häufiger von Mädchen und Frauen gezeigt. Aber auch Männer berichten zunehmend über die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und äußern bereits in frühen Jahren den Wunsch, Gewicht ab- oder zuzunehmen. Restriktives Essverhalten führt zu einem gestörten Hunger-Sättigungs-Mechanismus im Gehirn und somit zu einem gestörten Essverhalten.<ref>Herpertz S, Zwaan M de, Zipfel S. Handbuch Essstörungen und Adipositas: Springer Berlin Heidelberg; 2008. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=fNEPgBXy5HcC.</ref>  
+
M&auml;dchen beobachten in der Pubert&auml;t eine unerw&uuml;nschte Zunahme von K&ouml;rperfett und k&ouml;nnen weniger erfolgreich abnehmen als Jungen. Westliche Sch&ouml;nheitsideale beinhalten einen sehr d&uuml;nnen weiblichen K&ouml;rper mit m&ouml;glichst geringem Fettanteil. Di&auml;ten sind dabei ein sozial akzeptiertes Mittel zur Gewichtskontrolle. M&auml;dchen und junge Frauen haben damit ein erh&ouml;htes Risiko, Di&auml;ten zu beginnen oder andere gewichtsreduzierende Ma&szlig;nahmen anzuwenden und damit St&ouml;rungen im Essverhalten zu entwickeln.<ref>Striegel-Moore RH, Silberstein LR, Rodin J. Toward an understanding of risk factors for bulimia. American Psychologist 1986; 41(3):246&ndash;63.</ref> Auch beginnen M&auml;dchen h&auml;ufig als Jungen eine Di&auml;t, obwohl kein reales &Uuml;bergewicht vorliegt.<ref>Herpertz S, Zwaan M de, Zipfel S. Handbuch Essst&ouml;rungen und Adipositas: Springer Berlin Heidelberg; 2008. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=fNEPgBXy5HcC.</ref><br />
 +
Jungen erreichen die Pubert&auml;t im Durchschnitt zwei Jahre sp&auml;ter als M&auml;dchen. Die damit verbundene psychische Reife von Jungen im Vergleich zu M&auml;dchen in dieser Lebensphase kann sch&uuml;tzend wirken.<ref>Heidelinde Krenn. E&szlig;st&ouml;rungen bei M&auml;nnern: Charakteristika des Verlaufs von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa bei M&auml;nnern und Vergleich mit einer weiblichen Stichprobe [Dissertation]. Marburg/Lahn: Philipps-Universit&auml;t; 2003.</ref> Vergessen werden darf aber nicht, dass auch das m&auml;nnliche Sch&ouml;nheitsideal westlicher Kulturen junge M&auml;nner zunehmend unter Druck setzt: Der medial &uuml;bermittelte &#39;&#39;low-fat-look&#39;&#39; (m&ouml;glichst geringer Anteil an K&ouml;rperfett relativ zur K&ouml;rpermasse) f&uuml;hrt auch bei M&auml;nnern zu unrealistischen Vorstellung bez&uuml;glich des eigenen K&ouml;rpers und f&ouml;rdert exzessive sportliche Bet&auml;tigungen <ref>Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125&ndash;34.</ref> sowie die Einnahme von &nbsp;Medikamenten wie anabolische Steroide zum Aufbau von Muskelmasse.<ref>Pope H, Phillips KA, Olivardia R. The Adonis complex: The secret crisis of male body obsession. New York: Free Press; 2000.</ref>
  
Mädchen beobachten in der Pubertät eine unerwünschte Zunahme von Körperfett und können weniger erfolgreich abnehmen als Jungen. Westliche Schönheitsideale beinhalten einen sehr dünnen weiblichen Körper mit möglichst geringem Fettanteil. Diäten sind dabei ein sozial akzeptiertes Mittel zur Gewichtskontrolle. Mädchen und junge Frauen haben damit ein erhöhtes Risiko, Diäten zu beginnen oder andere gewichtsreduzierende Maßnahmen anzuwenden und damit Störungen im Essverhalten zu entwickeln.<ref>Striegel-Moore RH, Silberstein LR, Rodin J. Toward an understanding of risk factors for bulimia. American Psychologist 1986; 41(3):246–63.</ref> Auch beginnen Mädchen häufig als Jungen eine Diät, obwohl kein reales Übergewicht vorliegt.<ref>Herpertz S, Zwaan M de, Zipfel S. Handbuch Essstörungen und Adipositas: Springer Berlin Heidelberg; 2008. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=fNEPgBXy5HcC.</ref>
+
<strong>[[File:5dd5c2224463f.png|300px|class=img-responsive]]</strong>
Jungen erreichen die Pubertät im Durchschnitt zwei Jahre später als Mädchen. Die damit verbundene psychische Reife von Jungen im Vergleich zu Mädchen in dieser Lebensphase kann schützend wirken.<ref>Heidelinde Krenn. Eßstörungen bei Männern: Charakteristika des Verlaufs von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa bei Männern und Vergleich mit einer weiblichen Stichprobe [Dissertation]. Marburg/Lahn: Philipps-Universität; 2003.</ref> Vergessen werden darf aber nicht, dass auch das männliche Schönheitsideal westlicher Kulturen junge Männer zunehmend unter Druck setzt: Der medial übermittelte ''low-fat-look'' (möglichst geringer Anteil an Körperfett relativ zur Körpermasse) führt auch bei Männern zu unrealistischen Vorstellung bezüglich des eigenen Körpers und fördert exzessive sportliche Betätigungen <ref>Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125–34.</ref> sowie die Einnahme von  Medikamenten wie anabolische Steroide zum Aufbau von Muskelmasse.<ref>Pope H, Phillips KA, Olivardia R. The Adonis complex: The secret crisis of male body obsession. New York: Free Press; 2000.</ref>
 
  
<div class="thumbnail img-thumbnail" style="width:300px;float:left;">https://gendermedwiki.gecko.hs-heilbronn.de/mediawiki/images/5/5b/Bild_Essst%C3%B6rungen.png<br /><br /> <br />
+
<strong>Andauernde Besch&auml;ftigung mit dem Essen oder die &Uuml;berzeugung zu &quot;dick&quot; zu sein sind bei beiden Geschlechtern symptomatisch.<br />
 +
[Quelle: GenderMed-Wiki (2016)]</strong>
  
<small>'''Andauernde Beschäftigung mit dem Essen oder die Überzeugung zu "dick" zu sein sind bei beiden Geschlechtern symptomatisch.''' <br /> [Quelle: GenderMed-Wiki (2016)]</small>
+
<br />
 +
Die Symptome einer Essst&ouml;rung &auml;u&szlig;ern sich bei Frauen und M&auml;nnern zumindest sehr &auml;hnlich.<ref>Woodside, D.B., Garfinkel, P.E., Lin, E., Goering, P., Kaplan, A.S., Goldbloom, D.S., Kennedy SH. Comparisons of men with full or partial eating disorders, men without eating disorders, and women with eating disorders in the community. American Journal of Psychiatry 2001; 158:570&ndash;4.</ref> <ref>Braun DL, Sunday SR, Huang A, Halmi KA. More males seek treatment for eating disorders. Int. J. Eat. Disord. 1999; 25(4):415&ndash;24.</ref> <ref>Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125&ndash;34.</ref> Dabei stehen Aspekte wie Gewichtsphobie, andauernde Besch&auml;ftigung mit dem Essen und K&ouml;rperschemast&ouml;rung (die &Uuml;berzeugung &bdquo;zu dick&ldquo; zu sein) im Vordergrund. Dennoch bestehen h&auml;ufig Geschlechterunterschiede bez&uuml;glich der Art und Weise gewichtsreduzierender Ma&szlig;nahmen: Erkrankte Frauen wenden zur Gewichtsreduktion &ouml;fter gesundheitssch&auml;dliche Praktiken an, z. B. mit der Einnahme von entw&auml;ssernden oder abf&uuml;hrenden Medikamenten, Appetitz&uuml;glern und/oder dem Erbrechen nach einer Mahlzeit.<ref>Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.</ref> Erkrankte M&auml;nner zeigen im Vergleich zu Frauen h&auml;ufiger exzessive sportliche Bet&auml;tigung <ref>Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125&ndash;34.</ref> und &nbsp;hyperaktives Verhalten.<ref>Fichter MM. Magersucht und Bulimia: Empirische Untersuchungen zur Epidemiologie, Symptomatologie, Nosologie und zum Verlauf. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 1985.</ref> <ref>Garfinkel, P.E., Lin, E., Goering, P., Spegg, C., Goldbloom, D.S., Kennedy, S., Kaplan, A.S. &amp; Woodside, D.B. Bulimia nervosa in a Canadian community sample: prevalence and comparison of subgroups. American Journal of Psychiatry 1995; 152.</ref> Aufgrund des starken Gewichtverlustes bei Magersucht entwickelt sich meist bei beiden Geschlechtern eine hormonelle St&ouml;rung, die sich oft durch Verlust sexuellen Verlangens &auml;u&szlig;ert. Bei Frauen kommt es zudem zu einem Ausbleiben der Menstruation, bei M&auml;nnern h&auml;ufig zu Potenzverlust. Die Betroffenen leben oft in keiner Paarbeziehung.
  
</div>
+
==Literatur==
 +
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div></div>
 +
==Lizenz==
 +
Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode
  
Die Symptome einer Essstörung äußern sich bei Frauen und Männern zumindest sehr ähnlich.<ref>Woodside, D.B., Garfinkel, P.E., Lin, E., Goering, P., Kaplan, A.S., Goldbloom, D.S., Kennedy SH. Comparisons of men with full or partial eating disorders, men without eating disorders, and women with eating disorders in the community. American Journal of Psychiatry 2001; 158:570–4.</ref> <ref>Braun DL, Sunday SR, Huang A, Halmi KA. More males seek treatment for eating disorders. Int. J. Eat. Disord. 1999; 25(4):415–24.</ref> <ref>Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125–34.</ref> Dabei stehen Aspekte wie Gewichtsphobie, andauernde Beschäftigung mit dem Essen und Körperschemastörung (die Überzeugung „zu dick“ zu sein) im Vordergrund. Dennoch bestehen häufig Geschlechterunterschiede bezüglich der Art und Weise gewichtsreduzierender Maßnahmen: Erkrankte Frauen wenden zur Gewichtsreduktion öfter gesundheitsschädliche Praktiken an, z. B. mit der Einnahme von entwässernden oder abführenden Medikamenten, Appetitzüglern und/oder dem Erbrechen nach einer Mahlzeit.<ref>Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.</ref> Erkrankte Männer zeigen im Vergleich zu Frauen häufiger exzessive sportliche Betätigung <ref>Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125–34.</ref> und  hyperaktives Verhalten.<ref>Fichter MM. Magersucht und Bulimia: Empirische Untersuchungen zur Epidemiologie, Symptomatologie, Nosologie und zum Verlauf. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 1985.</ref> <ref>Garfinkel, P.E., Lin, E., Goering, P., Spegg, C., Goldbloom, D.S., Kennedy, S., Kaplan, A.S. & Woodside, D.B. Bulimia nervosa in a Canadian community sample: prevalence and comparison of subgroups. American Journal of Psychiatry 1995; 152.</ref> Aufgrund des starken Gewichtverlustes bei Magersucht entwickelt sich meist bei beiden Geschlechtern eine hormonelle Störung, die sich oft durch Verlust sexuellen Verlangens äußert. Bei Frauen kommt es zudem zu einem Ausbleiben der Menstruation, bei Männern häufig zu Potenzverlust. Die Betroffenen leben oft in keiner Paarbeziehung.
+
==Autoren==
  
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">
 
Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
 
<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div>
 
</div>
 
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">
 
Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
 
<div class="mw-collapsible-content"> <references/></div>
 
</div>
 
  
{| class="wikitable" style="float:left"
+
Zuletzt geändert: 2019-11-20 23:45:54
|-
 
|style="background:#b5c691; border: 2px #556B2F solid;" | [[Essstörungen/Fachartikel |<big><big><span style="color:#556B2F"><u>Weiter zum Fachartikel</u></span></big></big>]]
 
|}
 

Aktuelle Version vom 20. November 2019, 23:46 Uhr

Lange Zeit wurde Anorexie bei Männern nicht erkannt oder fälschlicherweise als Schizophrenie eingeordnet. Die Fehlwahrnehmung der eigenen Körperproportionen (Körperschemastörung) wurde dabei im Kontext eines wahnhaften Verhaltens verstanden. Tatsächlich weisen nur sehr wenige Erkrankungen einen so enormen Geschlechterunterschied auf, wie er bei Anorexie (Magersucht) und Bulimie (Ess-Brechsucht) zu beobachten ist. Dabei entwickelt sich dieser Geschlechterunterschied erst mit Beginn der Pubertät. Während im Kindesalter Mädchen und Jungen noch nahezu gleich häufig vom Verdacht einer Essstörung betroffen sind, gehören im Erwachsenenalter bis zu 90 Prozent der Erkrankten dem weiblichen Geschlecht an. Dagegen ergibt sich bei der sogenannten Binge Eating Disorder (nicht zu kontrollierende Essanfälle ohne Erbrechen oder andere gegensteuernde Maßnahmen) ein deutlich anderes Geschlechterverhältnis: Hier scheint der Geschlechterunterschied viel geringer und manche Studien gehen sogar von einer gleichen Erkrankungshäufigkeit beider Geschlechtern aus.[1]
Auch wenn die Anzahl derjenigen Männer, die sich wegen einer Essstörung in professionelle Behandlung begeben, zunimmt,[2] liegen immer noch zu wenige Erkenntnisse zu Anorexie und Bulimie beim männlichen Geschlecht vor. Aktuell bleibt unklar, ob das  zunehmende Hilfesuchverhalten essgestörter Männer tatsächlich auf einen Erkrankungsanstieg zurückgeführt werden kann oder ob die allmählich steigende Präsenz in Wissenschaft und Medien ursächlich ist.[3]

Als wichtiger Risikofaktoren für die Entwicklung einer Essstörung wird restriktives Essverhalten (eingeschränktes Essverhalten in Form übermäßigen Diätierens, Aufnahme kalorienarmer Nahrung, Fasten, etc.) diskutiert. Restriktives Essverhalten steht im Zusammenhang mit geringem Selbstwertgefühl und einer schlechten Wahrnehmung des eigenen Körpers. Es wird deutlich häufiger von Mädchen und Frauen gezeigt. Aber auch Männer berichten zunehmend über die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und äußern bereits in frühen Jahren den Wunsch, Gewicht ab- oder zuzunehmen. Restriktives Essverhalten führt zu einem gestörten Hunger-Sättigungs-Mechanismus im Gehirn und somit zu einem gestörten Essverhalten.[4] 

Mädchen beobachten in der Pubertät eine unerwünschte Zunahme von Körperfett und können weniger erfolgreich abnehmen als Jungen. Westliche Schönheitsideale beinhalten einen sehr dünnen weiblichen Körper mit möglichst geringem Fettanteil. Diäten sind dabei ein sozial akzeptiertes Mittel zur Gewichtskontrolle. Mädchen und junge Frauen haben damit ein erhöhtes Risiko, Diäten zu beginnen oder andere gewichtsreduzierende Maßnahmen anzuwenden und damit Störungen im Essverhalten zu entwickeln.[5] Auch beginnen Mädchen häufig als Jungen eine Diät, obwohl kein reales Übergewicht vorliegt.[6]
Jungen erreichen die Pubertät im Durchschnitt zwei Jahre später als Mädchen. Die damit verbundene psychische Reife von Jungen im Vergleich zu Mädchen in dieser Lebensphase kann schützend wirken.[7] Vergessen werden darf aber nicht, dass auch das männliche Schönheitsideal westlicher Kulturen junge Männer zunehmend unter Druck setzt: Der medial übermittelte ''low-fat-look'' (möglichst geringer Anteil an Körperfett relativ zur Körpermasse) führt auch bei Männern zu unrealistischen Vorstellung bezüglich des eigenen Körpers und fördert exzessive sportliche Betätigungen [8] sowie die Einnahme von  Medikamenten wie anabolische Steroide zum Aufbau von Muskelmasse.[9]

5dd5c2224463f.png

Andauernde Beschäftigung mit dem Essen oder die Überzeugung zu "dick" zu sein sind bei beiden Geschlechtern symptomatisch.
[Quelle: GenderMed-Wiki (2016)]


Die Symptome einer Essstörung äußern sich bei Frauen und Männern zumindest sehr ähnlich.[10] [11] [12] Dabei stehen Aspekte wie Gewichtsphobie, andauernde Beschäftigung mit dem Essen und Körperschemastörung (die Überzeugung „zu dick“ zu sein) im Vordergrund. Dennoch bestehen häufig Geschlechterunterschiede bezüglich der Art und Weise gewichtsreduzierender Maßnahmen: Erkrankte Frauen wenden zur Gewichtsreduktion öfter gesundheitsschädliche Praktiken an, z. B. mit der Einnahme von entwässernden oder abführenden Medikamenten, Appetitzüglern und/oder dem Erbrechen nach einer Mahlzeit.[13] Erkrankte Männer zeigen im Vergleich zu Frauen häufiger exzessive sportliche Betätigung [14] und  hyperaktives Verhalten.[15] [16] Aufgrund des starken Gewichtverlustes bei Magersucht entwickelt sich meist bei beiden Geschlechtern eine hormonelle Störung, die sich oft durch Verlust sexuellen Verlangens äußert. Bei Frauen kommt es zudem zu einem Ausbleiben der Menstruation, bei Männern häufig zu Potenzverlust. Die Betroffenen leben oft in keiner Paarbeziehung.

Literatur[Bearbeiten]

Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.
  1. Jacobi F, Höfler M, Strehle J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH) (Originalien). Der Nervenarzt 2014; 85(1):77–87.
  2. Braun DL, Sunday SR, Huang A, Halmi KA. More males seek treatment for eating disorders. Int. J. Eat. Disord. 1999; 25(4):415–24.
  3. Carlat DJ, Camargo CA. Review of bulimia nervosa in males. The American journal of psychiatry 1991; 148(7):831–43.
  4. Herpertz S, Zwaan M de, Zipfel S. Handbuch Essstörungen und Adipositas: Springer Berlin Heidelberg; 2008. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=fNEPgBXy5HcC.
  5. Striegel-Moore RH, Silberstein LR, Rodin J. Toward an understanding of risk factors for bulimia. American Psychologist 1986; 41(3):246–63.
  6. Herpertz S, Zwaan M de, Zipfel S. Handbuch Essstörungen und Adipositas: Springer Berlin Heidelberg; 2008. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=fNEPgBXy5HcC.
  7. Heidelinde Krenn. Eßstörungen bei Männern: Charakteristika des Verlaufs von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa bei Männern und Vergleich mit einer weiblichen Stichprobe [Dissertation]. Marburg/Lahn: Philipps-Universität; 2003.
  8. Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125–34.
  9. Pope H, Phillips KA, Olivardia R. The Adonis complex: The secret crisis of male body obsession. New York: Free Press; 2000.
  10. Woodside, D.B., Garfinkel, P.E., Lin, E., Goering, P., Kaplan, A.S., Goldbloom, D.S., Kennedy SH. Comparisons of men with full or partial eating disorders, men without eating disorders, and women with eating disorders in the community. American Journal of Psychiatry 2001; 158:570–4.
  11. Braun DL, Sunday SR, Huang A, Halmi KA. More males seek treatment for eating disorders. Int. J. Eat. Disord. 1999; 25(4):415–24.
  12. Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125–34.
  13. Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  14. Sharp CW, Clark SA, Dunan JR, Blackwood, Douglas H. R., Shapiro CM. Clinical presentation of anorexia nervosa in males: 24 new cases. Int. J. Eat. Disord. 1994; 15(2):125–34.
  15. Fichter MM. Magersucht und Bulimia: Empirische Untersuchungen zur Epidemiologie, Symptomatologie, Nosologie und zum Verlauf. Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 1985.
  16. Garfinkel, P.E., Lin, E., Goering, P., Spegg, C., Goldbloom, D.S., Kennedy, S., Kaplan, A.S. & Woodside, D.B. Bulimia nervosa in a Canadian community sample: prevalence and comparison of subgroups. American Journal of Psychiatry 1995; 152.

Lizenz[Bearbeiten]

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Den vollen Lizenzinhalt finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Autoren[Bearbeiten]

Zuletzt geändert: 2019-11-20 23:45:54

Störungen der Nahrungsaufnahme oder des Körpergewichts, die nicht in organischen Ursachen begründet sind. Essstörungen können sich dabei in verschiedenen Krankheitsbildern manifestieren.

Ein Teilgebiet der Medizin, das die Verteilung von Krankheiten in einer Bevölkerung und die damit zusammenhängenden Variablen untersucht.