Depression/Einführungsartikel


Die Diagnose einer Depression wird bei Frauen etwa doppelt so häufig gestellt wie bei Männern. Warum Frauen im Vergleich zu Männern ein so viel höheres Erkrankungsrisiko haben, wird wissenschaftlich mit biologischen und psychosozialen Gründen erklärt: Aus biologischer Sicht spielen vor allem die sogenannten hormonellen Umstellungsphasen eine wichtige Rolle. So wird beispielsweise vermutet, dass der Anstieg der Geschlechtshormone in der Pubertät bei Mädchen im direkten Zusammenhang mit negativen Emotionen steht.[1] Dabei spielen natürlich nicht nur Hormone als biologische Faktoren, sondern auch soziale und kulturellen Aspekte wie beispielsweise die Identitätssuche eine wichtige Rolle.[2] Neben der Pubertät steigt auch in der Zeit nach der Entbindung, während der sogenannten Postpartumphase, das Risiko an einer Depression zu erkranken. Eine Postpartumdepression wird definiert als eine Depression, die innerhalb von vier Wochen nach der Geburt beginnt. Während bis zu 70 Prozent der Frauen nach einer Geburt einzelne depressive Symptome entwickeln, scheinen ungefähr 13 Prozent in dieser Zeit tatsächlich von einer Depression betroffen zu sein. Ursache ist, neben der Geburt des Kindes als tiefgreifende Lebensveränderung, vor allem auch, dass in den ersten drei bis vier Tagen nach der Geburt das weibliche Östrogenlevel enorm abfällt.[3] Auch in der Zeit der Menopause (bzw. ein bis zwei Jahre vor und nach der Menopause) steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Die hormonellen Veränderungen während dieser Phase können besonders im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen zu einer depressiven Symptomatik führen.[2] Wichtig ist, dass nicht nur Östrogen und Progesteron bei Frauen, sondern auch Testosteron bei Männern durchaus Bedeutung bei der Entwicklung einer Depression besitzen kann. Besonders wenn (aufgrund fortgeschrittenen Alters oder einer Erkrankung) ein Testosteronmangel besteht, wird dieser Zusammenhang deutlich:[4]

Neben hormonellen Aspekten spielt die soziale Umwelt eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Depression: Zum Beispiel ergeben Studien, dass Frauen psychosozialem Stress in besonderem Maße ausgesetzt sind. Faktoren wie niedriges Bildungsniveau, geringer sozioökonomischer Status (bis hin zur Armut) oder geringe Handlungskontrolle sind strukturelle Aspekte, die sich negativ auf die psychische Gesundheit von Frauen und Männern auswirken. Jedoch sind es in der Regel Frauen, die bezüglich dieser Faktoren deutlich benachteiligt sind.[5] Neben Umweltfaktoren begünstigen auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, die bei Frauen durchschnittlich stärker ausgeprägt sind, eine Depression. Solche Persönlichkeitseigenschaften können beispielsweise ein geringeres Selbstwertgefühl, höhere Ängstlichkeit und eine stärkere Grübelneigung sein.[6][7][8]

Während Frauen Kernsymptome wie Traurigkeit eher zeigen, können diese bei Männern durch äußerliche Symptome wie Aggressivität überdeckt werden.
[Quelle: GenderMed-Wiki, 2016]

Während depressive Kernsymptome wie Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit von beiden Geschlechtern etwa gleich häufig genannt werden, können sich andere depressive Beschwerden zwischen den Geschlechtern durchaus unterscheiden.[9] Nicht zuletzt deswegen bleiben Depressionen bei Männern häufig unerkannt. Autoren und Autorinnen sprechen von einer „Depressionsblindheit“ bei Männern, die verschiedene Ursachen zu haben scheint. Dabei ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, dass sich depressive Symptome bei Männern zuweilen in anderer Form äußern als bei Frauen. Zum Beispiel reagieren Männer bei einer Depression eher aggressiv und risikofreudig und greifen öfter zu Alkohol und Drogen. Diese nach außen gerichteten Symptome überdecken besonders zu Beginn häufig die inneren Symptome wie Selbstwertverlust, Antriebslosigkeit oder Verlust an Freude.[10] Frauen reagieren dagegen eher als Männer mit untypischen Symptomen (z. B. Appetitsteigerung statt Appetitverlust) oder körperlichen Beschwerden und Schmerz.[11] Sie berichten insgesamt von mehr Symptomen als Männer.[12]

Häufig verdrängen betroffene Männer ihre psychischen Beschwerden und führen Befindlichkeitsstörungen auf momentanen Stress und/oder berufliche Belastungen zurück. Depressive Frühsymptome wie erhöhte Erschöpfbarkeit oder Schlafstörungen werden dabei ignoriert und geeignete Behandlungsschritte können nicht eingeleitet werden. Männer neigen bei psychischen Problemen eher dazu, ihre Beschwerden auf die Umwelt zu projizieren und Krankheitsgefühle nicht korrekt zu interpretieren. So konsultieren sie einen Arzt oder eine Ärztin häufig erst dann, wenn körperliche Beschwerden wie starke Erschöpfungszustände oder Gefühle eines „Burnouts“ eindeutige Auswirkungen auf ihre Alltagsgestaltung haben. Oft führt auch paralleler Alkohol- und/oder Nikotinkonsum zu gesundheitlichen Folgen und damit zu einem steigenden Behandlungsdruck.[13]

Selbst wenn professionelle Hilfe aufgesucht wird, ist eine korrekte Diagnosestellung nicht immer gewährleistet. Vielmehr scheinen soziale Geschlechterstereotype grundlegenden Einfluss auf das Erkennen (und damit Behandeln) depressiver Erkrankungen zu haben. Es zeigt sich, dass in allgemeinmedizinischen Praxen beim Vorliegen klinisch-relevanter Depressionswerte die Diagnose einer Depression bei Männern deutlich seltener gestellt wird als bei Frauen.[14] So neigen Ärzte und Ärztinnen bei Frauen eher als bei Männern dazu, Symptome psychosomatisch zu deuten. Dagegen werden psychische Beschwerden beispielsweise aufgrund von beruflichem Stress bei Männern häufig übersehen, obwohl (laut Männergesundheitsbericht 2013) Männer aufgrund ihres Berufes deutlich stärker psychisch belastet sind als dies bei Frauen der Fall ist:[15] Männer haben im Vergleich zu Frauen nicht nur riskantere Berufe, sondern sind auch stärker von der zunehmenden Arbeitsplatzunsicherheit betroffen und haben ein höheres Risiko infolge von Arbeitslosigkeit psychisch zu erkranken.[16] [17] Männer scheinen damit besonders bei beruflichem Statusverlust für eine Depression vulnerabel zu sein.[17]

Um zukünftig eine adäquate Diagnostik für beide Geschlechter gewährleisten zu können, ist die weitere Erforschung von Geschlechterunterschieden bei depressiven Symptomen und die Entwicklung geschlechtersensibler Diagnoseinstrumente notwendig. Nach außen gerichtete Verhaltensmuster wie Aggressivität oder Feindseligkeit sind derzeit nicht Teil der Diagnose und können über anerkannte Diagnoseverfahren nicht erfasst werden.[18] Da sich besonders die Depression bei Männern häufig hinter solchen nach außen gerichteten Verhaltensweisen versteckt, kann dann keine korrekte Diagnose gestellt werden. Eine angemessene Behandlung findet oft nicht statt. Zusammenfassend besteht immer noch eine gesellschaftliche Depressionsblindheit gegenüber dem männlichen Geschlecht und damit zusammenhängend eine deutliche Unterdiagnostizierung. Um dem entgegenzuwirken, sind nicht nur fundierte Kenntnisse von Geschlechterunterschieden bezüglich Entstehung, Verlauf und Behandlung einer Depression notwendig,[19][20] sondern vor allem auch eine gesellschaftliche Sensibilisierung und Auflösung stereotyper Rollen wie der des „starken Mannes“.

Literatur[Bearbeiten]

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  1. Angold A, Costello EJ, Erkanli A, Worthman CM. Pubertal changes in hormone levels and depression in girls. Psychological Medicine 1999; 29(5):1043–53.
  2. Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.
  3. J. Sacher, A. A. Wilson, S. Houle, P. Rusjan, S. Hassan, P. M. Bloomfield, D. E. Stewart, J. H. Meyer Elevated Brain Monoamine Oxidase A Binding in the Early Postpartum Period Archives of General Psychiatry 67(5):468-474 (2010)
  4. Kindler-Röhrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146–52.
  5. Belle Doucet DJ. Poverty, Inequality, And Discrimination As Sources Of Depression Among U.S. Women. Psychology of Women Quarterly 2003; 27(2):101–13.
  6. Feingold A. Gender differences in personality: A meta-analysis. Psychological Bulletin 1994; 116(3):429–56
  7. Costa, Paul, Jr., Terracciano A, McCrae RR. Gender differences in personality traits across cultures: Robust and surprising findings. Journal of Personality and Social Psychology 2001; 81(2):322–31.
  8. Nolen-Hoeksema S. The Response Styles Theory. In: Papageorgiou C, Wells A, editors. Rumination: Nature, theory & treatment for nagative thinking in depression. Chichester: Wiley; 2003.
  9. Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  10. Weißbach L, Stiehler M. Männergesundheitsbericht 2013: Im Fokus: Psychische Gesundheit. Bern: Hans Huber; 2013.
  11. Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  12. Angst J, Gamma A, Gastpar M, Lépine J, Mendlewicz J, Tylee A. Gender differences in depression. Epidemiological findings from the European DEPRES I and II studies.European archives of psychiatry and clinical neuroscience 2002; 252(5):201–9.
  13. Neurologen und Psychiater im Netz. Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen. Reizbarkeit, Ärger, Sucht sind typische Depressionssymptome bei Männern; 2013.
  14. Bertakis KD. The influence of gender on the doctor–patient interaction.Patient Education and Counseling 2009; 76(3):356–60.
  15. Harth W, Brähler E, Schuppe HC. Praxisbuch Männergesundheit: Interdisziplinärer Beratungs- und Behandlungsleitfaden. Berlin: MWV Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  16. Karasek R, Theorell T. Healthy work: stress, productivity, and the reconstruction of working life. Basic Books, New York, 1990
  17. Möller-Leimkühler, A. M. (2012). DFP: Depression bei Männern: Eine Einführung. Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 11(3), 11-20.
  18. Wittchen, H.-U., Zaudig, M., & Fydrich, T. (1997). SKID. Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV. Achse I und II. Handanweisung. Göttingen: Hogrefe.
  19. Wolfersdorf, M. (2009). Männersuizid: Warum sich "erfolgreiche" Männer umbringen - Gedanken zur Psychodynamik. Blickpunkt der Mann, (7), 38–41.
  20. Moller-Leimkühler, A. M. (2009). Men, depression and "male depression" [Manner, Depression und "mannliche Depression"]. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 77(7), 412-9; quiz 420. doi:10.1055/s-2008-1038257
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(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.

(aus der Psychologie) starkes Grübeln und Gedankenkreisen.

Zwanghaftes Bedürfnis bzw. unwiderstehlicher Drang nach einem bestimmen Stimulus (Reiz), z. B. einer chemischen Substanz (Droge).