Depression: Unterschied zwischen den Versionen

Zeile 21: Zeile 21:
 
| [[/Fachartikel |<big><big>Weiter zum Fachartikel</big></big>]]
 
| [[/Fachartikel |<big><big>Weiter zum Fachartikel</big></big>]]
 
|}
 
|}
 +
 +
Wissenschaftliche Studien zeigen: Frauen erkranken deutlich häufiger an Depressionen als Männer. Innerhalb eines Jahres wurde bei etwa 13 Prozent aller Frauen und etwa sechs Prozent aller Männer  im Alter von 18 bis 64 Jahren eine depressive Erkrankung diagnostiziert.<ref>Jacobi F, Höfler M, Siegert J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Twelve-month prevalence, comorbidity and correlates of mental disorders in Germany: The Mental Health Module of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1-MH). Int. J. Methods Psychiatr. Res. 2014; 23(3):304–19.</ref>Diese Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit könneninternational stabil belegt werden. Auch findet die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien bei Frauen höhere Rückfall- und Chronifizierungsraten als bei Männern.<ref>Kuehner C. Gender differences in unipolar depression. Acta Psychiatrica Scandinavica 2003; 108(3):163–74.</ref> Interessant ist, dass sich die Depressionshäufigkeit zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht erst mit Eintritt in die Pubertät zu unterscheiden beginnt.<ref>Essau CA, Petermann U. Depression bei Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für klinische Psychologie, Psychopathologie; 43:18–33.</ref> Während der Pubertät steigt die Anzahl an Depressionen insgesamt an, wobei dieser Anstieg deutlich stärker bei Mädchen zu beobachten ist. Bereits im Alter von 18 Jahren sind Frauen im Vergleich zu Männern doppelt so häufig von Depressionen betroffen.<ref>Oldehinkel AJ, Wittchen HU, Schuster P. Prevalence, 20-month incidence and outcome of unipolar depressive disorders in a community sample of adolescents. Psychological Medicine 1999; 29(3):655–68.</ref>Außerdem ist festzustellen, dassdepressiveSymptome bei Jugendlichen immer häufiger vorkommen. Als Ursache hierfür werden weniger genetische Faktoren vermutet als vielmehr psychosoziale Faktoren wie mangelnde elterliche Fürsorge, fehlende soziale Bindungen oder gesellschaftlicher Leistungsdruck.<ref>Fombonne E. Increased rates of psychosocial disorders in youth. European archives of psychiatry and clinical neuroscience 1998; 248(1):14–21.</ref>
 +
 +
Warum Frauen im Vergleich zu Männern ein höheres Risiko haben, an einer Depression zu erkranken, hat meist biologische und psychosoziale Gründe. Aus biologischer Sicht spielen vor allem die sogenannten hormonellen Umstellungsphasen eine wichtige Rolle: So wird beispielsweise vermutet, dass der Anstieg der Geschlechtshormone in der Pubertät bei Mädchen im direkten Zusammenhang mit negativen Emotionen steht.<ref>Angold A, Costello EJ, Erkanli A, Worthman CM. Pubertal changes in hormone levels and depression in girls. Psychological Medicine 1999; 29(5):1043–53.</ref> Dabei spielen natürlich nicht nur Hormone als biologische Faktoren eine wichtige Rolle, sondern auch soziale und kulturellen Aspekte(z. B. Identitätssuche).<ref>Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.</ref> Auch in der Zeit nach der Entbindung, während der sogenannten Postpartumphase, steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Eine Postpartumdepression wird definiert als eine Depression, die innerhalb von vier Wochen nach der Geburt beginnt. Während bis zu 70 Prozent der Frauen nach einer Geburt einzelne depressive Symptome entwickeln,  scheinen ungefähr 13 Prozent in dieser Zeit tatsächlich von einer Depression betroffen zu sein. Ursache ist unter anderen, dass in den ersten drei bis vier  Tagen nach der Geburt das weibliche Östrogenlevel enorm abfällt.<ref>J. Sacher, A. A. Wilson, S. Houle, P. Rusjan, S. Hassan, P. M. Bloomfield, D. E. Stewart, J. H. Meyer Elevated Brain Monoamine Oxidase A Binding in the Early Postpartum Period Archives of General Psychiatry 67(5):468-474 (2010)</ref> Auch in der Zeit der Menopause (bzw. ein bis zwei Jahre vor und nach der Menopause) steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Die hormonellen Veränderungen während dieser Phase können besonders im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen zu einer depressiven Symptomatik führen.<ref>Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.</ref>Wie wirksam Östrogenersatztherapien bei depressiven Symptomen tatsächlich sind, bleibt aber noch unklar.<ref>Amin Z. Effect of Estrogen-Serotonin Interactions on Mood and Cognition. Behavioral and Cognitive Neuroscience Reviews 2005; 4(1):43–58.</ref>
 +
Wichtig ist, dass nicht nur Östrogen und Progesteron bei Frauen, sondern auch Testosteron bei Männern durchaus Bedeutung bei der Entwicklung einer Depression besitzen kann. Besonders wenn (aufgrund fortgeschrittenen Alters oder einer Erkrankung) ein Testosterondefizit besteht wird dieser Zusammenhang deutlich:<ref> Kindler-Röhrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146–52.</ref>Dabei ergeben sich erste Hinweise für eine antidepressive Wirkung von Testosteron-Ersatztherapien. Das erhöhte Risiko von Prostatakrebs spricht jedoch gegen die breite klinische Anwendung.<ref>Pope HG, Cohane GH, Kanayama G, Siegel AJ, Hudson JI. Testosterone Gel Supplementation for Men With Refractory Depression: A Randomized, Placebo-Controlled Trial. AJP 2003; 160(1):105–11.</ref>
 +
 +
Neben diesen vordergründig biologischen Ursachen spielt die soziale Umwelt eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Depression: Zum Beispiel ergeben Studien, dass Frauen psychosozialem Stress in besonderem Maße ausgesetzt sind. Faktoren wie niedriges Bildungsniveau, geringer sozioökonomischer Status (bis hin zur Armut) oder geringe Handlungskontrolle sind strukturelle Aspekte, die sich negativ auf die psychische Gesundheit von Frauen und Männern auswirken. Jedoch sind es in der Regel Frauen, die bezüglich dieser Faktoren deutlich benachteiligt sind.<ref>Belle Doucet DJ. Poverty, Inequality, And Discrimination As Sources Of Depression Among U.S. Women. Psychology of Women Quarterly 2003; 27(2):101–13.</ref>Neben Umweltfaktoren können auch Persönlichkeitseigenschaften, die bei Frauen durchschnittlich höher ausgeprägt sind, eine Depression begünstigen. Solche Persönlichkeitseigenschaften können beispielsweise ein geringeres Selbstwertgefühl, höhere Ängstlichkeit und eine stärkere Grübelneigung sein.<ref>Feingold A. Gender differences in personality: A meta-analysis. Psychological Bulletin 1994; 116(3):429–56</ref><ref>Costa, Paul, Jr., Terracciano A, McCrae RR. Gender differences in personality traits across cultures: Robust and surprising findings. Journal of Personality and Social Psychology 2001; 81(2):322–31.</ref><ref>Nolen-Hoeksema S. The Response Styles Theory. In: Papageorgiou C, Wells A, editors. Rumination: Nature, theory & treatment for nagative thinking in depression. Chichester: Wiley; 2003.</ref>
 +
 +
<div class="thumbnail img-thumbnail" style="width:380px;float:right;">https://gendermedwiki.gecko.hs-heilbronn.de/mediawiki/images/thumb/2/2c/Bild_Depressionen.png/744px-Bild_Depressionen.png<br /><br /><br />
 +
<br />
 +
 +
<small>'''Während Frauen Kernsymptome wie Traurigkeit eher zeigen, können diese bei Männern durch äußerliche Symptome wie Aggressivität überdeckt werden. '''<br />[Quelle: GenderMed-Wiki]</small>
 +
 +
</div>
 +
 +
Während depressive Kernsymptome wie Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit von beiden Geschlechtern etwa gleich häufig genannt werden, können sich andere depressive Beschwerden zwischen den Geschlechtern durchaus unterscheiden.<ref>Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.</ref> Nicht zuletzt deswegen bleiben Depressionen bei Männern häufig unerkannt. Autoren und Autorinnen sprechen von einer „Depressionsblindheit“ bei Männern, die verschiedene Ursachen zu haben scheint. Dabei ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, dass sich depressive Symptome bei Männern zuweilen in anderer Form äußern als bei Frauen. Zum Beispiel reagieren Männer bei einer Depression eher aggressiv und risikofreudig und greifen öfter zu Alkohol und Drogen. Diese äußerlichen Symptome überdecken besonders zu Beginn häufig die inneren Symptome wie Selbstwertverlust, Antriebslosigkeit oder Verlust an Freude.<ref>Weißbach L, Stiehler M. Männergesundheitsbericht 2013: Im Fokus: Psychische Gesundheit. Bern: Hans Huber; 2013.</ref> Frauen reagieren dagegen eher als Männer mit untypischen Symptomen (z. B. Appetitsteigerung statt Appetitverlust) oder körperlichen Beschwerden und [[Schmerz]].<ref>Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.</ref> Sie berichten insgesamt von mehr Symptomen als Männer.<ref>Angst J, Gamma A, Gastpar M, Lépine J, Mendlewicz J, Tylee A. Gender differences in depression. Epidemiological findings from the European DEPRES I and II studies.European archives of psychiatry and clinical neuroscience 2002; 252(5):201–9.</ref>Häufig verdrängen betroffene Männer ihre psychischen Beschwerden und führen Befindlichkeitsstörungen auf momentanen Stress und/oder berufliche Belastungen zurück. Depressive Frühsymptome wie erhöhte Erschöpfbarkeit oder Schlafstörungen werden dabei ignoriert und geeignete Behandlungsschritte können nicht eingeleitet werden. Männer neigen bei psychischen Problemen eher dazu ihre Beschwerden auf die Umwelt zu projizieren und Krankheitsgefühle nicht korrekt zu interpretieren. So konsultieren sie einen Arzt oder eine Ärztin häufig erst dann, wenn körperliche Beschwerden wie starke Erschöpfungszustände oder Gefühle eines „Burnouts“ eindeutige Auswirkungen auf ihre Alltagsgestaltung haben. Oft führt auch paralleler Alkohol- und/oder Nikotinkonsum zu gesundheitlichen Folgen und damit zu einem steigenden Behandlungsdruck.<ref> Neurologen und Psychiater im Netz. Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen. Reizbarkeit, Ärger, Sucht sind typische Depressionssymptome bei Männern; 2013.</ref>
 +
 +
Selbst wenn ärztliche Konsultation stattfindet, ist eine korrekte Diagnosestellung nicht immer gewährleistet. Vielmehr scheinen soziale Geschlechterstereotype grundlegenden Einfluss auf das Erkennen (und damit Behandeln) depressiver Erkrankungen zu haben. So zeigt sich, dass in allgemeinmedizinischen Praxen beim Vorliegen klinisch-relevanter Depressionswerte die Diagnose einer Depression bei Männern signifikant seltener gestellt wird als bei Frauen.<ref>Bertakis KD. The influence of gender on the doctor–patient interaction.Patient Education and Counseling 2009; 76(3):356–60.</ref> So neigen Ärzte und Ärztinnen bei Frauen eher als bei Männern dazu, Symptome psychosomatisch zu deuten. Dagegen werden psychische Belastungen beispielsweise aufgrund von beruflichem Stress bei Männern häufig übersehen, obwohl (laut Männergesundheitsbericht 2013) Männer aufgrund ihres Berufes deutlich stärker psychisch belastet sind als dies bei Frauen der Fall ist.<ref>Harth W, Brähler E, Schuppe HC. Praxisbuch Männergesundheit: Interdisziplinärer Beratungs- und Behandlungsleitfaden. Berlin: MWV Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.</ref>
 +
 +
Festgehalten werden kann, dass gegenwärtig immer noch eine gesellschaftliche ''Depressionsblindheit'' bei Männern und damit zusammenhängend eine deutliche Unterdiagnostizierung besteht. Um dem entgegen zu wirken, sind nicht nur fundierte Kenntnisse von Geschlechterunterschieden bezüglich Entstehung, Verlauf und Behandlung von Depressionen notwendig,<ref>Wolfersdorf, M. (2009). Männersuizid: Warum sich "erfolgreiche" Männer umbringen - Gedanken zur Psychodynamik. Blickpunkt der Mann, (7), 38–41.</ref><ref>Moller-Leimkühler, A. M. (2009). Men, depression and "male depression" [Manner, Depression und "mannliche Depression"]. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 77(7), 412-9; quiz 420. doi:10.1055/s-2008-1038257</ref>, sondern vor allem auch eine gesellschaftliche Sensibilisierung und Auflösung stereotyper Rollen wie die des „starken Mannes“.
  
 
== Literatur ==
 
== Literatur ==

Version vom 13. Oktober 2016, 12:20 Uhr

<languages /> <translate>

Fächer Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychologie und Soziologie
Organsysteme Psyche, Endokrines System
Hauptsymptome Gedrückte Stimmung, Interessensverlust, Freudlosigkeit, Antriebsminderung
Zusammenfassung Internationale Studienergebnisse zeigen: Frauen erkranken im Vergleich zu Männern etwa doppelt so häufig an einer Depression. Nach den Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland waren 2014 13.1 Prozent der Frauen und 6.4 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren von einer Depression betroffen (12-Monats-Prävalenz).[1]

Warum das weibliche Geschlecht einen Risikofaktor bezüglich der Entwicklung einer depressiven Störung darstellt, ist unter anderem mit Hilfe biologischer Variablen zu erklären. Zum Beispiel können hormonelle Schwankungen vor der Menstruation, nach einer Geburt oder während des Klimakteriums auslösend für depressive oder dysphorische Symptome sein. Dabei werden beispielsweise serotonerge Funktionen durch ovariale Hormone moduliert.[2]

Aber auch sozial geprägte Geschlechterrollen haben Einfluss auf den geschlechterspezifischen Prävalenzunterschied depressiver Erkrankungen. Männer gelten vor allem dann als krank, wenn somatische Beschwerden vorliegen. Psychische Beschwerden wie Depression (oder Angst) werden immer noch häufig stigmatisiert und tabuisiert. Autoren und Autorinnen sprechen von einer „Depressionsblindheit“ bei Männern, die verschiedene Ursachen zu haben scheint. Dabei ist ein entscheidender Aspekt, dass sich depressive Symptome bei Männern in anderer Form äußern können als bei Frauen und vom Fachpersonal deshalb nicht erkannt werden.[3] Es scheint die Hypothese zulässig, dass Prävalenzunterschiede weniger auf ein unterschiedliches Erkrankungsrisiko als viel mehr auf eine Unterdiagnostizierung beim männlichen Geschlecht zurückzuführen sind.[4] Zustimmen

Interessenkonflikt Nein
Wenn ja, bitte angeben


Weiter zum Fachartikel

Wissenschaftliche Studien zeigen: Frauen erkranken deutlich häufiger an Depressionen als Männer. Innerhalb eines Jahres wurde bei etwa 13 Prozent aller Frauen und etwa sechs Prozent aller Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren eine depressive Erkrankung diagnostiziert.[5]Diese Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit könneninternational stabil belegt werden. Auch findet die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien bei Frauen höhere Rückfall- und Chronifizierungsraten als bei Männern.[6] Interessant ist, dass sich die Depressionshäufigkeit zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht erst mit Eintritt in die Pubertät zu unterscheiden beginnt.[7] Während der Pubertät steigt die Anzahl an Depressionen insgesamt an, wobei dieser Anstieg deutlich stärker bei Mädchen zu beobachten ist. Bereits im Alter von 18 Jahren sind Frauen im Vergleich zu Männern doppelt so häufig von Depressionen betroffen.[8]Außerdem ist festzustellen, dassdepressiveSymptome bei Jugendlichen immer häufiger vorkommen. Als Ursache hierfür werden weniger genetische Faktoren vermutet als vielmehr psychosoziale Faktoren wie mangelnde elterliche Fürsorge, fehlende soziale Bindungen oder gesellschaftlicher Leistungsdruck.[9]

Warum Frauen im Vergleich zu Männern ein höheres Risiko haben, an einer Depression zu erkranken, hat meist biologische und psychosoziale Gründe. Aus biologischer Sicht spielen vor allem die sogenannten hormonellen Umstellungsphasen eine wichtige Rolle: So wird beispielsweise vermutet, dass der Anstieg der Geschlechtshormone in der Pubertät bei Mädchen im direkten Zusammenhang mit negativen Emotionen steht.[10] Dabei spielen natürlich nicht nur Hormone als biologische Faktoren eine wichtige Rolle, sondern auch soziale und kulturellen Aspekte(z. B. Identitätssuche).[11] Auch in der Zeit nach der Entbindung, während der sogenannten Postpartumphase, steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Eine Postpartumdepression wird definiert als eine Depression, die innerhalb von vier Wochen nach der Geburt beginnt. Während bis zu 70 Prozent der Frauen nach einer Geburt einzelne depressive Symptome entwickeln, scheinen ungefähr 13 Prozent in dieser Zeit tatsächlich von einer Depression betroffen zu sein. Ursache ist unter anderen, dass in den ersten drei bis vier Tagen nach der Geburt das weibliche Östrogenlevel enorm abfällt.[12] Auch in der Zeit der Menopause (bzw. ein bis zwei Jahre vor und nach der Menopause) steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Die hormonellen Veränderungen während dieser Phase können besonders im Zusammenhang mit kritischen Lebensereignissen zu einer depressiven Symptomatik führen.[13]Wie wirksam Östrogenersatztherapien bei depressiven Symptomen tatsächlich sind, bleibt aber noch unklar.[14] Wichtig ist, dass nicht nur Östrogen und Progesteron bei Frauen, sondern auch Testosteron bei Männern durchaus Bedeutung bei der Entwicklung einer Depression besitzen kann. Besonders wenn (aufgrund fortgeschrittenen Alters oder einer Erkrankung) ein Testosterondefizit besteht wird dieser Zusammenhang deutlich:[15]Dabei ergeben sich erste Hinweise für eine antidepressive Wirkung von Testosteron-Ersatztherapien. Das erhöhte Risiko von Prostatakrebs spricht jedoch gegen die breite klinische Anwendung.[16]

Neben diesen vordergründig biologischen Ursachen spielt die soziale Umwelt eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Depression: Zum Beispiel ergeben Studien, dass Frauen psychosozialem Stress in besonderem Maße ausgesetzt sind. Faktoren wie niedriges Bildungsniveau, geringer sozioökonomischer Status (bis hin zur Armut) oder geringe Handlungskontrolle sind strukturelle Aspekte, die sich negativ auf die psychische Gesundheit von Frauen und Männern auswirken. Jedoch sind es in der Regel Frauen, die bezüglich dieser Faktoren deutlich benachteiligt sind.[17]Neben Umweltfaktoren können auch Persönlichkeitseigenschaften, die bei Frauen durchschnittlich höher ausgeprägt sind, eine Depression begünstigen. Solche Persönlichkeitseigenschaften können beispielsweise ein geringeres Selbstwertgefühl, höhere Ängstlichkeit und eine stärkere Grübelneigung sein.[18][19][20]

744px-Bild_Depressionen.png



Während Frauen Kernsymptome wie Traurigkeit eher zeigen, können diese bei Männern durch äußerliche Symptome wie Aggressivität überdeckt werden.
[Quelle: GenderMed-Wiki]

Während depressive Kernsymptome wie Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit von beiden Geschlechtern etwa gleich häufig genannt werden, können sich andere depressive Beschwerden zwischen den Geschlechtern durchaus unterscheiden.[21] Nicht zuletzt deswegen bleiben Depressionen bei Männern häufig unerkannt. Autoren und Autorinnen sprechen von einer „Depressionsblindheit“ bei Männern, die verschiedene Ursachen zu haben scheint. Dabei ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, dass sich depressive Symptome bei Männern zuweilen in anderer Form äußern als bei Frauen. Zum Beispiel reagieren Männer bei einer Depression eher aggressiv und risikofreudig und greifen öfter zu Alkohol und Drogen. Diese äußerlichen Symptome überdecken besonders zu Beginn häufig die inneren Symptome wie Selbstwertverlust, Antriebslosigkeit oder Verlust an Freude.[22] Frauen reagieren dagegen eher als Männer mit untypischen Symptomen (z. B. Appetitsteigerung statt Appetitverlust) oder körperlichen Beschwerden und Schmerz.[23] Sie berichten insgesamt von mehr Symptomen als Männer.[24]Häufig verdrängen betroffene Männer ihre psychischen Beschwerden und führen Befindlichkeitsstörungen auf momentanen Stress und/oder berufliche Belastungen zurück. Depressive Frühsymptome wie erhöhte Erschöpfbarkeit oder Schlafstörungen werden dabei ignoriert und geeignete Behandlungsschritte können nicht eingeleitet werden. Männer neigen bei psychischen Problemen eher dazu ihre Beschwerden auf die Umwelt zu projizieren und Krankheitsgefühle nicht korrekt zu interpretieren. So konsultieren sie einen Arzt oder eine Ärztin häufig erst dann, wenn körperliche Beschwerden wie starke Erschöpfungszustände oder Gefühle eines „Burnouts“ eindeutige Auswirkungen auf ihre Alltagsgestaltung haben. Oft führt auch paralleler Alkohol- und/oder Nikotinkonsum zu gesundheitlichen Folgen und damit zu einem steigenden Behandlungsdruck.[25]

Selbst wenn ärztliche Konsultation stattfindet, ist eine korrekte Diagnosestellung nicht immer gewährleistet. Vielmehr scheinen soziale Geschlechterstereotype grundlegenden Einfluss auf das Erkennen (und damit Behandeln) depressiver Erkrankungen zu haben. So zeigt sich, dass in allgemeinmedizinischen Praxen beim Vorliegen klinisch-relevanter Depressionswerte die Diagnose einer Depression bei Männern signifikant seltener gestellt wird als bei Frauen.[26] So neigen Ärzte und Ärztinnen bei Frauen eher als bei Männern dazu, Symptome psychosomatisch zu deuten. Dagegen werden psychische Belastungen beispielsweise aufgrund von beruflichem Stress bei Männern häufig übersehen, obwohl (laut Männergesundheitsbericht 2013) Männer aufgrund ihres Berufes deutlich stärker psychisch belastet sind als dies bei Frauen der Fall ist.[27]

Festgehalten werden kann, dass gegenwärtig immer noch eine gesellschaftliche Depressionsblindheit bei Männern und damit zusammenhängend eine deutliche Unterdiagnostizierung besteht. Um dem entgegen zu wirken, sind nicht nur fundierte Kenntnisse von Geschlechterunterschieden bezüglich Entstehung, Verlauf und Behandlung von Depressionen notwendig,[28][29], sondern vor allem auch eine gesellschaftliche Sensibilisierung und Auflösung stereotyper Rollen wie die des „starken Mannes“.

Literatur[Bearbeiten]

Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.

  1. Jacobi F, Höfler M, Siegert J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Twelve-month prevalence, comorbidity and correlates of mental disorders in Germany: The Mental Health Module of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1-MH). Int. J. Methods Psychiatr. Res. 2014; 23(3):304–19.
  2. Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  3. Weißbach L, Stiehler M. Männergesundheitsbericht 2013: Im Fokus: Psychische Gesundheit. Bern: Hans Huber; 2013.
  4. Möller-Leimkühler, A. M. (2012). DFP: Depression bei Männern: Eine Einführung. Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 11(3), 11-20.
  5. Jacobi F, Höfler M, Siegert J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Twelve-month prevalence, comorbidity and correlates of mental disorders in Germany: The Mental Health Module of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1-MH). Int. J. Methods Psychiatr. Res. 2014; 23(3):304–19.
  6. Kuehner C. Gender differences in unipolar depression. Acta Psychiatrica Scandinavica 2003; 108(3):163–74.
  7. Essau CA, Petermann U. Depression bei Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für klinische Psychologie, Psychopathologie; 43:18–33.
  8. Oldehinkel AJ, Wittchen HU, Schuster P. Prevalence, 20-month incidence and outcome of unipolar depressive disorders in a community sample of adolescents. Psychological Medicine 1999; 29(3):655–68.
  9. Fombonne E. Increased rates of psychosocial disorders in youth. European archives of psychiatry and clinical neuroscience 1998; 248(1):14–21.
  10. Angold A, Costello EJ, Erkanli A, Worthman CM. Pubertal changes in hormone levels and depression in girls. Psychological Medicine 1999; 29(5):1043–53.
  11. Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.
  12. J. Sacher, A. A. Wilson, S. Houle, P. Rusjan, S. Hassan, P. M. Bloomfield, D. E. Stewart, J. H. Meyer Elevated Brain Monoamine Oxidase A Binding in the Early Postpartum Period Archives of General Psychiatry 67(5):468-474 (2010)
  13. Kühner C. Warum leiden mehr Frauen unter Depressionen? In: Lautenbacher S, editor. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007. p. 332–47.
  14. Amin Z. Effect of Estrogen-Serotonin Interactions on Mood and Cognition. Behavioral and Cognitive Neuroscience Reviews 2005; 4(1):43–58.
  15. Kindler-Röhrborn A, Pfleiderer B. Gendermedizin - Modewort oder Notwendigkeit?: - Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. XX 2012; 1(03):146–52.
  16. Pope HG, Cohane GH, Kanayama G, Siegel AJ, Hudson JI. Testosterone Gel Supplementation for Men With Refractory Depression: A Randomized, Placebo-Controlled Trial. AJP 2003; 160(1):105–11.
  17. Belle Doucet DJ. Poverty, Inequality, And Discrimination As Sources Of Depression Among U.S. Women. Psychology of Women Quarterly 2003; 27(2):101–13.
  18. Feingold A. Gender differences in personality: A meta-analysis. Psychological Bulletin 1994; 116(3):429–56
  19. Costa, Paul, Jr., Terracciano A, McCrae RR. Gender differences in personality traits across cultures: Robust and surprising findings. Journal of Personality and Social Psychology 2001; 81(2):322–31.
  20. Nolen-Hoeksema S. The Response Styles Theory. In: Papageorgiou C, Wells A, editors. Rumination: Nature, theory & treatment for nagative thinking in depression. Chichester: Wiley; 2003.
  21. Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  22. Weißbach L, Stiehler M. Männergesundheitsbericht 2013: Im Fokus: Psychische Gesundheit. Bern: Hans Huber; 2013.
  23. Lautenbacher S. Gehirn und Geschlecht: Neurowissenschaft des kleinen Unterschieds zwischen Frau und Mann. Heidelberg: Springer; 2007.
  24. Angst J, Gamma A, Gastpar M, Lépine J, Mendlewicz J, Tylee A. Gender differences in depression. Epidemiological findings from the European DEPRES I and II studies.European archives of psychiatry and clinical neuroscience 2002; 252(5):201–9.
  25. Neurologen und Psychiater im Netz. Das Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen. Reizbarkeit, Ärger, Sucht sind typische Depressionssymptome bei Männern; 2013.
  26. Bertakis KD. The influence of gender on the doctor–patient interaction.Patient Education and Counseling 2009; 76(3):356–60.
  27. Harth W, Brähler E, Schuppe HC. Praxisbuch Männergesundheit: Interdisziplinärer Beratungs- und Behandlungsleitfaden. Berlin: MWV Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  28. Wolfersdorf, M. (2009). Männersuizid: Warum sich "erfolgreiche" Männer umbringen - Gedanken zur Psychodynamik. Blickpunkt der Mann, (7), 38–41.
  29. Moller-Leimkühler, A. M. (2009). Men, depression and "male depression" [Manner, Depression und "mannliche Depression"]. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 77(7), 412-9; quiz 420. doi:10.1055/s-2008-1038257

</translate>

(lat.: deprimere = herunterdrücken) Psychische Erkrankung, die durch die Hauptsymptome gedrückte Stimmung, Verlust an Interessen bzw. an Freude und deutliche Antriebsminderung gekennzeichnet ist.

Die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt.

(aus der Psychologie) starkes Grübeln und Gedankenkreisen.

Zwanghaftes Bedürfnis bzw. unwiderstehlicher Drang nach einem bestimmen Stimulus (Reiz), z. B. einer chemischen Substanz (Droge).