Angststörungen/Einführungsartikel: Unterschied zwischen den Versionen

(Die Seite wurde neu angelegt: „== Literatur == <div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed"> Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen. <div class="mw-collapsib…“)
 
 
(9 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
 +
 +
 +
Etwa 15 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung (zwischen 18 und 79 Jahren) leidet in einem Zeitraum von einem Jahr unter einer diagnostizierten  Angststörung. Dabei sind  etwa 21  Prozent der Frauen und neun Prozent der Männer betroffen. Somit erkranken Frauen im Vergleich zu Männern mindestens doppelt so häufig an irgendeiner Angststörung.<ref>Jacobi F, Höfler M, Strehle J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Der Nervenarzt 2014; 85(1):77–87.</ref> <ref>Wittchen H, Jacobi F. Angststörungen. Nachdr. Berlin: Robert Koch-Inst; 2007. (Gesundheitsberichterstattung des Bundes; vol 21).</ref> 
 +
 +
Angsterkrankungen beginnen meist im jungen bis mittleren Erwachsenenalter (zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr). Dabei entwickeln sich 60 Prozent aller Angststörungen erstmals vor dem 21. Lebensjahr. Mit einem durchschnittlichen Erkrankungsbeginn von 16 Jahren (etwa 15 Jahre bei Frauen, etwa 19 Jahre bei Männern) ergibt sich für die Spezifischen Phobien der früheste Erkrankungsbeginn. Eine spezifische Phobie ist eine irrrationale und exzessive Furcht vor bestimmten Objekten, Situationen und Aktivitäten. Die Generalisierte Angststörung zeigt mit 35 Jahren (etwa 34 Jahre bei Frauen, etwa 39 Jahre bei Männern) das durchschnittlich höchste Ersterkrankungsalter. Bei der Generalisierten Angststörung besteht eine deutliche Angst und Besorgnis bezüglich verschiedenster Lebensumstände.
 +
Das  Alter scheint keinen Einfluss auf die geschlechterspezifische Häufigkeit einer Angststörung zu besitzen, der Geschlechterunterschied zeigt sich über alle Altersstufen hinweg konstant.<ref>Wittchen, H.-U., Müller, N., Pfister, H., Winter, S., & Schmidtkunz, B. (1999). Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland. Erste Ergebnisse des bundesweiten Zusatzsurveys "Psychische Störungen". Das Gesundheitswesen, 61, 216-222.</ref>
 +
 +
Nach den Daten eines Bundesgesundheitsberichtes von 1998 ergibt sich, dass weniger als die Hälfte der an einer Angststörung Erkrankten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen (insgesamt 44 Prozent), wobei Frauen jede Art von (professioneller) Hilfe häufiger annehmen als Männer. Erklärt werden kann die geschlechterspezifische Inanspruchnahme von Therapieangeboten u. a. durch ein unterschiedliches Hilfesuch-Verhalten: Erkrankte Frauen suchen eher medizinische Unterstützung und begeben sich häufiger in fachspezifische Behandlung als erkrankte Männer.<ref>Dickstein LJ. Gender Differences in Mood and Anxiety Disorders. American Psychiatric Press Review of Psychiatry 2000; 18.</ref> Außerdem berichten Frauen im medizinischen Setting deutlich häufiger von emotionalen Beschwerden, was per se eine höhere Anzahl an Diagnosen und Behandlungen von Angststörungen zufolge hat. Auch wenn diese emotionalen Beschwerden keinen Krankheitswert besitzen, nehmen Frauen deutlich häufiger als Männer eine medizinische Leistung (Arztbesuch) in Anspruch (19 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer). In diesem Zusammenhang diskutiert werden ein allgemein stärker ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein des weiblichen Geschlechtes sowie eine tendenziell geringere Bewertung psychischer Einflüsse auf die Gesundheit von Seiten des männlichen Geschlechtes. Ob auch unterschiedlich starke Belastungen bzw. Beeinträchtigungen das geschlechterspezifische Hilfesuch-Verhalten bedingen, kann aktuell nicht abschließend geklärt werden. Allgemein erhalten Patienten und Patientinnen mit einer Angststörung am häufigsten eine psychotherapeutische Therapie. Ausschließlich medikamentös behandelt werden 33 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen.<ref name="Arolt">Arolt V, Rohde A. Geschlechtsspezifische Psychiatrie und Psychotherapie: ein Handbuch: Kohlhammer; 2007. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=Nuz_6Ln-UHMC.</ref>
 +
 +
Auch bezüglich der psychosozialen Einflussfaktoren, die bei der Entwicklung einer Angststörung eine Rolle spielen, zeigen sich Geschlechterunterschiede: Frauen beurteilen ihre Lebensqualität eher als Männer nach dem Vorliegen psychischer Probleme sowie nach Partnerschaft und Berufsstatus.<ref>Gamma A, Angst J. Concurrent psychiatric comorbidity and multimorbidity in a community study: Gender differences and quality of life. Eur Arch Psychiatry Clin Nuerosci 2001; 251(S2):43–6.</ref> Dennoch ergibt sich gerade bei Männern die Tatsache, arbeitslos und alleinstehend zu sein, als stärkerer Risikofaktor für die Entwicklung einer Angststörung.<ref>Klose M, Jacobi F. Can gender differences in the prevalence of mental disorders be explained by sociodemographic factors? Archives of Women's Mental Health 2004; 7(2):133–48.</ref> Frauen berichten häufiger als Männer über Ängste infolge negativer Lebensereignisse (v. a. Erfahrungen von Verlust oder Gefahr).<ref name="Arolt"/>Der Geschlechterunterschied in der Häufigkeit von Angsterkrankungen zeigt sich besonders deutlich in städtischen im Vergleich zu ländlichen Gegenden.<ref>Diala CC. Mood and Anxiety Disorders Among Rural, Urban, and Metropolitan Residents in the United States. Community Mental Health Journal 2003; 39(3):239–52.</ref>
 +
 +
Notwendig erscheinen in Zukunft vor allem Studien, die effektive geschlechtersensible Therapien erforschen und den weiblichen Hormonstatus stärker fokussieren (Zyklusphasen, hormonelle Verhütung, Hormonbehandlung, Menopause, etc.). Der Einfluss der [[Sexualhormone]] auf die Wirkung bestimmter Medikamente scheint relevant für die Effektivität medikamentöser Therapien zu sein und damit auch die Prognose einer (Angst)erkrankung zu bedingen. In diesem Zusammenhang sind weitere Analysen zu Entstehung und Behandlung von Angsterkrankungen während der Schwangerschaft oder auch nach der Entbindung sowie in der Stillzeit dringend anzuraten.<ref name="Arolt"/>
 +
 
== Literatur ==
 
== Literatur ==
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">
 
<div class="toccolours mw-collapsible mw-collapsed">

Aktuelle Version vom 12. Januar 2017, 14:48 Uhr


Etwa 15 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung (zwischen 18 und 79 Jahren) leidet in einem Zeitraum von einem Jahr unter einer diagnostizierten Angststörung. Dabei sind etwa 21 Prozent der Frauen und neun Prozent der Männer betroffen. Somit erkranken Frauen im Vergleich zu Männern mindestens doppelt so häufig an irgendeiner Angststörung.[1] [2]

Angsterkrankungen beginnen meist im jungen bis mittleren Erwachsenenalter (zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr). Dabei entwickeln sich 60 Prozent aller Angststörungen erstmals vor dem 21. Lebensjahr. Mit einem durchschnittlichen Erkrankungsbeginn von 16 Jahren (etwa 15 Jahre bei Frauen, etwa 19 Jahre bei Männern) ergibt sich für die Spezifischen Phobien der früheste Erkrankungsbeginn. Eine spezifische Phobie ist eine irrrationale und exzessive Furcht vor bestimmten Objekten, Situationen und Aktivitäten. Die Generalisierte Angststörung zeigt mit 35 Jahren (etwa 34 Jahre bei Frauen, etwa 39 Jahre bei Männern) das durchschnittlich höchste Ersterkrankungsalter. Bei der Generalisierten Angststörung besteht eine deutliche Angst und Besorgnis bezüglich verschiedenster Lebensumstände. Das Alter scheint keinen Einfluss auf die geschlechterspezifische Häufigkeit einer Angststörung zu besitzen, der Geschlechterunterschied zeigt sich über alle Altersstufen hinweg konstant.[3]

Nach den Daten eines Bundesgesundheitsberichtes von 1998 ergibt sich, dass weniger als die Hälfte der an einer Angststörung Erkrankten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen (insgesamt 44 Prozent), wobei Frauen jede Art von (professioneller) Hilfe häufiger annehmen als Männer. Erklärt werden kann die geschlechterspezifische Inanspruchnahme von Therapieangeboten u. a. durch ein unterschiedliches Hilfesuch-Verhalten: Erkrankte Frauen suchen eher medizinische Unterstützung und begeben sich häufiger in fachspezifische Behandlung als erkrankte Männer.[4] Außerdem berichten Frauen im medizinischen Setting deutlich häufiger von emotionalen Beschwerden, was per se eine höhere Anzahl an Diagnosen und Behandlungen von Angststörungen zufolge hat. Auch wenn diese emotionalen Beschwerden keinen Krankheitswert besitzen, nehmen Frauen deutlich häufiger als Männer eine medizinische Leistung (Arztbesuch) in Anspruch (19 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer). In diesem Zusammenhang diskutiert werden ein allgemein stärker ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein des weiblichen Geschlechtes sowie eine tendenziell geringere Bewertung psychischer Einflüsse auf die Gesundheit von Seiten des männlichen Geschlechtes. Ob auch unterschiedlich starke Belastungen bzw. Beeinträchtigungen das geschlechterspezifische Hilfesuch-Verhalten bedingen, kann aktuell nicht abschließend geklärt werden. Allgemein erhalten Patienten und Patientinnen mit einer Angststörung am häufigsten eine psychotherapeutische Therapie. Ausschließlich medikamentös behandelt werden 33 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen.[5]

Auch bezüglich der psychosozialen Einflussfaktoren, die bei der Entwicklung einer Angststörung eine Rolle spielen, zeigen sich Geschlechterunterschiede: Frauen beurteilen ihre Lebensqualität eher als Männer nach dem Vorliegen psychischer Probleme sowie nach Partnerschaft und Berufsstatus.[6] Dennoch ergibt sich gerade bei Männern die Tatsache, arbeitslos und alleinstehend zu sein, als stärkerer Risikofaktor für die Entwicklung einer Angststörung.[7] Frauen berichten häufiger als Männer über Ängste infolge negativer Lebensereignisse (v. a. Erfahrungen von Verlust oder Gefahr).[5]Der Geschlechterunterschied in der Häufigkeit von Angsterkrankungen zeigt sich besonders deutlich in städtischen im Vergleich zu ländlichen Gegenden.[8]

Notwendig erscheinen in Zukunft vor allem Studien, die effektive geschlechtersensible Therapien erforschen und den weiblichen Hormonstatus stärker fokussieren (Zyklusphasen, hormonelle Verhütung, Hormonbehandlung, Menopause, etc.). Der Einfluss der Sexualhormone auf die Wirkung bestimmter Medikamente scheint relevant für die Effektivität medikamentöser Therapien zu sein und damit auch die Prognose einer (Angst)erkrankung zu bedingen. In diesem Zusammenhang sind weitere Analysen zu Entstehung und Behandlung von Angsterkrankungen während der Schwangerschaft oder auch nach der Entbindung sowie in der Stillzeit dringend anzuraten.[5]

Literatur

Klicken Sie auf "Ausklappen" um die Literaturverweise anzuzeigen.

  1. Jacobi F, Höfler M, Strehle J, Mack S, Gerschler A, Scholl L et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Der Nervenarzt 2014; 85(1):77–87.
  2. Wittchen H, Jacobi F. Angststörungen. Nachdr. Berlin: Robert Koch-Inst; 2007. (Gesundheitsberichterstattung des Bundes; vol 21).
  3. Wittchen, H.-U., Müller, N., Pfister, H., Winter, S., & Schmidtkunz, B. (1999). Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland. Erste Ergebnisse des bundesweiten Zusatzsurveys "Psychische Störungen". Das Gesundheitswesen, 61, 216-222.
  4. Dickstein LJ. Gender Differences in Mood and Anxiety Disorders. American Psychiatric Press Review of Psychiatry 2000; 18.
  5. Arolt V, Rohde A. Geschlechtsspezifische Psychiatrie und Psychotherapie: ein Handbuch: Kohlhammer; 2007. Available from: URL: https://books.google.de/books?id=Nuz_6Ln-UHMC.
  6. Gamma A, Angst J. Concurrent psychiatric comorbidity and multimorbidity in a community study: Gender differences and quality of life. Eur Arch Psychiatry Clin Nuerosci 2001; 251(S2):43–6.
  7. Klose M, Jacobi F. Can gender differences in the prevalence of mental disorders be explained by sociodemographic factors? Archives of Women's Mental Health 2004; 7(2):133–48.
  8. Diala CC. Mood and Anxiety Disorders Among Rural, Urban, and Metropolitan Residents in the United States. Community Mental Health Journal 2003; 39(3):239–52.
Weiter zum Fachartikel